Geschenke zum Hochzeitstag, Pranks, Aufnahmen aus dem Urlaub: Amina und Dzenan G. wirken wie ein ganz normales Paar, das mit Couple-Content auf Social Media Reichweite aufbauen will. Kurze Videos, dazu fröhliche Musik – das läuft vor allem auf Tiktok sehr ordentlich. Dort haben sie 230.000 Follower. Immer wieder geht es in ihren Clips aber auch um den Islam.
„Erklär-Videos“ klicken sich besonders gut. In Videos mit Titeln wie „Neben wem darf sie alles im Auto sitzen?“ und „Wen darf er alles heiraten?“ erläutern die beiden die Regeln, die sie mit ihrem muslimischen Glauben begründen. Die sind ziemlich streng – und oftmals mit westlichen Werten schwer zu vereinbaren.
Kein Führerschein bei einem Fahrlehrer
Die Inhalte sind jedoch erfolgreich. Auf TikTok generieren die beiden mit einzelnen Clips bis zu 3,8 Millionen Klicks. Sind sie nur ein Sonnenschein-Pärchen mit süßen Couple-Videos, die der breiten Zuschauerschaft ihre Religion näher bringen möchten? Oder werden hier extreme Ansichten an ein vornehmlich junges Publikum gebracht? Getarnt durch fröhlich gespielte Sketche und Meghan-Trainor-Hits im Hintergrund?
Videos wie „Neben wem darf sie im Bus sitzen?“ und „Wem darf sie die Hand geben?“ wollen Gläubige aufklären – und haben es in sich! Amina G. sagt darin beispielsweise, dass sie einem Mann beim Vorstellungsgespräch nicht die Hand reichen würde. Im Bus dürfte sie sogar nicht mal neben ihrem eigenen Cousin sitzen. In der Fahrschule dürfe Amina nicht von einem Mann unterrichtet werden.
Regeln, die viele in den Kommentaren als einschränkend empfinden. Die Informationen über die Verhaltenregeln werden so stehen gelassen, nicht erklärt oder gar begründet.
Auf Anfrage teilt Dzenan G. unserer Redaktion mit: „Dies sind allgemeine Regeln, welche für jeden Muslim – egal ob Mann oder Frau – gelten, falls er richtig praktizieren möchte. Es ist jedem selbst überlassen, wie viel er praktiziert.“ Auch er als Mann dürfe „genauso wenig mit einer fremden Frau alleine Auto fahren“, etwa einer Taxifahrerin.
Es gibt nicht die eine Islam-Auslegung
„Was hier gezeigt wird, ist eine orthodoxe, aber nicht unbedingt untypische Interpretation der islamischen Normenlehre“, erläutert der Islamwissenschaftler Hanin El-Auwad über die Videos. Er ist in der Extremismusprävention mit Schwerpunkt auf islamistische Ideologien und Online-Propaganda tätig. Jedoch stehe diese Glaubenspraxis nicht für die eine Meinung im Islam: „Dass das nicht alle Muslime auf der Welt so leben, sieht man nicht zuletzt an der Alltagspraxis“, so El-Auwad.
Der Islamwissenschaftler würde sich wünschen, dass am Ende solcher Videos ein Hinweis stehen würde. Beispielsweise: „Wir machen es so, das heißt aber nicht, dass das die eine Meinung im Islam zu diesen Themen ist.“ So aber würde sich das Paar indirekt zu einer moralisch-religiösen Autorität erheben, kritisiert El-Auwad.
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Video-Ersteller Dzenan G. widerspricht in diesem Punkt. Unserer Redaktion schreibt er: „Hier ist der ausschlaggebende Punkt, dass wir nur darstellen, wie wir den Islam praktizieren. Im Endeffekt, kann jeder tun und lassen, was er will.“
Islam auf Instagram und TikTok: In Konkurrenz zum Westen
Es gibt weitere, ähnliche Kanäle in den sozialen Medien – religiöse Influencer. Der Missionierungsgedanke spiele dabei immer eine Rolle, klärt El-Auwad auf. „Da werden muslimische Lebensstile gegen den westlichen Lebensstil gestellt.“ Dabei werde vermittelt, dass diese Konzepte in Konkurrenz zueinander stehen würden.
Genau das würden junge Menschen im Netz suchen, weiß Canan Korucu. Sie ist Co-Geschäftsführerin von Ufuq. Der Verein ist in der freien Jugendhilfe sowie der politischen Bildung und Prävention zu den Themen Islam, Rassismus und Islamismus aktiv.
Videos, in denen erklärt wird, was man darf und was nicht, würden vor allem bei den Jugendlichen ankommen, die sich mit ihrer religiösen Identität auseinandersetzen, so Korucu. „Das zeigt ein bisschen, was junge Menschen bewegt und interessiert. Sie hoffen auf Antworten.“ TikTok mit den Videos im Kurzformat werde in letzter Zeit häufiger als Suchmaschine verwendet. „Die Jugendlichen stellen sich die Frage, was sie im Islam dürfen und was er ihnen geben kann“, erläutert die Expertin. Diese Fragen beantworten solche Influencer wie die Paar.
Dzenan G. kann das selbst auch so bestätigen: „Unsere Zuschauerschaft besteht größtenteils aus 18- bis 30-Jährigen, wie in unserer Analyse in der Tiktok-App zusehen ist. Die jüngeren Zuschauer melden sich sehr häufig bei uns und berichten, dass sie viel durch uns lernen.“
Korucu gibt zu bedenken, dass die gezeigte religiöse Praxis des Influencer-Paares orthodox, „vielleicht sogar ultraorthodox“ ist. Es gebe aber verschiedene Umgangsformen mit den Geboten und Verboten einer Religion.
Social Media als Chance in der Migrationsgesellschaft
Canan Korucu würde sich daher mehr Vielfalt der Auslegungsformen des Islams auf Social Media wünschen. „Dann wäre das, was die beiden da teilen, eine mögliche Interpretation von vielen, die nebeneinander stehen könnten“.
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Social Media könne besonders für Minderheiten eine Chance darstellen, ihre Religion zu erläutern, aber auch mit Vorurteilen und Diskriminierung abzurechnen. Die Satire-Gruppe „Datteltäter“ nennt Korucu als positives Beispiel. Dort werden deutsche Lehrer, muslimische Eltern und interkulturelle Paare aufs Korn genommen und auf Rassismus aufmerksam gemacht.