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Jetzt geht es Schlag auf Schlag

Jetzt geht es Schlag auf Schlag

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Foto: ullstein bild - ullstein bild

Essen. 

Das Motorrad ist männlich, ein rasendes, krachschlagendes Kraftpaket zum Einholen und Überholen, zum Jagen und Töten. Die Vespa ist weiblich, schmeichlerisch rund und betont untechnisch. Und 65 Jahre alt und 17-millionenfach gebaut.

Auf die Idee, das angetriebene Zweirad einmal nicht als Fahrrad mit Motor zu denken, musste erst ein Hubschrauberkonstrukteur in Diensten des italienischen Flugzeugbauers Piaggio kommen. Corradino d’Ascanio entwarf im Sommer 1945 in nur sieben Wochen die erste Vespa mit ihren noch heute gültigen Charakterzügen: kleine Räder (daher wendig), freier Durchstieg, aufrechte Sitzhaltung (daher bequem), vorderes Windschild und verkapselter Motor unter dem Sitz (daher guter Schutz vor Regen und Öl).

Die Knie geschlossen

So konnte sich endlich auch eine anständige Frau im Rock an den Lenker trauen, die Knie fest geschlossen anstatt burschikos breitbeinig mit fliegenden Schößen wie auf dem „Bock“. Oder konnte im Windschatten ihres Piloten die Beine zu einer Seite baumeln lassen im Damensitz. Die den Reiterinnen abgeschaute Methode wurde 1956 verboten, nicht aus emanzipatorischen, sondern aus Sicherheitsgründen. Langbeinige Frauen wie die Kessler-Zwillinge entdecken den Roller als Motorrad, an dem man sich nicht die Keilhose schmutzig macht.

Einige der Vespa-Tugenden waren aus der Not der ersten Friedenstage geboren: Die einseitig aufgehängten Räder (leicht zu wechseln) stammten vom Flugzeug, ebenso der anspruchslose Zweitakter, eigentlich Anlassermotor eines Jägers. Die wie im Flugzeugbau gepresste statt geschweißte Karosserie war in den ersten Jahren nur in einem schäbigen Grün zu haben. Rostschutzfarbe aus Kriegszeiten musste aufgebraucht werden.

Auch ein Geniestreich braucht die richtige Zeit. Nachkriegseuropa wartet auf ein billiges und praktisches Fahrzeug, einfacher und vielseitiger als ein Motorrad und viel erschwinglicher als der Luxus eines Autos.

Die ersten 20 Serienexemplare verlassen die Umgebung der norditalienischen Hafenstadt Genua im April 1946. Firmenpatriarch Enrico Piaggio urteilt angeblich bei ihrem Anblick: „Sieht aus wie eine Wespe.“ Beim italienischen Wespen-Wort Vespa bleibt es dann. (Später wird der dreiräderige Lasten-Roller Biene genannt, was auf Italienisch allerdings Ape bedeutet und deshalb in der englischsprachigen Welt für Belustigung über ein Ding sorgt, dass sich Affe nennt.)

Ähnliche technische Konzepte wie d’Ascanio haben damals andere auch, aber das Vespa-Design trifft den Zeitgeist. Sich ergänzende positive und negative Rundungen, gepaart mit der Stromlinie der dreißiger Jahre. Die Vespa hat schwellende Formen, sie ist nach dem Leben geformt – im Gegensatz zum rationalen Bauhausstil mit seinen Ecken und Kanten.

Ähnlich dem Nierentisch

Die Vespa ist demnach eine Artverwandte des Nierentisches. Kein Zufall, dass Modezar Christian Dior 1947 mit seinem New Look die Wespentaille zum Ideal erhob. Und das italienische Produkt neben Pizza und Espresso schafft es bis zum Exponat in das New Yorker Museum of Modern Art als vorbildliches Designexempel.

Die Vespa wird Anfang der Sechziger zum Gattungsbegriff für Roller wie Tempo für Papiertaschentücher und, in der Autowelt, Jeep für einen Geländewagen. Wobei der Roller ein deutscher Begriff ist. Er stammt von einem primitiven, dem Kinderspielzeug ähnlichen Gefährt, das die Essener Krupp Werke bereits nach dem ersten Weltkrieg in Lizenz bauten. Sonst ist der Roller weltweit ein Scooter, ein Flitzer.

Die Fünfziger sind die goldenen Jahre der Vespa, sie ist, was man heute Kult nennen würde. Priester, Polizisten und Partisanen (Vespa mit Raketenabschussvorrichtung) rollern weltweit für einen höheren Zweck. Audrey Hepburn und Gregory Peck sind 1953 das Vespa-Pärchen der Filmgeschichte in „Ein Herz und eine Krone“, seitdem rollte die Vespa als italienisches Lifestyle-Gefährt durch unzählige Leinwandwerke.

Der Pin-Up-Kalender

Zu Kult und Ruhm tragen die längst antiquarisch begehrten Pin-Up-Kalender des Mailänder Zeichners F. Mosca bei. Die aus heutiger Sicht teilweise sehr sexistischen Bilder werden nach einigen Jahren der Freizügigkeit entschärft. Bereits ab 1955 wurde für die Vespa-Kalender konventionell fotografiert und mit dem Pin-Up-Gehabe nur noch kokettiert.

In Deutschland tut sich die Italienerin anfangs, vor 60 Jahren, nicht leicht, denn es gibt Dutzende einheimische Konkurrentinnen. Aber die Wespe überlebt das wohlstandsbedingte Zweiradsterben Anfang der Sechziger. Unzählige Clubs wie die Herner Vespen „vespazieren“ in die Natur, fast wie die Arbeiter-Radfahrvereine vor der Nazi-Zeit. Raserei ist verpönt, die Kleidung stets korrekt.

Bei aller Frühemanzipation auf Rädern: Keine zehn Prozent sind 1953 in Deutschland Vespa-Besitzerinnen, statistisch geführt neben Arbeitern und Angestellten unter „Sonstige“. Das ändert sich im Lauf der Jahre. In den Achtzigern gehört eine Vespa auf dem Schulhof zu 95 Prozent einem Scooter-Girl. Darauf kann man sich schon seit Jahren nicht mehr verlassen. Längst ist der Roller je nach Ausprägung alles mögliche: modern, retro, sportlich, aggressiv. Und vor allem unisex.