Essen.
Der Mann aus dem Bus hat wieder was Lustiges gemacht. Diesmal tanzt er unkontrolliert in einer Einkaufsstraße – und 500.000 Youtube-Nutzer lachen sich scheckig.
Der Mann aus dem Bus ist sowas wie ein Youtube-Star. Nur: Wahrscheinlich ist er das nicht freiwillig. Irgendjemand filmt den Mann, der augenscheinlich unter Ticks und Zwängen leidet, heimlich und stellt die Videos ins Netz.
Unfreiwillig zum Opfer von Häme
Es gibt Hunderttausende solcher Videos im Internet, in denen Menschen unfreiwillig zu Opfern öffentlicher Häme werden. Selbst wenn die Protagonisten solcher Filmchen offenkundig leiden: Erst neulich sorgte ein Video für Schlagzeilen, das einen Ertrinkenden zeigt: Der junge Mann, der die Kamera hält, macht sich sogar noch über den Sterbenden lustig.
Lust am Lachen über den Idioten
Verroht die Gesellschaft zunehmend? „Das ist kein Phänomen der Neuzeit“, sagt Psychologe Sebastian Bartoschek. Die Lust am Lachen über den vermeintlichen Idioten sei so alt wie die Menschheit selbst.
Nur: „Durch Social Media tritt uns das viel häufiger und viel deutlicher vor Augen“, sagt Bartoschek. Wo früher ein paar Menschen einer Dorfgemeinschaft mit dem Finger auf denjenigen gezeigt haben, der anders ist, können es jetzt Millionen.
Je lustiger, desto mehr Applaus
In den sozialen Medien kommt dann noch das besondere Belohnungssystem dazu: Tagtäglich holen wir uns digitalen Applaus in Form von Likes ab. Das befriedigt. Das Prinzip: Je lustiger und ausgefallener mein Video ist, desto mehr Likes kann ich potentiell bekommen.
Manche Nutzer schneiden Videos, die gar nicht mehr witzig sind, so zurecht, dass sie eine gute Pointe verkaufen können.
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In den sozialen Medien machte zum Beispiel das Video eines vermeintlich lustigen Boots-Unfalls die Runde: Zu sehen ist eine Gruppe von Leuten auf einem Speeboot. Der Steuermann – zunächst in Angeberpose – hat das Gefährt plötzlich nicht mehr unter Kontrolle, und klappt schließlich zur Seite wie ein Brett. Zack, Schnitt, Lacher – nächstes Video.
Fünf Minuten Ruhm
Die ungeschnittene Version geht aber noch weiter: Hier sieht man, wie die anderen Bootsinsassen durch das Boot geschleudert werden, nach dem Unfall zu weinen beginnen, üble Platzwunden an den Köpfen haben. Irgendwer hat dann den lästigen, unangenehmen Kontext weggeschnitten – damit das Video lustig ist und viele Likes abgreift.
„Das sind die fünf Minuten Ruhm, die Andy Warhol meinte“, sagt Bartoschek. Manchen ist dieser Ruhm so wichtig, dass sie die Aussicht auf Likes höher bewerten als die Würde ihrer Protagonisten.
Oft passiert das auch unterbewusst. „Wenn Menschen zum Beispiel Notsituationen filmen, etwa einen Unfall, dann ist das nicht per se böse. Menschen, die etwas filmen, gehen in diesem Moment in eine Distanz zu dem Geschehen, schlüpfen in eine Berichterstatterrolle“, erklärt Bartoschek.