Versicherungsverband will „sanften Zwang“ zur Zusatzvorsorge
Die deutsche Versicherungswirtschaft will die Riester-Rente reformieren. Und dann soll sie mit „sanftem Zwang“ verbreitet werden.
Berlin.
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, als der damalige sozialdemokratische Arbeitsminister Walter Riester 2001 das Rentensystem reformierte, indem er eine staatlich bezuschusste private Altersvorsorge einführte. Politik und Versicherungswirtschaft, die von dem Verkauf der subventionierten Produkte nach wie vor profitiert, waren sich seither meist einig darin, die Vorzüge dieses Systems zu preisen. Als CSU-Chef Horst Seehofer nun vor einem knappen Monat die Riester-Rente für „gescheitert“ erklärte und die „Neoliberalisierung“ des vorigen Jahrzehnts geißelte, rieb man sich beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Augen. So hatte sich noch kein Chef einer Regierungspartei geäußert.
GDV-Präsident Alexander Erdland reagiert entsprechend verschnupft. „Alle, die jetzt ein Konzept verteufeln, für das sie vor 15 Jahren geworben haben, zerstören Vertrauen“, sagt Erdland dieser Zeitung. „Mehr als 16 Millionen Menschen sind den Empfehlungen der Politik gefolgt und haben privat vorgesorgt. Will man 16 Millionen für dumm verkaufen?“ Erdland hält dagegen: Insgesamt 16,5 Millionen Riester-Verträge seien für ein freiwilliges Angebot eine gute Bilanz, im internationalen Vergleich sogar hervorragend. 2015 seien 360.000 Riester-Versicherungsverträge neu abgeschlossen worden.
Riester auch für Selbstständige
Kritik, dass von der Riester-Rente vor allem Gutverdiener profitieren, will der Verbandspräsident nicht gelten lassen. Rund 40 Prozent der Geringverdiener mit unter 1500 Euro brutto im Monat hätten laut Bundesregierung Riester-Verträge abgeschlossen. Damit sich die Zahl erhöht, schlagen die Versicherungen vor, private Vorsorge nicht mehr automatisch auf die Grundsicherung anzurechnen und Freibeträge einzuführen. „Es ist nicht motivierend, wenn man vorgesorgt hat und am Ende nicht besser dasteht“, so Erdland.
Außerdem sollten auch Selbstständige Riester-Verträge abschließen können und die Einzahlung in diese Vorsorgeform flexibilisiert werden. So sollten Sparer Beitragszeiten nachholen können, wenn sie die Zahlungen eine Zeit lang aussetzen. Die Versicherungswirtschaft dringt außerdem darauf, die staatliche Verwaltung der Zulagen zu vereinfachen. Ein Viertel der Riester-Kosten entfällt laut GDV-Schätzung auf die „staatliche Verwaltung mit 1000 Mitarbeitern“, welche Veränderungen in den Einkommensverhältnissen der Kunden kontrolliere. Das sei unnötig.
Erdland macht sich auch für einen „sanften Zwang“ zur Vorsorge stark. So sollten Arbeitsverträge in Zukunft automatisch eine zusätzliche Altersvorsorge enthalten, es sei denn, der Arbeitnehmer widerspricht (Opt-out-Regel).
Auch kommt man nach Ansicht der Versicherer um eine durchschnittlich längere Lebensarbeitszeit nicht herum. Würden die Rentenreformen von 2002 und 2004 außer Kraft gesetzt, bliebe das Rentenniveau im Jahr 2050 zwar bei 47 Prozent, aber die Beiträge stiegen auf 29 Prozent, rechnet Erdland vor.
Provisionen für Versicherungen sollen sinken
Mit Blick auf die Kritik an den Riester-Produkten, insbesondere an der Intransparenz und den hohen Provisionen, gelobt Erdland Besserung: „Dass die Provisionen beim Abschluss von Lebensversicherungen sinken, daran arbeiten wir gerade.“ Die einmalig einkalkulierten Abschlusskosten seien bereits um 40 Prozent gesenkt, die Regelungen zur Überschussbeteiligung verbessert worden. Auch wolle man Verwaltungskosten senken und für mehr Transparenz sorgen. Aber: „Generell muss die Politik vorgeben, wie sie die Riester-Rente reformieren will.“
Die Gewerkschaften erneuerten ihre Forderung nach einem höheren Rentenniveau. Verdi-Chef Frank Bsirske forderte ein Niveau von 50 Prozent. „Nach jahrzehntelanger Arbeit haben alle Menschen das Recht, ein anständiges Leben in Würde führen zu können“, sagte er auf einer Maikundgebung. Die Riester-Rente sei eine Fehlkonstruktion.