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Günter Wallraff prangert Paketdienst GLS an

Günter Wallraff prangert Paketdienst GLS an

Er war Bild-Reporter, türkischer Gastarbeiter und Obdachloser: Jetzt ist Günter Wallraff erneut in eine Rolle geschlüpft, um undercover Missstände anzuprangern. Beim drittgrößten deutschen Paketlieferanten GLS arbeitete er mehrere Wochen unerkannt als Paketbote. RTL räumte der Enthüllungsstory einen eigenen Sendeplatz ein.

Essen. 

Die Musik ist reißerisch, Günter Wallraffs Gesicht blendet in die Gesichter seiner Undercover-Figuren über, aus dem Off erklingt eine Frauenstimme: „Sein Gesicht kennt jeder.“ Offenbar nicht, denn wieder einmal ist es Enthüllungsjournalist Günter Wallraff gelungen, sich unerkannt in ein Unternehmen einzuschleusen und dort mögliche Unstimmigkeiten hautnah zu recherchieren.

Weil er mit seinen Reportagen nun auch gezielt ein jüngeres Publikum ansprechen will, arbeitete der Journalist erstmals mit RTL zusammen. Diesmal hat sich der umtriebige Aufdecker den Paketlieferanten GLS ausgesucht. „Kostenloser Versand“ – was für den Verbraucher toll klingt, bedeutet für die Paketzusteller bei GLS einen 14-Stunden-Tag, keine Pausen und eine unterirdische Bezahlung. So prangert es Wallraff an, der die einstündige Reportage bis auf wenige Einspieler aus der Ich-Perspektive kommentiert.

Medikamente statt Pausenbrote

Um sich selbst ein Bild von der Arbeit bei GLS zu machen, macht Wallraff im Herbst 2011 das, was er am liebsten tut: Er verkleidet sich und wird vom bekannten Enthüllungsjournalisten zum namenlosen Paketboten. Eine Woche lang begleitet er zunächst Andreas Fischer, der seit vier Jahren für das Paketunternehmen als Fahrer arbeitet. Aufstehen um vier Uhr früh, Pakete sortieren und dann endlose Fahrten mit dem GLS-Transporter – der monoton hektische Arbeitsalltag der Fahrer bringt den wahrlich nicht mehr ganz jungen Günter Wallraff ordentlich ins Schwitzen.

Nach fast sechs Stunden Arbeiten ohne Pause drängt sich die Frage Wallraffs an den jungen Paketboten Fischer fast schon auf: „ Hast du eigentlich keinen Hunger? Wann machst du denn mal Pause?“ Statt belegter Brote finden sich Medikamente im Handschuhfach. Nach vier Jahren bei GLS hat Andreas Fischer sich den Hunger während der Arbeit abgewöhnt. „Ich hab hier was für Magenschmerzen, für Kopfschmerzen, das hilft über den Tag.“

Wallraff ist ernsthaft erschüttert

Keine Pause, kein Essen – dass das nicht lange gut gehen kann, hat Fahrer Sascha Mex am eigenen Leib erfahren. Mit nur vier Stunden Schlaf täglich unter der Woche war der 32-jährige Familienvater bereits mehrfach kurz davor, durch Sekundenschlaf einen Unfall zu bauen. „Ich bin ein paar Mal fast am Steuer eingeschlafen, weil ich nicht genug Schlaf bekomme.“

Günter Wallraff ist nach einer Woche Pakete ausliefern sichtlich erschöpft. Bis zu 40 Kilogramm wiegen einzelne Pakete, Fahrer tragen damit am Tag quasi einen Kleinlaster durch die Gegend.

Doch Wallraff interessieren nicht nur die Fahrer. Er trifft auch ehemalige Subunternehmer, die für GLS die Fahrer beschäftigen. Direkt angestellt bei dem großen Transportunternehmen ist keiner der Fahrer. Aus ihren Reihen rekrutiert GLS die Subunternehmer, die dann ihrerseits die Fahrer bei sich anstellen.

Dass dieser Aufstieg ein durchaus zweifelhafter sein kann, zeigt das Beispiel Jan Jansen: Günter Wallraff zeigt sich ernsthaft erschüttert, als der 26-Jährige bedrückt von den 113.000 Euro Schulden erzählt, die ihm die Zukunft verbaut haben. Angehäuft haben sie sich durch Investitionen in Fahrzeuge, vermeintliche Bußgelder und gedrückte Paketpreise von GLS. Mit leiser Stimme erzählt Jan Jansen, dass seine Aussicht auf eine Hochzeit und Kinder mit dem Wagnis GLS für ihn gescheitert sind.

GLS ist nicht das einzige schwarze Schaf, weiß Wallraff

Es sind Bilder, die gut ins RTL-Schema passen und Wallraff womöglich das junge Publikum bescheren, das er mit dieser erstmaligen Ausstrahlung seiner Undercover-Recherchen erreichen wollte. Wenn der aus Ghana stammende Augustine Frimpong von den zwölf bis 14 Arbeitsstunden pro Tag und seinem Stundenlohn von nicht einmal vier Euro erzählt und dabei seiner kleinen Tochter die Milchflasche gibt, ist mit diesem Bild eigentlich schon alles gesagt, was Wallraff mit seiner mehrmonatigen Recherche mittteilen möchte: Der Paketbote ist ein moderner Sklave.

Wirklich erschütternd wird Wallraffs Reportage, als er einen Manager-Bewerber mit versteckter Kamera in die Führungsebene eines Depots schickt und auf diese Weise die Ansichten der Manager über ihre Fahrer ungeschminkt zu hören bekommt. Bei Aussagen wie „Leider haben wir hier in der Gegend fast Vollbeschäftigung, da bekommen wir für die Fahrer-Jobs nur noch das letzte Pack ab“ ruhig zu bleiben, fällt nicht nur Wallraff schwer.

Wenn dann eine führende Managerin eines Depots in aller Ernsthaftigkeit versichert, dass „das ein relativer harter Job“ sei, aber „diese Leute sind dazu geboren“, klingt „kostenloser Versand“ plötzlich wie blanker Hohn in den Ohren. 1,74 Milliarden Euro Umsatz macht GLS jährlich – auf den Rücken der Fahrer, so Wallraffs Fazit nach seiner mehrmonatigen Recherche.

Dass das Unternehmen mit Sitz in Amsterdam sicherlich nicht das einzige schwarze Schaf der Branche ist, weiß auch Wallraff. In der anschließenden Stern-TV-Sendung kündigte er an, auch bei Paketlieferkonkurrent Hermes die Arbeitsbedingungen zu überprüfen – natürlich undercover.