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„Ich habe keinen Grund, mich zu rechtfertigen“

„Ich habe keinen Grund, mich zu rechtfertigen“

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Foto: NRZ

Essen. Während in der Politik heiß über zu hohe Managergehälter diskutiert wird, sieht Ex-EnBW-Chef Utz Claassen dafür keinen Grund. Vielmehr sei in puncto Sozialverantwortung wichtig, ob jemand „mit seiner Verantwortung und Macht vernünftig umgeht“.

Herr Claassen, Sie sind seit Oktober bei EnBW nicht mehr im Amt, waren aber gleichwohl auf Grund ihrer verrenteten Vertragsauszahlung von 400 000 Euro im Jahr Gegenstand der Debatte um Managergehälter. Wie sehen Sie das im Rückblick?

Claassen: Ich habe immer auf dem Standpunkt gestanden, dass man eine solche Debatte führen sollte und sich ihr stellen muss. Ich war als EnBW-Chef wohl der erste Manager in der deutschen Wirtschaft, der schon 2004 Transparenz gefordert und die auch im Unternehmen durchgesetzt hat. Ich bin allerdings auch der Auffassung, dass über diese Transparenz hinaus das Gebot der Vertragstreue und der vertraglichen Vertraulichkeit Bestand haben muss.

400 000 Euro Rente im Jahr, das stößt bei vielen auf Unverständnis.

Claassen: Eine solche Debatte muss sachlich und Fakten basiert geführt werden. Der Eindruck, der zum Teil gezielt erweckt wurde, bei meiner Regelung handele es sich um eine ganz besondere nahezu singuläre Regelung, ist objektiv falsch. Wahr ist, dass mein Ruhegehalt im Prozentsatz deutlich unter dem liegt, was sonst im Markt üblich ist. Fakt ist auch, dass mir verschiedene Manager bekannt sind, die weit mehr als das Doppelte an Versorgungsansprüchen haben.

Eine Rechtfertigung?

Claassen: Ich habe keinen Grund, mich zu rechtfertigen. Sozialverantwortung zeigt sich im Übrigen nicht in der Frage eines möglichst niedrigen Gehaltes, sondern in der Frage, ob jemand mit seiner Verantwortung und Macht vernünftig umgeht. Es gibt wohl kein Unternehmen, dass durch einen teuren Manager Pleite gegangen ist, aber viele, die durch schlechte Manager Pleite gegangen sind.

Die SPD diskutiert eine Begrenzung bei Gehältern und Abfindungen.

Claassen: Gibt es einen Einzigen in Deutschland, der ernsthaft glaubt, es ginge den Menschen besser, wenn man einzelnen Managern das Gehalt halbiert? Was würde wohl geschehen, wenn wir Bundesligaspielern die Gehälter begrenzen und Ribery oder van der Vaart morgen nicht mehr in Deutschland spielen? Es gäbe einen gesellschaftlichen Aufschrei. Wir müssen in jeder internationalen Branche attraktiv sein, nicht nur, um Deutsche hier zu behalten, sondern auch um Spitzen-Koreaner oder -Engländer ins Top-Management zu bekommen.

Was die Leute bewegt, ist die Einkommens-Schere, die immer weiter auseinandergeht.

Claassen: Ich glaube, das rührt an unserem Grundproblem: Die ökonomischen und politischen Notwendigkeiten ergeben sich aus globalen Prozessen. Die subjektiv wahrgenommene Lebensrealität ist aber lokal, regional oder national. Da kommt diese Schere her, die durchaus ein Problem ist.

Inwiefern?

Claassen: Es existiert ein Systembruch zwischen der nationalen Werteordnung der sozialen Marktwirtschaft, die ich ohne Wenn und Aber teile, und den ganz anders ablaufenden Regeln der globalen Wettbewerbswirtschaft.

Die Wirtschaft wächst, aber der Aufschwung kommt nicht bei den Menschen an.

Claassen: Genau das ist es. Aber warum ist das so? Weil wir einen 20 bis 30 Jahre währenden Anpassungsprozess vor uns haben, um uns gegen ganz neue Wettbewerber behaupten zu können.

China und Indien?

