Das Handwerk hat goldenen Boden, hieß es lange Zeit. Nur: Immer weniger wollen offenbar darauf stehen; die Branchen spüren den Nachwuchskräftemangel konkret. Zum „Tag des Handwerks“ am 19. September, haben wir mit Willy Hesse, dem Präsidenten der Handwerkskammer Südwestfalen, gesprochen – über vergangene Zeiten und den Blick in die Zukunft.
Arnsberg.
Früher als Motor der deutschen Wirtschaft hoch gelobt, leidet das Handwerk längst unter Imageverlust. „Das Berufsfeld ist in den Köpfen der Menschen nur spärlich vertreten“, weiß Markus Kluft als Pressereferent der Handwerkskammer Südwestfalen. Um das Handwerk wieder ins Bewusstsein zu rücken, findet am kommenden Samstag, 19. September, der Tag des Handwerks statt, an dem auch die Handwerkskammer Südwestfalen ihre Türen auf dem Gelände des Berufsbildungszentrums in Arnsberg öffnet. Das Motto des Aktionstags lautet: „Leidenschaft ist das beste Werkzeug“.
Leidenschaft fehlte dem Dachdecker Willy Hesse für seinen Beruf nie. Der heute im Ruhestand lebende Präsident der Handwerkskammer Südwestfalen hat die goldenen Zeiten des Handwerks erlebt und berichtet im Interview mit unserer Zeitung wie sich diese heute verändert haben.
Steht das Handwerk noch immer auf goldenem Boden, oder sind diese Zeiten längst vorbei?
Willy Hesse:
Das Handwerk war über viele Jahrhunderte dominierend. Es steht zwar heute sicher nicht mehr auf dem sprichwörtlichen goldenen Boden, wird aber trotzdem weiter gebraucht. Das Handwerk hat Zukunft. Diese Zukunft bringt aber auch immer mehr Veränderungen und Neuerungen mit sich, für die wir qualifizierte Leute brauchen.
Sie sprechen von qualifizierten Leuten. Wie stark leidet das Handwerk unter dem Mangel an Fachkräften?
Das ist unser großes Problem. Wir werden angehalten, auch nicht so qualifizierte Leute einzustellen – das haben wir ja auch über viele Jahre gemacht – aber das Handwerk hat sich verändert. An uns werden heute viel höhere Ansprüche gestellt. Elektrisierung und Automatisierung nehmen zu. Dafür braucht man gut ausgebildete Leute, die das System verstehen. Schüler, die Abitur machen, werden aber nur auf das Studium vorbereitet. An den Unis gibt es dann hohe Abbrecherquoten und bei uns fehlen die Leute. Es wäre doch viel besser, wenn diese Leute ein duales Studium machen, so dass sie zunächst erstmal eine berufspraktische Ausbildung haben. Dann steht ihnen ja die Tür offen weiter zu studieren. Wer das Studium dann nicht schafft, hat zumindest im berufspraktischen Bereich einen Abschluss. Wir brauchen eine Änderung im Schulsystem, um die qualifizierten jungen Leute auf das Handwerk aufmerksam zu machen.
Glauben Sie, dass das Problem nur bei den Schulen liegt, oder ist das Handwerk nicht mehr so attraktiv?
Es liegt nicht nur an den Schulen. Jeder will einen attraktiven Beruf und das sind meistens Tätigkeiten, bei denen man nicht unbedingt mit den Händen arbeiten muss. Nur Jobs in Verwaltungen und Banken sind ja auch nicht unendlich vorhanden.
Gehen wir einen Schritt weiter: Wie steht es um die Meisterpflicht? Hat sie ausgedient, oder steht der Meistertitel noch immer für Qualität?
Der Meistertitel ist unverzichtbar, steht für Qualität und ist europaweit anerkannt.
Aber wird nicht von vielen Politikern kritisiert, dass der Meistertitel für Uneinheitlichkeit in den 28 EU-Ländern sorgt?
Alle Politiker, mit denen man mittlerweile spricht, haben eingesehen, dass die Abschaffung der Meisterpflicht nicht der richtige Weg ist, um für Einheitlichkeit zu sorgen. Bei den 53 Berufen, für die die Meisterpflicht schon vor über zehn Jahren abgeschafft wurde, können die Politiker jetzt aber nicht mehr zurück. In andern EU-Ländern gibt es zwar keinen Meistertitel, aber dafür andere Reglementierungen.
Jedes Unternehmen muss nur einen Meister engagieren. Kann eine Person wirklich für die Qualität im ganzen Unternehmen sorgen?
Die Unternehmen selbst haben Interesse daran, die Qualität hoch zu halten und werden dafür auch sorgen.