Hagen/Lüdenscheid.
Sie sind lästig, weil sie teuer geworden sind. Zu teuer. Viel zu teuer. Statt Kohle und Gas zu verstromen und zu verkaufen, verbrennt Enervie mit seinen Kraftwerken auch Millionenbeträge. Deshalb ist aus der Drohung und späteren Ankündigung, den Kraftwerkspark schließen zu wollen, jetzt eine Entscheidung geworden: Bis spätestens 2022 sollen die Kraftwerke vom Netz gehen und die Verluste endlich aufhören. Damit hat der Vorstand einen Zeitplan vorgelegt – und festgelegt: Das Unternehmen, das auf die Elektromark zurückgeht, trennt sich von seinem einstigen Kerngeschäft. Die eigene Stromproduktion war seinerzeit beschlossen worden, um von den Energieriesen unabhängig zu sein.
Kosten ersetzen
Nach rund 100 Jahren wird aus dem Energieproduzenten ein reiner Energiedienstleister. Voraussetzung: Der Netzbetreiber Amprion stellt sein neues Umspannwerk in Hagen-Garenfeld bis 2022 fertig und ermöglicht damit dem Enervie-Versorgungsgebiet den benötigten Anschluss ans Überlandnetz.
Erst dann kann und darf Enervie seine Kraftwerke abschalten; bis dahin werden sie gebraucht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Kosten dafür will Enervie ersetzt bekommen: von Amprion oder von der Bundesnetzagentur.
Sollte dies nicht gelingen, würden die Kraftwerksverluste unter Umständen über das Netzentgelt umgelegt. Das würde für jeden Haushalt jährliche Zusatzkosten von etwa 50 Euro bedeuten. Energieintensive Betriebe müssten sich gar auf Millionenbeträge einstellen.
Mit dem Beschluss ist auch klar: Der Versuch, eine eigene Erzeugergesellschaft zu gründen, die Kraftwerke darin auszulagern und gemeinsam mit einem Kooperationspartner zu betreiben, sind erfolglos geblieben. Es fand sich kein Partner. Und: Das Vertrauen in die Politik, die Folgen der Energiewende besser zu managen, ist weniger als gering. Die mitschwingende Enttäuschung ist hörbar. „Wir sorgen bei 500 000 Kunden und 4000 Betrieben in der Region seit Jahrzehnten für Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Das wird jetzt bestraft“, formulierte Vorstandssprecher Ivo Grünhagen.
Neue Arbeitsplätze schaffen
Derweil erklärte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt : „Die Situation von Enervie ist nicht untypisch für die konventionellen Kraftwerke in Deutschland. Ohne eine Anpassung des Strommarktes an die veränderten Bedingungen der Energiewende werden wir mittelfristig ein ernsthaftes Problem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland bekommen.“ Duin verweist auf einen Runden Tisch, der zur Enervie-Problematik am Montag tagen soll; „eingeladen dazu sind Vertreter von Enervie, Amprion und der Bundesnetzagentur“.
Für Thomas Majewski, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Enervie-Gruppe ist die Vorstands-Entscheidung ein tiefer Einschnitt. Wie viele Arbeitsplätze am Ende tatsächlich wegfallen, sei noch nicht zu beziffern. Klar sei aber: „Auch im Vergleich zu dem bisherigen Stellenabbau wird das eine Situation werden, wie sie Enervie noch nicht erlebt hat.“
Eine Chance sei, dass man nicht von heute auf morgen entscheiden müsse. Dass man nun rund fünf Jahre Zeit habe, Konzepte zu entwickeln, um mit neuen Marktbereichen neue Arbeitsplätze zu schaffen oder mit Instrumenten wie Alterteilzeitregelungen und Abfindungen einen sozialverträglichen Stellenabbau hinzubekommen. Der Betriebsrat sei bereit, konstruktiv an diesem Weg mitzuarbeiten. Allerdings nur unter einer Bedingung: „Es darf nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen.“
Klar sei bereits jetzt, dass nicht nur die Energieerzeugungssparte mit allein rund 350 Beschäftigten betroffen sei: Der Prozess der Umstrukturierung werde alle Geschäftsbereiche erfassen. Allerdings müsse man jetzt auch weitere Details abwarten. Bislang gebe es ja nur den Vorstandsbeschluss, so Thomas Majewski, der qua Amt auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist: „Ich gehe fest davon aus, dass es bei einer Entscheidung von solcher Tragweite auch noch eines Beschlusses des Aufsichtsrates bedarf.“
„Ich trage die Stilllegungs-Entscheidung mit, weil sonst das Gesamtunternehmen in Gefahr gerät“, erklärte gestern Lüdenscheids Bürgermeister und Aufsichtsratsmitglied Dieter Dzewas auf unsere Nachfrage. – Es wäre eine Überraschung, wenn der Aufsichtsrat insgesamt zu einer anderen Meinung käme.