- Industrie und Handel beklagen „Trend hin zum Studium“
- 28 Prozent der Meister oder Techniker haben höheren Stundenlohn als Durchschnittsakademiker
- Mehr als 17.500 Arbeitnehmer für Studie befragt
Berlin.
Ob Diplom, Bachelor, Master oder gar ein Doktortitel: Ein Universitätsabschluss gilt gemeinhin als Garantie für ein prall gefülltes Gehaltskonto und eine steile Karriere. Dagegen hinkt die duale Berufsausbildung mit Meister oder Fachwirt stark hinterher.
Doch die Rechnung geht so nicht mehr auf: Ein bislang unveröffentlichtes Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), das dieser Zeitung vorliegt, zeigt, dass 28 Prozent der Meister oder Techniker einen höheren Stundenlohn haben als Durchschnittsakademiker. Und rund ein Viertel der Akademiker verdient weniger als der Durchschnitt derjenigen, die sich beruflich fortgebildet haben.
Die Mehrheit der Meister erhält mehr Geld als ein Bachelor
Gemeint sind damit Fortbildungsgänge nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung. Das sind jeweils Zusatzqualifikationen, die man nach einer Erstausbildung absolviert – im Handwerk etwa der Meistertitel. Auch Abschlüsse an Fachschulen und Fachakademien mit dem Abschluss Techniker sowie Betriebswirte und Fachwirte gehören dazu. Insgesamt gibt es mehr als 220 Rechtsverordnungen und Regelungen des Bundes für diese berufliche Fortbildung.
Weiteres Ergebnis der Studie: Die Mehrheit dieser Fortbildungsabsolventen, also etwa Meister oder Fachwirte, erhält ein gleich hohes Gehalt wie Arbeitskräfte mit einem Bachelorabschluss. Nur Diplom- und Masterabsolventen verdienen im Vergleich häufiger mehr.
Unter den Gutverdienern sind nicht nur Gymnasiasten
Für den Forscher des IW Köln, Michael Zibrowius, war das Ergebnis überraschend. Die Experten haben insgesamt 1357 Unternehmen aller Größen und mehr als 17.500 Erwerbstätige im Alter von 25 bis 65 Jahren befragt. Fazit: „Man muss davon wegkommen, dass ein Akademiker automatisch immer mehr verdient und auf jeden Fall eine Karriere macht. Ich muss heute nicht mehr studieren, um aufzusteigen und ein gutes Gehalt zu verdienen“, sagt der Ökonom.
Denn unter den Fortbildungsabsolventen, die mehr verdienen, war auch eine hohe Zahl an früheren Haupt- oder Realschülern. Also haben auch Menschen, denen qua Schulbildung der Zugang zur Universität verwehrt bleibt, die Möglichkeit zu einem Aufstieg. Das überraschte die Forscher.
Akademiker können Mangel an Fachkräften nicht beheben
Diese Aussage tut in Deutschland not. Denn laut Berufsbildungsbericht 2016 der Bundesregierung sind im vergangenen Jahr rund 41.000 Lehrstellen unbesetzt geblieben. Nur jede fünfte Firma in Deutschland bildet noch aus. Und: Laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) bricht mehr als jeder vierte Bachelorstudent (28 Prozent) sein Studium ab. Diese Zahlen alarmieren Politik und Wirtschaft. So soll ein neues Meister-Bafög Handwerkern ab August vergleichbare Bedingungen zum Studium bieten, um die Kosten der Meisterprüfung zu reduzieren.
Industrie und Handel beklagen schon länger den „Trend hin zum Studium“. Der Fachkräftemangel in den Unternehmen lasse sich allein mit Akademikern nicht beheben, so die einmütige Meinung der Wirtschaftsverbände. Laut dem IW-Ökonom Zibrowius sind das nicht nur Lippenbekenntnisse. „Am Arbeitsmarkt sind beide Gruppen gefragt. Ein Unternehmen braucht das technische Wissen und das akademische Feedback. Facharbeiter und Akademiker zusammen heben die Performance des Unternehmens.“
Fortbildung ohne Studium lohnt sich
Dass sich eine Fortbildung ohne Studium lohnt, zeigt der Blick auf die Einkommen. Während das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen eines männlichen Meisters oder Fachwirts im Alter von 44 Jahren bei rund 3160 Euro liegt (Stundenlohn 17,50 Euro), kommen normale Fachkräfte (beruflich Qualifizierte) lediglich auf rund 2320 Euro (Stundenlohn 14 Euro). Damit verdienen laut der IW-Studie Fortbildungsabsolventen gut 36 Prozent mehr als Fachkräfte. Rechnet man die etwas höhere Arbeitszeit raus, im Schnitt 43 Stunden pro Woche, dann bleibt immerhin noch ein Einkommensvorsprung von 24 Prozent. Ein 44-jähriger Hochschulabsolvent verdient im Schnitt 500 Euro mehr, also 3642 Euro. Das ist ein Stundenlohn von 20,60 Euro, bei rund 42 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit.
Vor allem bei kaufmännischen und wirtschaftswissenschaftlichen Berufen ist das Gehaltsniveau zwischen Studium und Fortbildung relativ ähnlich. Eine große Lohnlücke zeigt sich nur bei technischen Berufen wie beispielsweise Ingenieuren. Hier unterscheiden sich die Tätigkeitsprofile deutlicher voneinander als in Büroberufen.
Ungewöhnliche Kampagne des Bundesforschungsministeriums
Für die Forscher des Wirtschaftsinstituts ist klar: Es ist wichtig, ein realistisches Bild der Karriere- und Einkommensperspektiven zu zeichnen. Das Bundesforschungsministerium startete bereits eine Kampagne mit ungewöhnlichen Berufsbezeichnungen: Auf großflächigen Plakaten und im Internet werden „Gesellschaftsbeweger (m/w)“, „Alleszusammenhalter (m/w)“ und „Fachkräfte für Weiterkommenwollen“ gesucht. Ob das hilft, bleibt abzuwarten.