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Phänomen Zalando – Ein Experte erklärt, wie das System funktioniert

Ein Experte erklärt, wie das System Zalando funktioniert

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Zalando Foto: Martin Schutt/ dpa
Wie funktioniert das Zalando-Prinzip? Wie geht der Online-Händler mit seinen Beschäftigten um? Handelsexperte Hagen Seidel hat ein Buch über die aufstrebende Firma geschrieben. Was Zalando ausmacht und welche Rolle der Mülheimer Konzern Tengelmann bei Zalando spielt, beschreibt Seidel im Interview.

Mülheim. 

Karl-Erivan Haub, der Chef des Mülheimer Handelskonzerns Tengelmann, war 2009 der erste Investor, der Millionensummen in das noch sehr junge Online-Unternehmen Zalando steckte. Die Familie Haub gilt als konservativ, Zalando setzt gezielt auf ein schrilles Markenimage. „Haub und die kreischenden Mädels in der Zalando-Werbung – da treffen wirklich zwei Welten auf einander: der Konservative, Vorsichtige und die Himmelsstürmer“, sagt der Autor Hagen Seidel, der dieser Tage ein Buch zum Aufstieg von Zalando veröffentlicht hat („Schrei vor Glück“ – Orell Füssli Verlag).

Herr Seidel, vor drei Jahren haben Sie ein Buch über „Arcandors Absturz“ verfasst. Nun widmen Sie sich dem jungen Online-Unternehmen Zalando. Wollten Sie zur Abwechslung über eine Erfolgsgeschichte schreiben?

Hagen Seidel: Irgendwie schon. Es ist zwar auch hoch interessant, den Absturz eines Unternehmens zu analysieren und zu beschreiben, aber auch ein wenig deprimierend. Es macht viel mehr Spaß, in eine Firma von sehr jungen Gründern zu schauen, die in kürzester Zeit Branchen umkrempeln konnten.

Von null auf hundert, sozusagen. Leute, die so etwas auf die Beine stellen, finde ich spannend. Wie machen die das? Wie verändern sie den Markt? Wie kann das noch weiter gehen? Und: Was sind das überhaupt für Leute? Das wollte ich wissen.

Ihr neuer Titel lautet „Schrei vor Glück“. Klingt recht positiv…

Seidel: Auf jeden Fall sehr viel positiver als „Absturz“. Wobei allerdings einige Konkurrenten auch schon mit „Zalandos Absturz“ rechnen. Andere dagegen glauben ganz fest an das Unternehmen – und jede Seite vertritt ihre Ansicht ziemlich vehement. Diese beiden entgegen gesetzten Meinungen über Zalando bringen zusätzliche Emotionalität ins Thema.

Zalando ist nicht das einzige Unternehmen, wenn es um den Mode-Einkauf im Internet geht. Sie sagen, es sei aber das wichtigste Unternehmen in diesem Bereich. Warum?

Seidel: Zalando hat schon im vierten Jahr seines Bestehens den klassischen Händlern einen Umsatz von weit mehr als einer Milliarde Euro weggenommen. Und es ist kein Ende dieser Entwicklung abzusehen, denn viele Klassiker suchen noch immer nach einem Gegenmittel.

Immer mehr ernstzunehmende Investoren, geben zudem immer mehr Geld aus, um Anteile von Zalando zu bekommen. Zuletzt war es der Eigentümer von Modemarken wie Jack & Jones, vor wenigen Tagen der Pension Trust der Lehrer von Ontario in Kanada. Das sind keine windigen Investoren. Und noch nie ist ein Unternehmen in Europa schneller gewachsen als dieses.

Woran liegt das?

Seidel: Wahrscheinlich haben Neueinsteiger ihren Markt und ihre Kunden auch noch nie so akribisch durchleuchtet und mit Zahlen unterlegt wie Zalando es tut. Das finde ich besonders bemerkenswert, weil die Gründer David Schneider und Robert Gentz praktisch gerade erst von der Uni kamen und keinerlei Erfahrung im Schuh- oder Modehandel hatten. Sie haben mir erzählt, dass sie vor dem Start von Zalando erstmal ein paar Wochen den Handel mit Flipflops im Netz übten, um überhaupt ein Gespür für das Geschäft zu bekommen.

