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Erdbeben in Syrien: Ärzte packen über dramatische Zustände aus – „Habe fast Tränen vergossen“

Das Leid nach dem Erdbeben in Syrien ist groß. Zwei Ärzte aus Deutschland packen nun aus, wie dramatisch die Situation auch in einer Klinik ist.

Erdbeben in Syrien
Erdbeben in Syrien: Ärzte müssen bei den Operationen oftmals improvisieren. Foto: Deutsch-Orientalisches Ärzteforum

Seit dem Erdbeben in Syrien kommt kaum Hilfe aus dem Ausland in das kriegsgebeutelte Land. Doch zwei Ärzte aus Deutschland, Jalal Aouf und Hasan Oral, haben den Weg auf sich genommen. In einem Krankenhaus in Afrin haben sie zusammen mit dem Personal versucht Leben zu retten.

Doch was sie in der Klinik vorfanden, schockierte die erfahrenen Mediziner. Die Versorgung der Patienten war teilweise kaum möglich. Im Gespräch mit dieser Redaktion berichten die Ärzte von den schockierenden Zuständen und dem aufopfernden Einsatz der heimischen Mediziner.

Erdbeben in Syrien: Ärzte gehen über ihre Grenzen hinaus

In Deutschland arbeitet Aouf als Facharzt für Innere Medizin im Luisenhospital in Aachen und Oral ist Oberarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie vom Rhein-Maas Klinikum Würselen. Ein jahrelanges Studium, sterile Bedingungen, eine große Auswahl an Medikamenten und OP-Werkzeug – all das ist Standard in deutschen Krankenhäusern. Doch in Nordsyrien sieht die Realität anders aus. Die beiden Ärzte trauten ihren Augen kaum, als sie in der Klinik in Afrin ankamen.

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„Die vermeintliche Intensiv-Station würden wir in Deutschland einen Hinterhof nennen. Da sind 2-3 Betten und hier liegen Menschen mit schwersten Verletzungen. Die Kollegen sind zum einen nicht ausreichend ausgebildet und die Ärzte arbeiten hier im 24-Stunden-Dienst und das fünf Tage hintereinander“, gibt Oral die ersten Eindrücke wieder. Die Ärzte könnten zwischendurch mal schlafen, müssten im Notfall jedoch immer abrufbereit sein – und das schon vor dem Erdbeben.

Jetzt sei es noch schlimmer, weil der Personalmangel durch das Erdbeben in Syrien noch extremer geworden sei. „Ich habe fast nur Patienten gesehen und kaum Ärzte. Die Ärzte, die da waren, haben Tag und Nacht gearbeitet. Direkt am Tag des Erdbebens waren sie vor Ort und haben zwei Tage durchgearbeitet. Alleine in den ersten Tagen wurden hier in Afrin im Krankenhaus 1.500 Patienten operiert. Das kann man sich gar nicht vorstellen, vor allem unter diesen Umständen“, erinnert sich Aouf.

Dramatische Zustände in Klinik

Es mangele an allem: Personal, Medizin und medizinischen Geräten. Zum Teil gebe es einen Arzt für mehrere Bereiche. Nicht wie in Deutschland, wo es Fachärzte, einen Oberarzt oder auch Assistenzärzte gibt. „Wir haben heute zwei Patientinnen mit einer Blinddarmentzündung operiert. Die Kollegen vor Ort haben uns angefleht, dass wir ihren Dienst übernehmen, weil sie nicht mehr können. Das, was man hier im Krankenhaus sieht, wenn ich das so in Deutschland machen würde, wäre ich sofort meine Approbation los“, wird der Oberarzt aus Deutschland deutlich.

Und führt weiter aus: „Die Patienten kommen mit ihrer Straßenkleidung auf den OP-Tisch, es gibt dort auch für Ärzte keine OP-Kleidung. Mitten im Raum werden die Patienten geröntgt ohne, dass das Personal Schutzkleidung trägt. Genau das gleiche bei einer Computertomographie und da sind die Strahlen nochmal hundertfach so schlimm. Man kann sagen, das Personal wird währenddessen richtig gebraten durch die Strahlen. Ich glaube sie wissen, dass die Strahlen für sie schädlich sind, aber im Moment ist ihnen das einfach egal.“ Durch Röntgenstrahlungen kann die DNA eines Menschen beschädigt werden, es kann somit sogar zu einer Krebserkankung kommen.

„Habe fast Tränen vergossen“

Doch auch die psychische Belastung sei kaum auszuhalten gewesen. Viele Menschen, vor allem auch Kinder, seien mit schwersten Amputationen ins Krankenhaus gekommen. Die Worte eines 10-Jährigen, der ein Bein verloren hatte, berührten Oral besonders: „Als wir Visite gemacht haben, hat er über Phantomschmerzen geklagt. Wir wollten ihm gegen die Schmerzen ein Medikament geben. Der Kollege erstellte daraufhin ein Rezept und drückte es dem Patienten in die Hand, damit er es der Familie gebe. Der Junge sagte dann: ‚Ich habe keine Familie mehr‘. Da habe ich echt fast Tränen vergossen.“

Eine etwa 13 Jahre alte Schwester hatte der Junge noch. Doch sie lag ebenfalls schwer verletzt im Krankenhaus, ihre Wirbelsäule ist vermutlich stark beschädigt. Der Rest der Familie ist bei dem Erdbeben in Syrien ums Leben gekommen.


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Als Aouf und Oral nach Syrien gekommen sind, haben sie alle nötigen Gerätschaften und Medikamente mitgebracht. Doch seit Samstag (17. Februar) sind sie wieder in Deutschland und die Überlebenden brauchen weiterhin dringend Hilfe. Deshalb wollen sie nochmal zurückkehren, um die Klinik mit Medikamenten und medizinischen Geräten zu versorgen. Doch dafür ist der ehrenamtliche Verein „Deutsch-orientalisches Ärzteforum“ auf Spenden angewiesen.