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Unsicherheit als Dauerzustand

Unsicherheit als Dauerzustand

Hagen. 

Rettungsassistent Thomas Diecks arbeitet mit Leidenschaft: Auf seine 40 Wochenstunden packt er noch die Hälfte drauf an ehrenamtlichem Einsatz für die Johanniter. Doch sobald Diecks seinen Krankenwagen in Hagen abschließt, beginnen die Sorgen um seine Zukunft, denn: Die Johanniter im Ennepe-Ruhr-Kreis kämpfen mit der Globalisierung. Spätestens seit 2010 der EU-Gerichtshof bestätigte, dass auch Rettungs- und Krankentransporte vom Vergaberecht betroffen sind, drängen private Anbieter massiv in den Markt.

Vor wenigen Tagen erst hat der Privatanbieter Falck seinen zweiten Gerichtsprozess gegen den Ennepe-Ruhr-Kreis gewonnen. Zuerst erzwang er eine Ausschreibung der Rettungs- und Krankentransporte, dann eine Korrektur der Ausschreibung, weil der Kreis zu kurze Fristen gesetzt hatte.

Aus Sicht von Falck – eine multinationale Unternehmensgruppe, die bereits in Gelsenkirchen und Hamm Aufträge gewonnen hat – ist das „Protektionismus“. Sprecher Christoph Lippay erklärt: Wenn alle Aufträge vergeben sind, müsse man sich jeden Auftrag erkämpfen. Für Mitarbeiter wie Thomas Diecks bedeutet der Verteilungskampf eine dreifache Verschlechterung:

Gleiche Arbeit für weniger Geld

Diecks Job ist nur sicher, bis der Gewinner der Ausschreibung im Ennepe-Ruhr-Kreis feststeht – voraussichtlich Ende des Jahres. Aber egal, wer das Los zieht – der nächste Vertrag wird auch nur auf ein Jahr befristet sein können. Denn für diesen Zeitraum hat der Kreis ausgeschrieben. Hintergrund ist die rechtliche Unsicherheit. Auf EU-Ebene wird gerade diskutiert, ob es für Rettungsdienste doch eine Ausnahme von der allgemeinen Ausschreibepflicht geben kann.

Was nach diesen zwei Jahren kommt, hängt also von den großen politischen Entscheidungen ab. Aber nach jetzigem Stand wird alle fünf Jahre neu vergeben – die Unsicherheit wird damit endgültig zum Dauerzustand.

Würde das Los an Falck gehen, müsste Diecks wohl wechseln. Überhaupt erledigen größtenteils die gleichen Menschen die Arbeit wie zuvor – nur bei einem neuen Arbeitgeber. Und wie kann der günstiger sein, wenn 80 Prozent aller Kosten die Löhne ausmachen?

Falck-Sprecher Christoph Lippay: „Wir haben ein richtiges Management und keinen ehrenamtlichen Vorstand, der den Hauptamtlichen reinredet.“ Die Gewerkschaft Verdi spricht dagegen unverhohlen von „Lohndumping“.

Thomas Diecks bekommt als junger Rettungsassistent bei den Johannitern rund 2400 Euro brutto im Monat plus diverse Zulagen. Bei der Falck-Gruppe (und ihren Töchtern wie Krankentransport-Herzig) beträgt das Einstiegsgehalt nur 1950 Euro. Das sind fast 19 Prozent weniger. Bei Rettungssanitätern sieht es ähnlich aus, nur auf noch niedrigerem Niveau.

Verdi-Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen: „Hinzu kommt meist eine Ausweitung der Arbeitszeit.“ Bei den Johannitern hat Diecks Anspruch auf 29 Tage Urlaub, bei Falck wären es nur 26. Zehn Überstunden im Monat werden nicht vergütet.

Weniger Helfer bei Großereignissen

Allerdings gibt es auch bei den Hilfsorganisationen Haustarife. Zum Beispiel sind nur zwei Einheiten des Deutschen Roten Kreuzes in NRW an den DRK-Reformtarifvertrag gebunden, erklärt von Hagen. Aber es gebe keine Häufung solcher Fälle, während dies bei den Privaten die Regel sei. Auch werde „ehrenamtliche“ Mehrarbeit von den sozialen Arbeitgebern „systematisch eingeplant“, was die Gewerkschaft ebenfalls anprangert.

„Ich will das leben, wovon ich überzeugt bin“, sagt Diecks. Und das bedeutet für ihn nicht nur: Menschen helfen. Die Johanniter sind für ihn auch eine Wertegemeinschaft, eine zweite Familie. „Wenn alle paar Jahre das Los wechselt, werden die wenigsten Ehrenamtler den Aufnäher mit wechseln“, glaubt er.

Doch damit stehen die Helfer auch für den Bevölkerungsschutz nicht mehr zur Verfügung, der in der Regel bei den Hilfsorganisationen verbleibt. Die Folge: Für Großereignisse wie das Champions-League-Finale gibt es weniger Sanitäter und andere Helfer. Müssten sie zugekauft werden, wird’s teuer – für die öffentliche Hand.