An Zalando ist auch die Mülheimer Unternehmerfamilie Tengelmann beteiligt. Wie viel Tengelmann steckt in Zalando?

Seidel: Tengelmann-Chef Haub war 2009 der erste Investor, der Millionensummen in das noch sehr junge Unternehmen steckte. Das war damals in der Weltfinanzkrise extrem wichtig für Zalando, um weiter wachsen zu können. Inhaltlich steckt gar nicht so viel Tengelmann in Zalando, wenngleich die Neulinge selbstverständlich von der Handelserfahrung in Mülheim profitieren. Es ist eher anders herum: Tengelmann lernt sehr viel von Zalando, wenn es um die neuen Märkte im Netz geht.

Allerdings hat Tengelmann seine Beteiligung an Zalando verringert und besitzt nur noch sechs Prozent. Zwischenzeitlich hatte Tegelmann sogar 8,5 Prozent. Spricht das nicht eher für Skepsis?

Seidel: Als Skepsis sehe ich das nicht. Haub hat eher die Gelegenheit genutzt, schon mal kräftig Kasse zu machen. Die Anteile, die er bisher verkauft hat, konnte er vergolden, weil der errechnete Wert von Zalando inzwischen atemberaubend gestiegen ist.

Zalando dürfte damit eines der tollsten Investments in der fast 160-jährigen Geschichte von Tengelmann sein, der Investor ist sicherlich schon jetzt im Plus. Und wenn die Zalando-Party weitergehen und das Unternehmen irgendwann einmal Geld verdienen sollte und vielleicht an die Börse kommt, kassiert Haub noch einmal kräftig. Das Risiko, das er vor vier Jahren eingegangen ist, hat sich gelohnt.

Die Tengelmann-Familie gilt als konservativ und vorsichtig. Wie passt das zu dem schrillen Markenimage von Zalando?

Seidel: Haub und die kreischenden Mädels in der Zalando-Werbung – da treffen wirklich zwei Welten auf einander: der Konservative, Vorsichtige und die Himmelsstürmer. Das sieht man schon an der unterschiedlichen Kleidung und am Vokabular der Akteure, das nicht dasselbe ist.

Aber Haub hat wohl früh erkannt, dass der Online-Handel die Zukunft ist und dass sein Unternehmen vielleicht besser dabei sein sollte. Viele Jahre lang war er aber der einzige klassische Einzelhändler, der sich mit diesen Zalando-Leuten einließ. Inzwischen hat Tengelmann rund zwei Dutzend Beteiligungen an E-Commerce-Unternehmen – und mancher Konkurrent wird ihn wohl darum beneiden.

Wie geht Zalando eigentlich mit seinen Beschäftigten um?

Seidel: Das ist ein heikles Thema. Als vor einigen Monaten ein Fernsehbericht im ZDF Unzulänglichkeiten bei den Arbeitsbedingungen in einem Logistikstandort enthüllte, wurden sie ziemlich hektisch in der Zalando-Zentrale.

Anschließend veränderten sie einige Dinge. Seither ist es an dieser Front ziemlich ruhig. Bei der Suche nach den Mitarbeitern für das neue Logistikzentrum in Mönchengladbach hat Zalando die Agentur für Arbeit mit ins Boot genommen. Das soll wohl die Einhaltung von Mindeststandards sichern und neue Negativschlagzeilen verhindern.

Mal sehen, ob das klappt. Die Gewerkschaft Verdi und manche Medien schauen sich nicht nur die Logistik von Online-Händlern sehr kritisch an. Das hat Amazon schon zu spüren bekommen. Ich denke, bei Zalando sind sie deswegen sensibilisiert und wissen, welche Gefahr für das Marken-Image bei einem Skandal droht.

Kann Zalando, was Größe und Gewinn angeht, eines Tages in einer Liga mit Amazon spielen?

Seidel: Amazon ist das Nonplusultra im weltweiten Onlinehandel. Die sind die Größten und die Besten und die Innovativsten. Da kommt Zalando nicht dran, zumal es sich bisher ja auf Europa als Markt beschränkt. Wenn man sich aber allein den europäischen Schuh- und Modehandel anschaut, sieht die Sache schon ganz anders aus. Da ist Zalando eine echte Macht, die sogar Amazon das Leben schwer macht. Und das ist nicht so schlecht für Leute, die kaum älter als 30 Jahre sind.