Der Umsatz mit vegetarischen und veganen Lebensmitteln steigt massiv. Viele Wursthersteller erweitern deshalb mit Erfolg ihr Sortiment.
Berlin.
Schinkenspicker, Salami, Mett: Deutsche lieben Wurst. Sie muss aber nicht mehr unbedingt aus Fleisch bestehen. Der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten sei im vergangenen Jahr um fast 26 Prozent auf 454 Millionen Euro gestiegen, meldete kürzlich das Institut für Handelsforschung in Köln. Marktführer ist ein Fleischkonzern, dessen angestammtes Geschäft bröckelt: Der Markt für Wurst aus Fleisch schrumpfte um zehn Prozent.
„Wurst ist Wurst, egal woraus sie besteht – so sehen das immer mehr Konsumenten unter 40“, sagt Wolfgang Adlwarth von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg. „Der klassische Wurstmarkt ist zunehmend für die ältere Kundschaft.“ Die Jüngeren kauften Fleischersatz – eher aus gesundheitlichen als aus ethischen Motiven. Den derzeitigen Boom erzeugten die Flexitarier – Menschen, die weniger Fleisch essen wollen. Sie griffen vorzugsweise zu Produkten, die sie in Fleischform schon kennen: fleischfreier Fleischsalat, Mortadella – alles „so ähnlich wie möglich an der Fleischvariante“, sagt der Konsumforscher.
Kritik: Fleischkonzerne achten nicht auf Tierschutz
Darauf setzen mittlerweile fast alle großen Fleischproduzenten. Die Rügenwalder Mühle hat 20 fleischfreie Produkte im Sortiment, bis Ende des Jahres sollen sie ein Drittel des Umsatzes ausmachen. Damit ist der Fleischkonzern Marktführer im Veggie-Markt – nur anderthalb Jahre nach dem Start. „Da die Produkte so gut ankommen, führen wir noch mehr ein“, sagte Firmensprecherin Gabriele Soballa. Auch Wiesenhof, Ponnath, Herta und Meica haben nachgelegt: Fleischfreies Fleisch von Fleischfabrikanten steht in allen Supermärkten.
Kleinere Anbieter fliegen dafür auch schon mal raus. „An unserer Stelle stehen jetzt die großen Fleischkonzerne“, sagt Dörte Ulrich, Inhaberin von „Lord of Tofu“ aus Lörrach in Baden-Württemberg. Ihr veganer Fleischersatz sei schon vor Monaten aus dem Sortiment von Edeka und Tegut gestrichen worden. Verdrängt von einer Konkurrenz, „die mit Tierwohl wenig am Hut hat“, sagt Ulrich. „Ihr Fleisch stammt aus Massentierhaltung, und das neue Veggiefleisch besteht überwiegend aus Eiern von Hühnern, die in solchen Haltungsformen leben müssen“, sagt Ulrich.
Ziel ist, den Fleischkonsum zu senken
Sie ärgert sich über den Vegetarierbund (Vebu), mit dessen Unterstützung die Rügenwalder Mühle wirbt und der sein V-Siegel auch an Fleischfirmen vergibt. „Es kann nicht sein, dass die größte deutsche Lobbyorganisation für Vegetarismus die Fleischindustrie unterstützt.“ „Lord of Tofu“ ist deshalb ausgetreten, „viele kleine Händler teilen unsere Kritik“.
Der Vebu sieht dagegen keinen Widerspruch zu seinem Ziel, „den Fleischkonsum der Bevölkerung langfristig zu senken“ – gerade durch ein größeres Angebot an Produkten: „Wir unterstützen den Weg von Unternehmen, Fleischprodukte durch vegetarische und pflanzliche Alternativen zu ersetzen“, sagte Sprecherin Stephanie Stragies. „Die Rügenwalder Mühle vertreibt sogar bereits vegane Produkte.“
Fleischfreie Produkte nicht unbedingt gesünder
Die kleinen Branchenpioniere hätten eine andere Rolle: „Sie bringen die Innovationen auf den Markt.“ Dass sie durch die Großen verdrängt werden, glaubt Stragies nicht: „Sie haben ja meist eine andere Zielgruppe.“ So sieht das auch der Nürnberger Marktforscher Adlwarth: „Überzeugte Veganer und Vegetarier kaufen erst gar nicht bei Firmen, die Fleisch im Sortiment haben, und sie achten beim Einkauf viel mehr auf die Zutatenliste.“
Die neuen vegetarischen Würste enthalten tatsächlich meistens Eiklar, bestätigt Sophie Herr vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Sie sollen eben genauso sein wie Fleisch, das klappt mit Ei am besten.“ Auch enthielten sie oft chemische Zusatzstoffe. „Was fleischfrei ist, ist nicht grundsätzlich gesünder“, sagt Herr.
Gut fürs Geschäft sind die Produkte offenbar. „Vielleicht profitieren aber auch wir Kleinen vom Erfolg der Fleischfirmen“, sagt Hermann Krämer, Geschäftsführer der purvegan GmbH, die ihren Fleischersatz aus Lupinen ausschließlich in Biomärkten verkaufen: „Sie wecken die Offenheit für vegetarische Produkte bei mehr Menschen – die dann irgendwann auch die Produkte von unbekannten Firmen ausprobieren.“ (epd)