„Deutschland hat Nachholbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit.“ Zu diesem Ergebnis kam Anfang 2011 eine Studie der Bertelsmann Stiftung, in der versucht wurde, die soziale Gerechtigkeit in den OECD-Ländern zu messen – und zu vergleichen. Die grundlegende Frage lautet: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit die Bürger ein selbstbestimmtes Leben haben können?
Wichtigste Voraussetzung ist laut der Studie die Vermeidung von Armut. Dazu kommen der Zugang zu Bildung und Chancen auf einen Arbeitsplatz. Schließlich spielen Einkommensverteilung, Integrationspolitik sowie die Generationengerechtigkeit eine wichtige Rolle.
Die Studie ermittelt die soziale Gerechtigkeit als Index anhand von Statistiken und Expertenbefragungen. Das Ergebnis weist Island als sozial gerechtestes Land aus, die Türkei als das am wenigsten gerechte. Deutschland landete auf Platz 15 von 31. Aber bedeutet dieser Mittelfeldplatz auch, dass die Deutschen mit ihrem Leben unzufrieden sind?
Fragt man die Bürger selbst nach ihrer Zufriedenheit, wie etwa die EU in ihrem Eurobarometer im Mai 2010, bleibt die Rangfolge der Länder ähnlich: die Menschen in den skandinavischen Ländern sind mit ihrem Leben am zufriedensten. In Deutschland beträgt der Anteil der zufriedenen Menschen 84 Prozent, in der Türkei 65 Prozent. Auffällig ist jedoch, dass etwa Irland nur auf Platz 27 des Gerechtigkeitsindex auftaucht, hier jedoch 88 Prozent der Menschen zufrieden sind – mehr als in Deutschland. Die gemessene Gerechtigkeit scheint also nicht immer mit der selbst eingeschätzten Zufriedenheit zusammenzuhängen.
Möglicherweise tragen auch Bereiche, die nicht im Index abgebildet werden, zur Zufriedenheit bei. So ist etwa ein leistungsfähiges Gesundheitssystem wesentliche Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Bei den Zugangsmöglichkeiten ist das deutsche System mit seiner Versicherungspflicht für alle Bürger gut aufgestellt.
Gerechtigkeitsüberlegungen im Gesundheitssystem werden noch relevanter, wenn es um den Umfang der von den gesetzlichen und privaten Versicherungen finanzierten Leistungen geht. Falls nämlich die Ausgaben für Gesundheit in Zukunft – wie prognostiziert – weiter ansteigen, stellt sich auch die Frage nach einer Priorisierung bzw. Rationierung von Leistungen. Dabei muss sichergestellt werden, dass der Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen nicht durch mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit der einzelnen Bürger beschränkt wird.
Bessere Bildungschancen und Armutsbekämpfung sind wichtige Elemente, um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu erhöhen. Ein leistungsfähiges und nachhaltig finanziertes Gesundheitssystem ist es aber auch.