Spekulationen über eine Zusammenarbeit zwischen Thyssen-Krupp und dem indischen Tata-Konzern im Stahlbereich sorgten für Aufregung an der Börse.
Essen.
Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger lässt seit einiger Zeit keinen Zweifel daran, dass der Tag naht, an dem Deutschlands Stahlindustrie einen Umbruch erlebt. „Wir sehen die Probleme der gesamten Stahlindustrie und gehen dabei davon aus, dass es irgendwann zu Zusammenschlüssen von Stahlherstellern in Europa kommen wird“, sagte Hiesinger vor vier Monaten. „Wenn sich Chancen bieten, müssen und werden wir uns daran beteiligen“, fügte er hinzu. Bei der Hauptversammlung Ende Januar legte Hiesinger nach: Die „aktuell kritische Lage“ erhöhe den Druck auf alle Stahlhersteller, über Fusionen nachzudenken.
Spekulationen über eine mögliche Zusammenarbeit von Thyssen-Krupp mit dem indischen Konzern Tata Steel bewegten am Freitag erneut die Aktienmärkte. Bereits zu Wochenbeginn hatten Analysten der Berenberg Bank die Anleger aufhorchen lassen. „Ein Zusammenschluss von Tata Steel und Thyssen-Krupp könnte unserer Meinung nach nun mehr sein als eine Hypothese“, schrieben die Experten, nachdem Tata Rückzugspläne für Großbritannien verkündet hatte.
Salzgitter schon lange im Gespräch
Unter Berufung auf Berliner Regierungskreise berichtet nun die „Rheinische Post“, Tata sei in weit fortgeschrittenen Gesprächen mit Thyssen-Krupp. Es gebe aber noch eine zweite Option – ein Zusammenschluss der niedersächsischen Salzgitter AG mit der Stahlsparte des Essener Konzerns.
Über die Idee einer solchen „Deutschen Stahl AG“ wird schon länger diskutiert. Am Salzgitter-Konzern ist auch das Land Niedersachsen beteiligt. Entsprechend groß ist der Einfluss der Landesregierung. Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann stellte aber vor Wochen klar, er plane trotz der Stahlkrise keine Fusionen oder Zusammenlegungen. „Wir halten sehr viel von Selbstbestimmung“, betonte er Mitte Februar. Auch da war schon von Tata als einem möglichen Partner für Thyssen-Krupp die Rede.
Im NRW-Wirtschaftsministerium wird die Entwicklung beobachtet. Zu Berichten, Tata Steel verhandele mit Thyssen-Krupp, teilte das Ministerium mit: „Im Mittelpunkt unserer Bemühungen steht die Sicherung von Nordrhein-Westfalen als wichtiger Standort der Stahlindustrie.“
Stahlbranche klagt über chinesische „Dumpingpreise“
Dass es hinter den Kulissen Kontakte der Konzerne gibt, bestätigen mehrere Insider. „Jeder spricht mit jedem“, heißt es. Schließlich sei der Handlungsdruck enorm. „Die Lage auf dem Stahlmarkt ist kritisch“, warnen die deutschen Personalchefs der Konzerne Arcelor-Mittal, HKM und Thyssen-Krupp Steel in einem offenen Brief. „Die Stahlnachfrage stagniert, es sind keine Wachstumsimpulse zu erwarten.“
Die Branche klagt über Stahl aus China mit „Dumpingpreisen“. Hinzu komme, dass die europäische Klimapolitik der Industrie hohe Kosten aufbürden könnte. Für den 11. April ist eine Demonstration geplant. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann haben ihre Teilnahme zugesagt.
Für Thyssen-Krupp verfolgt Vorstandschef Hiesinger den Plan, den Konzern als Ganzes weiterzuentwickeln. „Der Kernrohstoff des Konzerns ist Stahl“, sagt Günter Back, Betriebsratschef der Stahlsparte. Der Werkstoff sei wichtig für die vielen Geschäftsfelder – Aufzüge, Anlagenbau, U-Boote oder Maschinen. „Ich kann mir schlecht vorstellen, dass der Grundwerkstoff Stahl in einer solchen Strategie keine Rolle spielen soll.“ Doch der Großaktionär Cevian macht Druck und sieht die Verbund-Strategie skeptisch.
Wichtiges Werk in den Niederlanden
DZ-Bank-Analyst Dirk Schlamp rechnet damit, dass Thyssen-Krupp mittel- bis langfristig einen kompletten Ausstieg aus dem Stahlgeschäft anstreben dürfte.
Tata Steel hatte 2007 den britisch-holländischen Konzern Corus übernommen und war zum zweitgrößten Stahlproduzenten in Europa hinter dem Branchenprimus Arcelor-Mittal aufgestiegen. Eine wichtige Rolle spielt für Tata das Stahlwerk im niederländischen Ijmuiden. Die Anlage ist nur rund 200 Kilometer von Duisburg entfernt und verfügt über einen eigenen Nordsee-Hafen, was vergleichsweise niedrige Kosten für den in der Stahlproduktion wichtigen Rohstoff Erz ermöglicht.
Das Werk Ijmuiden gehörte übrigens vor mehr als 40 Jahren schon einmal zum Thyssen-Krupp-Vorgängerkonzern Hoesch. Doch nach einigen Jahren kam es wieder zur Trennung.