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Erdbeben in der Türkei: Frau überlebt vier Tage ohne Essen und Trinken – „Es gab niemanden, weil alle tot waren“

Gizem Gümüş gehört zu den Erbeben-Opfern in der Türkei. Sie schaffte es im letzten Moment aus dem Haus, doch nun steht sie vor dem Nichts.

Erdbeben in der Türkei
Erdbeben in der Türkei: Kahramanmaras liegt in Trümmern. Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Am Sonntagabend (5. Februar) hat es sich Gizem Gümüş noch im Wohnzimmer vor dem Fernseher bequem gemacht. Die ganze Familie war zusammengekommen, um die türkische Fußballmannschaft Galatasaray anzufeuern. Wenige Stunden später folgt das Erdbeben in der Türkei und das Wohnzimmer liegt kurz darauf unter Schutt und Asche begraben.

Barfuß und in Panik rennt die Familie aus dem siebenstöckigen Haus. Innerhalb von Sekunden ist das ganze Gebäude in Kahramanmaras eingestürzt. Sie haben Glück, denn sie wohnen im untersten Stockwerk und kommen gerade noch rechtzeitig raus. Doch der Alptraum hat gerade erst begonnen. Im Interview mit dieser Redaktion schildert die junge Frau den schlimmsten Augenblick in ihrem Leben und wie es nun für sie weitergeht. Eine Dolmetscherin unterstützte das Gespräch.

Erdbeben in der Türkei: In Sekunden liegt alles in Trümmern

Gizem erinnert sich noch genau an den Moment, als sich ihr komplettes Leben veränderte. „Es war 4.30 Uhr. Ich lag im Bett und sehe plötzlich, wie das Bett zum Spiegel hingezogen wird. Es war wie von Geisterhand. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was da passiert ist. Plötzlich hat das Baby meiner Schwägerin geschrien und die Wohnung hat angefangen zu wackeln.“ Dann bricht überall Panik aus und die ganze Nachbarschaft versucht aus dem Haus zu rennen. „Das Einzige, was ich retten konnte, war mein Galatasaray-Trikot und mein Hund“, berichtet die 28-Jährige. Als sie draußen sind, vermischt sich das Geschrei der Menschen und Tiere. Chaos bricht aus und um sie herum liegt alles in Trümmern.

Erdbeben in der Türkei
Erdbeben in der Türkei: Gizem (r.) und ihre Familie schauten wenige Stunden vor dem Erdbeben das Glatasaray-Spiel. Foto: privat

Vor der Tür steht noch der Shuttle-Bus des Vaters. Sie stürmen so schnell sie können zu dem Wagen und rufen noch ihre Nachbarn herbei. Als sie gerade einsteigen wollen, kommt auch schon das zweite Beben. Sie fahren zu einer Erste-Hilfe-Station ganz in der Nähe. Dort realisieren sie erstmals, was gerade passiert ist. Als das Erdbeben gegen 7.30 Uhr aufhört, kehren sie zum Haus zurück. Da ihre Wohnung im ersten Stock liegt, ist sie noch zu Teilen erhalten geblieben – alles darüber ist vollkommen eingestürzt.

„Es gab niemanden, weil alle tot waren“

Die Familie hat alles rausgeholt, was sie finden konnte. „Im Nachhinein war das ein Riesen-Fehler, weil eigentlich jederzeit alles hätte einstürzen können. Die Häuser sind einfach so zusammengesackt. Es grenzt an ein Wunder, dass wir überlebt haben“, reflektiert Gizem. Danach musste die Familie vier Tage lang ohne Hilfe auskommen. „Es gab niemanden, weil alle tot waren. Wir waren vier Tage lang ohne Essen und Trinken und ohne Hilfe. Es war weit unter minus fünf Grad kalt. Es war gar nicht möglich, dass Hilfe zu uns kommen konnte, weil alles eingestürzt war“, wird sie deutlich.

Erdbeben in der Türkei: Aufnahmen kurz nach dem Unglück. Alles liegt in Trümmern

Um nicht in der Eiseskälte draußen schlafen zu müssen, suchen sie Unterschlupf in einem Universitätskongresszentrum. Dort schlafen sie auf dem Betonboden mit lediglich dünnen Decken zum Darunterlegen. Eng an eng mit hundert anderen fremden Erdbeben-Opfern. Irgendwann erreichten sie die Hilfskräfte endlich, sodass sie zumindest etwas Nahrung am Tag kriegen können. „Es gab ein Teeglas voll mit Suppe am Morgen und abends eine Tasse Milch“, berichtet Gizem.

Als die 28-Jährige der Übersetzerin von den Anfängen des Erdbebens berichtet, versucht sie stark zu sein. Doch als ihr die Bilder von den Menschen unter den Trümmern wieder in Erinnerung gerufen werden, bricht sie in Tränen aus. „Meine beste Freundin lag unter den Trümmern. Wir haben drei Tage lang auf Hilfe gewartet, doch niemand kam. So viele Menschen sind gestorben. Alles und jeder, der mir lieb und teuer war, ist nicht mehr da. Ich kann nicht mehr essen und trinken. Bei jedem Geräusch schrecke ich wieder zusammen und habe Angst, dass es wieder los geht.“ Ängste und Alpträume sind nun der ständige Begleiter aller.

Hoffnungsschimmer für Gizem

Ihr Cousin hat irgendwann mitbekommen, dass in Antalya Hotels Erdbeben-Opfer aufnehmen würden. Dort ist Gizem zusammen mit ihren Eltern, ihrem Bruder, seiner Frau und dem 26-Tage-alten Baby sowie drei weiteren Familienmitgliedern vorübergehend untergekommen. Doch das Hotel nimmt die Erdbeben-Opfer nur einen Monat auf, der Familie bleiben somit nur noch knapp zwei Wochen, um eine neue Unterkunft zu finden. „Wir haben nur noch das, was wir am Leib tragen. Alles andere ist weg!“ Doch ohne Hilfe wird das wohl kaum möglich sein, denn alles Geld und alle Dokumente sind weg.


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Über Instagram ist Lisa Osmann auf Gizem aufmerksam geworden. Die beiden Frauen teilen die Leidenschaft zum Fußball und zu ihrem Lieblingsverein Galatasaray. Die Polizistin aus NRW und die Türkin kennen sich nicht persönlich, doch für Lisa Osmann war klar: Ich will helfen. Deshalb rief sie einen Spendenaufruf ins Leben. Die ersten knapp 1200 Euro sind bereits zusammengekommen. Lisa Osmann überwies die Summe direkt an Freunde in Manavgat und diese machten sich umgehend auf den Weg zum Hotel von Gizem. Die junge Frau konnte ihr Glück kaum fassen, als sie das Geld tatsächlich in ihren Händen hielt.

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„Diese Anteilnahme und Hilfe einer eigentlich fremden Person ist fast wie ein Wunder. Das gibt mir viel Kraft und hilft mir, den Tag zu überstehen“, zeigt sich Gizem dankbar. Die Polizistin mit türkischen Wurzeln hofft noch mehr Geld zusammen zu bekommen. Denn von den Spenden will sich die neunköpfige Familie eine Wohnung in Antalya mieten, damit sie den Alptraum hinter sich lassen und überhaupt erstmal neu anfangen können. Im März möchte die 32-jährige Beamtin Gizem in der Türkei besuchen kommen – hoffentlich dann in einem neuen Zuhause.