Snapchat, Instagram, TikTok – Soziale Medien sind im Alltag junger Menschen fest integriert. Dort teilen sie Momente aus dem eigenen Leben, folgen Freunden und Prominenten oder konsumieren Nachrichten. Doch sie kommen auch mit extremistischen Inhalten in Kontakt. Denn auch Islamisten oder Akteure der rechten Szene nutzen Soziale Medien.
In einem Forschungsprojekt hat sich Claudia Riesmeyer mit Kollegen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) systematisch mit der Frage beschäftigt, ob Jugendliche Kontakt mit extremistischen Botschaften haben und inwiefern sie diese als solche erkennen können. Im Interview mit dieser Redaktion erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin mögliche Risiken von Propaganda in den Sozialen Netzwerken und was dagegen unternommen werden kann.
Extremistische Gruppen machen sich Lifestyle Jugendlicher zu Nutze
Extremistische Akteursgruppen, seien es religiöse oder rechte, wollen laut Riesmeyer im digitalen Raum auf ihre Ziele und Ideen aufmerksam machen, um dort möglicherweise neue Anhänger zu finden. „Sie wissen, wie digitale Medien funktionieren, nicht nur, dass sich Jugendliche dort aufhalten, sondern auch wie Filterblasen funktionieren, dass man von einem Video oder Beitrag zum nächsten geleitet wird“, so die Akademische Oberrätin an der LMU.
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Beiträge extremistischer Kanäle seien an die Lebenswelt Jugendlicher angepasst. Heißt: Harmlos wirkende, ästhetische Bilder, musikalische Elemente oder Hashtags, die Jugendliche ansprechen. Laut „jugendschutz.net“ (Kompetenzzentrum von Bund und Ländern) tauchen Inhalte dann in einem „jugendaffinen Umfeld zwischen Beiträgen von und über Pop-Stars auf und es entsteht ein niedrigschwelliger Zugang zur islamistischen Ideologie“. Riesmeyer spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Wolfs-im-Schafspelz-Strategie“, also von der Tarnung extremistischer Angebote und der unterschwelligen Verbreitung demokratiefeindlicher Botschaften.
Und diese machen sich unterschiedliche Accounts zu Nutze. So stehen beim Verfassungsschutz Seiten wie Muslim Interaktiv, Realität Islam oder Generation Islam im Verdacht, mit dieser Strategie islamistische Propaganda zu verbreiten. Riesmeyer rechnet damit, dass aufgrund der aktuellen Lage in Israel diese Art von Propaganda einen großen Raum einnehmen könnte. „Dabei ist die große Herausforderung zu erkennen, was eine vertrauenswürdige und was eine propagandistische Quelle ist.“
Warum ist es schwierig Propaganda zu erkennen?
Auch rechte Akteure wissen mit diesen Kommunikationsmodi umzugehen. Riesmeyer nennt hierfür verschiedene Beispiele: die Kontrakultur Halle oder die Identitäre Bewegung. „Wir wissen, dass die Identitäre Bewegung kein Akteur ist, dem man folgen sollte“, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin und betont weiter: „Aber wenn ein Jugendlicher das nicht weiß und nur ein Video sieht, das wie hundert andere ausschaut, die ein Jugendlicher sieht, ist das schwierig zu dechiffrieren.“ Gemeint ist beispielsweise ein Video, das die Besetzung des Brandenburger Tors zeigt und der Machart von Greenpeace Videos ähnele.
Es ist also schwierig, derartige Beiträge als solche zu erkennen. „Solche Inhalte erzeugen nicht per se Aufmerksamkeit, es sind ästhetisch schöne Bilder“, so Riesmeyer. Das mache es für Jugendliche schwer und herausfordernd. Außerdem spielt die Nutzungssituation von Swipen und Scrollen eine Rolle. Heißt: „Man verharrt nicht in dem Moment, nimmt den Beitrag aktiv wahr, denkt drüber nach, sondern es sind sehr kurzlebige und fluide Inhalte, die gezeigt werden.“ Zuletzt spielen laut Riesmeyer auch individuelle Merkmale wie die Wahrnehmung der eigenen Medienkompetenz eine Rolle.
„Im schlimmsten Fall kann es zu einer Radikalisierung führen“
Dass extremistische Akteure Jugendliche so erreichen, kann verschiedene Auswirkungen haben. Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) verstärken und beschleunigen das Internet und Soziale Medien Radikalisierungsprozesse im Bereich der politisch motivierten Kriminalität.
Auch Riesmeyer betont: „Im schlimmsten Fall kann es zu einer Radikalisierung führen.“ Und viele Jugendliche seien unbedarft mit dem Umgang mit islamistischen und rechten Narrativen. „Unbedarft sein bedeutet, dass so oft Beiträge weitergeteilt, geliked werden – sie melden solche Inhalte nicht.“ Das könne zu einer viel stärkeren Verbreitung im öffentlichen Diskurs führen.
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Deshalb sollte man laut Riesmeyer auch dazu ermuntern, Dinge zu melden. Doch damit diese erst als solche erkannt und eingeordnet werden können, brauche es Medienkompetenz – und zwar kontinuierliche und als Teil der Schulbildung unabhängig von der Schulart. Doch auch die Familie stehe in der Pflicht: „Eltern geben den Zugang zum digitalen Raum, damit haben sie eine Verantwortung, was ihre Kinder dort tun. Auch für Eltern ist es Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen.“ Für weitere Tipps im richtigen Umgang mit propagandistischen Beiträgen gibt es den „kompass-social.media“ von „jugendschutz.net“.