Claassen: Und zwar in mehrfacher Hinsicht. In den letzten zehn Jahren hat sich Fundamentales verändert: Unsere traditionellen Treiber der Wohlstandszuwächse haben ihre Kraft verloren. Deutschland war ein halbes Jahrhundert erfolgreich, weil es bessere Produkte, besser Produktionstechnologien und bessere Qualitätssicherungssysteme hatte – das war Made in Germany.

Und heute?

Claassen: Jetzt leben wir in einer Welt der Bits und Bytes, der unbegrenzten Mobilität. Alle haben gleich schnell Zugang zu allen Informationen und Materialien. Ein Spitzenautomobil in Deutschland war vor 50 Jahren erst nach 15 bis 20 Jahren in China verfügbar. Das war das Zeitdelta, das unseren Wohlfahrtsstaat ermöglichte und ausmachte. Das aber ist heute weg.

China und Indien sind so gut wie wir?

Claassen: China und Indien sind völlig neue Wettbewerber. In 30 Jahren wird das chinesische Wohlstandsniveau auf dem unsrigen sein. Wir werden nicht auf das chinesische Niveau absinken, die Chinesen werden enorm zulegen. Aber in den nächsten 20 bis 30 Jahren werden wir den Druck haben, dass unsere Produktivitätszuwächse so nicht mehr im Lohn weitergegeben werden können. Der Aufschwung kommt nicht an – das wird uns über Jahrzehnte begleiten.

Das hört sich bei Frau Merkel und Herrn Beck anders an.

Claassen: Die Politik hat generell nicht den Mut oder die Fähigkeit, den Widerspruch zwischen globalen Zwängen und lokalem Empfinden zu erklären. Im Gegenteil sagt die Politik, ihr habt das Schlimmste hinter euch.

Ein Prinzip unsere Gesellschaft lautet: Wenn du dich anstrengst, geht es dir besser. Das fällt damit auch weg?

Claassen: Die Regeln, wenn du dich anstrengst, geht es dir ordentlich, wenn du hart arbeitest, kannst du davon leben, müssen erhalten bleiben, sonst bricht die Gesellschaft auseinander. Aber der Grundsatz, wenn du drei Prozent besser arbeitest, geht es dir drei Prozent besser, der gilt nicht mehr. Jedenfalls nicht, wenn die Chinesen in der selben Zeit zehn Prozent besser werden.

Auch Kapital ist flüchtig, siehe die geplante Verlagerung von Nokia aus Bochum nach Rumänien.

Claassen: Ich habe zwei generelle Anmerkungen. Wenn Management vorrangig darin besteht, alle zehn Jahre den Standort zu wechseln, ist das unternehmerisch nicht sehr überzeugend. Wenn Politik aber heißt, ich schließe bis 2006 einen Vertrag ab und beschwere mich 2008 darüber, dass der Vertrag ausgelaufen ist, dann hätte ich besser Verträge bis 2020 machen müssen.

Eine heuchlerische Politik?

Claassen: Dieselbe Politik, die letzte Woche Nokia im Kontext mit rumänischen Löhnen kritisiert hat, bejubelt jetzt den Vorschlag der EU zum Klimaschutz, der dazu führt, dass 75 Prozent der CO2-Einsparungslast allein von Deutschland zu tragen sind. Rumänien, Spanien und andere werden dabei deutlich bevorzugt. Und dann wundert sich die Politik, dass Wettbewerbsfähigkeit verlorengeht. – Und der Aufschwung nicht bei allen ankommt.

Sie sind seit Oktober nicht mehr bei EnBW, was machen Sie jetzt den ganzen Tag?

Claassen: Ich leite die BDI-Initiative zn Innovationsstrategien und Wissensmanagement, eine faszinierende und spannende Aufgabe. Ich arbeite an einem neuen Buchprojekt und nutze den Wegfall von Gremiensitzungen, um mich mit ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen in einer Tiefe zu befassen, wie es sonst nicht möglich ist.

Dann haben Sie auch mehr Zeit für die Familie.

Claassen: Ich habe immer noch einen 16 Stunden Tag, kann ihn aber freier einteilen, ja. Sie können aber sicher sein: Mein Ziel ist es nicht, ein Dasein als Frührentner zu führen. Sie werden von mir hören.

Das Gespräch fassten Lothar Petzold und Thomas Wels zusammen.