Ab Mai 2016 müssen abschreckende Fotos auf Tabakprodukten prangen. Zum Unmut der Zigarrenbranche will die Politik die EU-Vorgaben sogar übertreffen.
Berlin.
Schockfotos und große Warnhinweise auf verzierten und aufwändig gefertigten Zigarrenkisten – für Horst Goetschel eine Schockvorstellung. Der Ex-Unternehmer und Vorstand des Netzwerkes der Tabakwirtschaft MUT befürchtet das Schlimmste – für die eine Million Zigarren- und 750 000 Pfeifenraucher in Deutschland und die Mittelstandsfirmen. Dann nämlich, wenn die Bundesregierung die EU-Tabakrichtlinie nicht nur umsetzt, sondern weiter geht als nötig.
Anders als Zigaretten-Multis hätten Zigarrenhersteller und -Händler – zumeist Familienbetriebe – enorme Probleme mit der Umsetzung der Vorgaben zu Verpackung und Vertrieb, warnt Goetschel. Vielen drohe das Aus, mehr als 1000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Für Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gilt: Rasch Klarheit schaffen, praktikable Umsetzung. Vor allem aber geht es um gesundheitlichen Verbraucherschutz von Kindern und Jugendlichen.
Jährlich 700 000 Tote wegen Tabakkonsums in der EU
„Jugendschutz?“, fragt sich Goetschel, dem partout keine Statistiken zum Anteil jugendlicher Zigarren- und Pfeifenraucher bekannt sind: „Das ist weit übers Ziel hinausgeschossen“, klagt der Mann vom MUT-Netzwerk, das nach eigenen Angaben mehr als 3000 Familienbetriebe mit über 15 000 Beschäftigten vertritt.
Weltweit sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation jährlich sechs Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, in der EU sind es schätzungsweise 700 000 Menschen. Gesundheitsschäden und Folgekosten für den Staat sind unstrittig. Weshalb sich Tabak-Freunde vom kommenden Jahr an auf einiges gefasst machen müssen: Ob krebsbefallene Lungen, faulende Raucherbeine oder geschwärzte Zahnstümpfe – Gruselbilder und abschreckende Warnungen auf einem Großteil der Packungen sollen die Lust am Glimmstängel dämpfen.
Heftig diskutierte EU-Richtlinie
Die neue, nach langem Streit 2014 ausgehandelte EU-Richtlinie für Tabakprodukte hat klare Vorgaben: Mindestens zwei Drittel der Vorder- und Rückseite müssen für Schock-Bilder und aufklärende Texte reserviert sein – weit mehr als bisher schon. Aromen, die den Tabakgeschmack überdecken, sollen vom Markt verschwinden. Für Mentholzigaretten gilt eine Übergangsfrist bis zum Verbot. Und natürlich sind Klagen anhängig, nicht nur von Unternehmen.
Bis Mai 2016 müssen die Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt sein. Doch die Branche bleibt im Ungewissen. Ein Gesetzentwurf der schwarz-roten Bundesregierung zieht sich – das Landwirtschafts- sowie das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt suchen weiter eine gemeinsame Linie. Ein abgestimmter Referentenentwurf lag bis Ende September noch nicht vor. Nicht nur, weil es um Werbe- und Reklameverbote geht. Schmidt will – außerhalb der Tabakrichtlinie – keine Außen- und Kinowerbung für Tabakerzeugnisse und E-Zigaretten zulassen.
EU-Vorgaben sehen Ausnahmen für Zigarren vor
Es geht aber auch um die Frage, wie genau die Brüsseler Richtlinie letztlich umgesetzt wird. Denn für Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak soll es nach den EU-Vorgaben eigentlich Ausnahmen geben können – die Warnhinweise fielen dann nicht ganz so groß aus, und auf Schockfotos könnte ganz verzichtet werden. Doch wohl auch Zigarren und Zigarillos sollen nach bisherigem Stand unter die ganz strengen Regeln fallen. Obwohl Union und SPD per Koalitionsvertrag vereinbart hatten, EU-Richtlinien eins zu eins umsetzen zu wollen.
Aus Sicht der CDU-Bundestagsabgeordneten Kordula Kovac, die als zuständige Berichterstatterin im Agrarausschuss sitzt, haben im Gegensatz zur Zigarettenindustrie mit ihrer Massenware mittelständische Zigarren- und Zigarillo-Hersteller weit mehr Probleme mit den Warnhinweisen. Denn die müssten oft in kleinen Serien gedruckt und per Hand aufgebracht werden – bis hin zu Aufklebern auf Alu-Hülsen für Einzelzigarren. Nicht nur die Verpackungsvielfalt sei groß, auch die Konsumenten seien andere.
Tabakindustrie ist uneins
Eine Lösung wäre, die Ausnahmen – wie von Brüssel erlaubt – zuzulassen und ihre Wirkung zu bewerten. Etwa die Frage, ob Konsumenten zu Zigarren oder Zigarillos abwandern, weil Warnhinweise auf Schachteln kleiner ausfallen und weniger schocken.
Die Tabakindustrie zieht im Lobbyisten-Kampf wohl nicht an einem Strang. In den mehr als 27 000 Tabakwarenläden entfallen auf Zigarren und Pfeifentabak im Schnitt zwar nur sechs Prozent des Tabakwarenumsatzes. Aber verschwinden Zigarren und Zigarillos, gibt es Profiteure – nicht nur unter Verbraucherschützern. Dann würden die hart umkämpften und teuer erkauften Regalflächen in Geschäften frei – für Zigaretten. Der Leitspruch eines Multis lautete einmal: „Alle Tabakprodukte müssen gleich behandelt werden.“ (dpa)