Veröffentlicht inWirtschaft

„Transferunion stärkt Anti-Europäer“

Transferunion stärkt Anti-Europäer

Bildnummer_ 53596710 Datum_ 13_11_2009 Copyright_--543x199.jpg
Foto: imago stock&people
Eine europäische Wirtschaftsregierung, wie sie Merkel plant, würde die Bürger überfordern, Deutschland zurückwerfen und Anti-Europäern neuen Zulauf bescheren. So lautet das verheerende Urteil des Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt, Chef des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts (RWI) Essen.

Essen. 

Die Pläne für eine europäische Wirtschaftsregierung interessieren vor allem Experten. Dabei würde eine gemeinsame Sozial-, Steuer- und Lohnpolitik alle Bürger betreffen. Über die bevorstehende Zäsur sprach Stefan Schulte mit dem Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt.

Frankreich und Deutschland versuchen, auf diplomatischem Wege eine europäische Wirtschaftsregierung durchzusetzen. Was das bedeutet, ist vielen Bürgern nicht bewusst. Erleben wir in Europa gerade eine stille Revolution von oben?

Schmidt: Zumindest würde eine Wirtschaftsregierung mehr Abstimmung zwischen den Euro-Staaten bedeuten, als viele Bürger zu tragen bereit sind. Die EU hat ohnehin ein ständiges Problem der Legitimierung. Wenn man nun durch die Hintertür in eine Transferunion steuert, bei der die starken Volkswirtschaften wie Deutschland die schwächeren dauerhaft mitfinanzieren, würden die Anti-Europa-Verführer in vielen Ländern Aufwind erhalten.

Ist Europa nicht längst eine Transferunion? Wir mussten doch bereits Griechenland und Irland mit unseren Steuergeldern retten.

Das ist nur deshalb passiert, weil die bisherigen Stabilitäts-Regeln gescheitert sind. Nicht, weil sie falsch wären, sondern weil sie nicht ernst genommen wurden, selbst von Deutschland und Frankreich nicht. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stimmt man die nationale Politik zentral in Brüssel ab, dann erhält man einen politischen Euro. Oder man macht die bisherigen Regeln härter. Ich wäre für die zweite Lösung. Entscheidend ist dann, dass die angedrohten Konsequenzen auch gezogen werden, wenn ein Land gegen die Regeln verstößt. Nur wenn jeder für seine Fehler einstehen muss, kann man die nationale Souveränität bewahren.

Merkel steuert aber in eine andere Richtung.

Dieser Eindruck drängt sich auf. Ich bin nicht sehr hoffnungsfroh, dass wir eine Transferunion noch abwenden können.

Das würde gegen den Maastricht-Vertrag verstoßen. Muss man nicht die Bürger fragen, ob sie eine gemeinsame Renten- und Lohnpolitik überhaupt wollen?

In der momentanen Krise geht das natürlich nicht. Aber sollte die Transferunion zum Dauerzustand werden, wird das nicht ohne die Bürger gehen . . .

. . . die das nicht wollen, wie Sie sagen. Klingt nach einem Dilemma ohne Ausweg.

Ja, das Risiko des Scheiterns ist groß. Ich sorge mich wirklich, ob es noch eine Möglichkeit gibt, den schleichenden Weg in die Transferunion mit all ihren Gefahren zu verlassen. Man weiß ja noch nicht im Detail, wie die Wirtschaftsregierung funktionieren soll. Aber was man bisher hört, klingt bedrohlich. Denken Sie nur an den Vorwurf, Deutschlands Exporterfolge gingen zu Lasten der anderen EU-Länder. Die werden das mit vereinten Kräften ändern wollen.

Aber ist es nach der Griechenland-Krise nicht konsequent, gemeinsam einschreiten zu wollen, bevor es überhaupt so weit kommt?

Man kann so argumentieren. Doch was ist mit dem Rest der Welt? Merkel hat gesagt, die Euro-Länder müssten sich am Besten orientieren, nicht am Mittelmaß. Doch genau dazu dürfte es kommen, wenn die Standards angeglichen werden. Ich glaube, dass ein Wettbewerb nationaler Sozial- und Steuersysteme auch die Triebfeder für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist. Deutschland würde durch eine europaweite Angleichung an weltweiter Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Ist das nicht sehr egoistisch gedacht?

Ist nicht ein wirtschaftlich starkes Deutschland das Beste, was Europa passieren kann?

Schon, aber ein einheitliches Rentenalter etwa ist doch auch eine Frage der Gerechtigkeit. Die Bürger verstehen nicht, warum sie fünf Jahre länger arbeiten als die Griechen und sie dann auch noch retten sollen.

Natürlich nicht. Die Lebenserwartung ist auch in Griechenland gestiegen, also können sie länger arbeiten. Daran müssten sie ein eigenes Interesse haben. Dass wir helfen mussten, ist nur passiert, weil Europa bisher Scheinregeln aufgestellt hat, die zu brechen keine Konsequenzen nach sich gezogen hat. Das ist wie bei einer Versicherung. Wer rundum versichert ist, geht mehr Risiko ein als mit einem Selbstbehalt. Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit der Stabilitätsregeln. Die erreicht man durch Taten und nicht dadurch, dass man täglich von Neuem über eine Ausweitung des Rettungsschirms redet.

Widerspräche nicht eine EU-Kontrolle der Lohnentwicklung der Tarifautonomie?

Ich wüsste nicht, wie man das in Einklang bringen sollte. Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen damit, dass die Politik sich aus der Lohnfindung heraushält. Die Vorstellung, dass Brüssel Gewerkschaften und Arbeitgebern vorgibt, in welchem Rahmen sie zu verhandeln haben, ist absurd. Wie soll das gehen? Man kann die Lohnniveaus verschiedener Länder zudem nicht vergleichen.

Herr Schmidt, steht Europa auf einer Zeitenschwelle? Müssen wir uns entscheiden, ob wir die Vereinigten Staaten von Europa oder nur nette Nachbarn sein wollen

Schmidt: Ja, die nächsten Jahre werden entscheidend sein. Wir können die Vereinigten Staaten von Europa aber auch haben, ohne die fiskalische Souveränität der Staaten aufzugeben.