Arbeit ist das halbe Leben, sagt der Volksmund. Aber was, wenn Arbeit das ganze Leben wird? Nach Experteneinschätzung ist jeder siebte Deutsche gefährdet, arbeitssüchtig zu werden. Der Job begleitet die Betroffenen im Urlaub, bei Freunden, im Schlaf. Doch es gibt Hilfe.
Bonn.
Petra Mintzek (Name geändert) war Leistung schon
immer wichtig. „Bereits in der Schule hatte ich trotz guter Noten das Gefühl: Du
musst noch mehr machen.“ Als sie nach dem Abitur eine Lehre zur Bankkauffrau
beginnt, verstärkt sich dieser Druck. Obwohl ihre Chefs sie loben, ist sie nie
mit sich zufrieden und leistet unzählige unbezahlte Überstunden ab. Selbst wenn
sie spätabends nach Hause kommt, denkt sie vor allem an den Job. Heute weiß die
42-jährige Mainzerin, die mittlerweile als Lehrerin tätig ist: Sie ist
arbeitssüchtig, ein Workaholic.
Petra Mintzek, deren Kollegen nichts von ihrer Sucht wissen und die
daher anonym bleiben will, ist mit diesem Problem nicht alleine: Jeder siebte
Deutsche sei gefährdet, eine krankhafte Arbeitsfixierung zu entwickeln, schätzt
der Bonner Arbeitspsychologe Stefan Poppelreuter. Rund 400.000 Menschen seien
akut arbeitssüchtig. Die Existenz der Betroffenen bestehe nur noch aus der Arbeit und minimalen Erholungsphasen für Schlaf, Nahrungsaufnahme und
Hygiene.
Betroffene reden mit Freunden über den Job und checken ständig die Mails
Die Gedanken an den Job lassen die Betroffen häufig auch in der
Freizeit nicht mehr los. Beim Plausch mit Freunden reden sie ausschweifend über
ihre nächsten beruflichen Aufgaben oder checken nebenbei ihre geschäftlichen E-Mails. „Die Arbeit wird räumlich und zeitlich, physisch und psychisch
entgrenzt“, fasst Poppelreuter zusammen.
Kann dann einmal partout nicht gearbeitet werden, weil etwa Feiertage
anstehen, fühlen sich Workaholics nicht selten unwohl. „Sie brauchen permanent
das Gefühl, produktiv zu sein“, erläutert Rüdiger Trimpop, Professor für
Betriebspsychologie an der Universität Jena. Sie häufen daher nicht selten sogar
Aufgaben als Vorrat an. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden mit der höheren
Belastung aber meist immer schlechter.
Folgen seien Kopfschmerzen, Magenreizungen, Schwindel und Schlafprobleme
Die ständige Arbeitsbelastung setzt dem Körper dabei gehörig zu. Die
Folgen seien Kopfschmerzen, Magenreizungen, Schwindel und Schlafprobleme,
erklärt Marianne Resch, Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität
Flensburg. Die Betroffenen bräuchten dringend Erholung. Doch stattdessen greifen
viele zu Kaffee, Nikotin und Tabletten, um sich für den Job aufzuputschen. „Das
macht es ihnen natürlich noch schwerer, nach der Arbeit zu entspannen“, sagt
Poppelreuter. Um herunterzukommen, greifen viele Workaholics dann zu Alkohol
oder Medikamenten.
Petra Mintzek griff zum Essen, um Stress abzubauen. Nach vier Jahren
und etlichen zugenommenen Pfunden kündigt sie ihren Job bei der Bank. Sie
orientiert sich neu und beginnt ein Lehramtsstudium. „Bis zum Referendariat war
dann auch alles deutlich entspannter.“ Doch in der Praxisphase kommt der
Rückfall. Wieder stellt sie den Job über Familie und Freunde, sitzt bis
frühmorgens am Schreibtisch, um den Unterricht vorzubereiten. „Als ich nur noch
drei Stunden die Woche geschlafen habe, bin ich dann zu einem Psychologen. Erst
dort ist mir bewusst geworden, wie besessen ich von der Arbeit war.“
„Um die Sucht zu überwinden, braucht man
Unterstützung“
Sich die krankhafte Fixierung auf die Arbeit einzugestehen, ist der
erste Schritt zur Besserung. „Um die Sucht dann zu überwinden, braucht man
Unterstützung“, sagt Trimpop. Daher sollten Berufstätige Familie und Freunde
möglichst früh einweihen. Wer ein gutes Verhältnis zum Chef hat, kann ihn auch
informieren – gerade falls ein Betroffener die Arbeit erst einmal komplett ruhen
lassen muss.
Um mehr innere Distanz zum Job zu schaffen, nehmen kranke
Arbeitnehmer am besten erst einmal einen längeren Urlaub, rät Psychologin Resch.
Mit aufgeladenen Batterien müssten Workaholics dann lernen, private Termine
genauso wichtig zu nehmen wie berufliche, sagt Poppelreuter. Verabredungen mit
Freunden oder Familie sollten nur noch im absoluten Ausnahmefall abgesagt
werden. „Dann muss ich aber auch direkt einen Ersatztermin nennen.“
Training im Sportverein oder ehrenamtliches Engagement helfen
Eine Freizeitbeschäftigung im Team kann den Betroffenen zusätzlich
helfen, ihre ungesunde Jobfixierung zu überwinden, sagt Trimpop. Beispiele
hierfür sind das regelmäßige Training in einer Fußballmannschaft oder ein
Engagement beim Kinderschutzbund. „So lernen die Betroffenen, dass man auch
außerhalb des Jobs attraktive Erfolgserlebnisse haben kann.“ Außerdem gibt es in
vielen Städten in Deutschland Stammtische der „Anonymen Arbeitssüchtigen“ (AAS).
Hier können sich Betroffene austauschen und bekommen Informationen zu
psychotherapeutischen Hilfsangeboten.
Auch Petra Mintzek haben die Treffen der AAS geholfen. Sie wurde im
Internet auf die Gruppe aufmerksam. Alle zwei Wochen trifft sie sich seitdem mit
anderen Betroffenen in Mainz. „Hier kann ich frei von meinen Problemen
erzählen.“ Sie arbeitet momentan in Teilzeit, genießt es, für ihre Kinder kochen
zu können oder Freunde zu treffen. „Manchmal bin ich immer noch zu fixiert auf
den Job und stelle zum Beispiel Übungsblätter für meine Schüler tausendmal um.
Aber ich spüre, dass ich auf dem Weg der Besserung bin.“ (dpa)