Dortmund.
Mut müssen ihre Kundinnen mitbringen – und eine große Portion Selbstbewusstsein. Daher hat Schneiderin Anna Hörling ihre neueste Kollektion auch gleich so genannt: „Selfesteem“ (Selbstbewusstsein). Die Kollektion ist alles andere als Durchschnitt. Und schon gar nichts für Modepüppchen mit Model-Maßen. „Meine Entwürfe sind für reale Frauen, sag’ ich ja immer.“ Nicht selten tragen die Größe 40 – oder größer. Mode für Mollige? Der Erfolg gibt Hörling Recht. „Meine Auftragsbücher sind voll.“ Notfalls legt die Designerin auch mal eine Nachtschicht an der Nähmaschine ein.
Dortmund, Kreuzviertel: Hier vermutet man Szene-Kneipen und schöne Altbauwohnungen, aber kein Modeatelier. Anna Hörling sieht darin keinen Nachteil. „Meine Kunden finden hierher.“ Auch von außerhalb. „Ah Design“, so taufte Hörling ihr kleines Unternehmen, hat sich mittlerweile einen passablen Ruf erarbeitet. Das lockt auch Menschen außerhalb von Dortmund an. Das Erfolgsrezept? „Ich biete außergewöhnliche Entwürfe zu anständigen Preisen.“ Dazu zählt auch das persönliche Gespräch. „Denn viele Kundinnen wissen oft gar nicht genau, was sie haben wollen. Sie wissen nur, was sie nicht wollen.“ Manchmal helfen dann ein paar Bleistiftstriche: Hörling zeichnet den Entwurf für ein Kleid in Sekundenschnelle. „Das hilft den Leuten ungemein.“
Geräte so teuer wie ein Kleinwagen
Dass Hörlings Handwerk nicht ganz billig ist, versteht sich fast von selbst. Ein T-Shirt oder Hänger kostet 60 bis 80 Euro, ein Kleid schon mal 200 Euro und mehr. „Aber das bezahlen Sie auch für gute Markenware von der Stange“, sagt Hörling. Und wer kann schon von sich behaupten, Klamotten zu besitzen, die ganz den eigenen Vorstellungen entsprechen? Individualität, sich von anderen unterscheiden zu wollen, sein eigenes Ding zu machen – Anna Hörling hat immer genau diese Herausforderung gesucht. Als sie nach der neunten Klasse die Schule schmiss und eine Schneiderlehre machte, als sie nach London ging, um Kostüm- und Bühnenbild zu studieren, als sie für drei Jahre als Ausstattungsassistentin am Stadttheater Dortmund arbeitete und für die Dortmunder Mozartgesellschaft eine eigene Kollektion zum 40. Geburtstag entwarf. Davon zeugt noch das Rokoko-Kleid in ihrem Atelier, ein Entwurf in Königsblau – und wie aus einem Märchen.
Alles andere als märchenhaft ist aber der Platz in ihrer Schneiderwerkstatt. Der Keller ist noch ein Provisorium – notdürftig ausgebaut, um das Mehr an Aufträgen überhaupt bewältigen zu können. Hier stehen Haushaltsnähmaschinen. „Damit lässt sich arbeiten. Professionelle Geräte kosten so viel wie ein Kleinwagen“, sagt Hörling. Dafür fehlt noch das Geld. Und doch: Mittlerweile arbeiten für die Dortmunder Designerin zwei weitere Schneiderinnen. „Allein würde ich das gar nicht mehr schaffen.“
Keine Heidi-Klum-Figur
An der Großen Heimstraße entsteht natürlich alles in Handarbeit. Vom ersten Papierentwurf bis zum letzten Nadelstich, von der Auswahl und dem Zuschnitt der Stoffe bis zur abschließenden Anprobe und letzten Änderungswünschen. „Meine Kundinnen sollen sich ja auch rundum wohl fühlen“, sagt Hörling. Und das ganz ohne Claudia-Schiffer- oder Heidi-Klum-Figur.
Notfalls gibt es Mode von AH Design auch als Expresslieferung. „Wenn jemand ganz dringend noch ein Kleid für einen Empfang am nächsten Wochenende braucht.“ In den letzten Monaten sei das allerdings nicht möglich gewesen. So entstehen pro Woche drei bis vier Kleidungsstücke – Tendenz stark steigend.
„Dann bleibe ich drauf sitzen“
In der Regel vergehen bis zu vier Wochen vom Kundengespräch bis zur ersten Anprobe. Anna Hörling legt erst los, wenn die Materialkosten und 30 Prozent des Arbeitslohns auf ihrem Konto eingegangen sind. „Ohne Anzahlung geht das nicht“, sagt sie. Das Risiko sei einfach zu groß, dass Kunden abspringen könnten. „Dann bleib ich darauf sitzen.“
Und doch: Auch Hörling hat einige ihrer Entwürfe im Laden hängen. „Man braucht etwas, das die Leute reizt. Und im Notfall habe ich etwas zum Anziehen“, sagt sie und muss lachen. Denn auch sie ist eine reale Frau. Behauptet sie von sich selbst.