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„Der erste Überfall war wie eine Entweihung“

„Der erste Überfall war wie eine Entweihung“

Der Schlecker-Markt in der Marler Wacholderstraße. Im März wurde er überfallen. Foto: Guido Schulmann
Der Schlecker-Markt in der Marler Wacholderstraße. Im März wurde er überfallen. Foto: Guido Schulmann

Essen. Der Serientäter, der in Düsseldorf Anfang des Jahres zehn Schlecker-Filialen überfiel, ist gefasst. Das Problem ist damit allerdings nicht gelöst. Verkäuferinnen, die Opfer von Überfällen geworden sind, leiden lange. Oft verändert sich ihre gesamte Persönlichkeit. Ein Erfahrungsbericht.

Sie stand im Bad, als das Telefon klingelte. Mit nassen Haaren, das Handtuch noch in der Hand, nahm Antje Hirr-Gashi an jenem Wintermorgen vor drei Jahren den Anruf entgegen. Daran erinnert sie sich noch genau. Eine Freundin, gleichzeitig Kollegin in ihrer Schlecker-Filiale in der Düsseldorfer Tußmannstraße, war am Apparat, völlig aufgelöst, beinahe panisch: Sie sei überfallen worden. Hielt den Täter zunächst für einen Kunden, bot ihm freundlich Hilfe an. Da drückte er ihr eine Pistole in die Seite, brüllte: „Ich will das Geld!”, drängte sie in eine Büroecke und zwang sie, den Tresor zu öffnen. Mit 3000 Euro Beute flüchtete er. Seit neun Jahren war Antje Hirr-Gashi damals schon Leiterin des kleinen Drogeriemarktes in Pempelfort – und immer hatte sie sich sicher gefühlt. „Dieser Anruf, dieser erste Überfall”, sagt die 37-Jährige heute, „das war wie eine Entweihung. Plötzlich war alles anders.“

Kunden schaut sie heute ganz anders an

Die Freundin absolvierte die Aussage bei der Polizei, die Untersuchung in der Klinik wie in Trance. Danach, in der ersten Zeit nach dem Überfall, traute sie sich nicht mehr aus dem Haus. Später vermummte sie sich, wenn sie es doch tat – aus Furcht, auf der Straße vom Täter erkannt zu werden. „Es war schockierend zu sehen, wie sich ihre Persönlichkeit änderte . . .”, sagt Antje Hirr-Gashi. Sie selbst habe „versucht, sich nicht verrückt machen zu lassen”. Aber Kunden schaut sie heute doch anders an als früher, das Geschehen vor dem Laden beobachtet sie aufmerksamer. Und sie sagt, fast als ob sie sich dafür schämt: „Ich war nicht mal selbst dabei. Aber seither habe ich jeden Tag Angst, wenn ich arbeiten gehe.”

Der Täter von damals wurde bis heute nicht gefasst. Antje Hirr-Gashis Filiale aber in diesem Jahr zwei weitere Male überfallen. Wie schätzungsweise 530 weitere Filialen des schwäbischen Unternehmens. „Schlecker hat eindeutig ein Überfall-Problem”, sagt Jochen Welsch, bei Verdi Experte fürs Thema. Ein Problem, das andere Drogeriemärkte, DM oder Rossmann etwa, nicht hätten. Die Polizei bestätigt diesen Eindruck. „In der Regel ist bei Schlecker nur eine Verkäuferin im Geschäft. Überwachungskameras gibt’s kaum. Und die Kasse ist immer ganz vorn, am Eingang. Alles sehr attraktiv für einen Täter, der einen Tatort ausbaldowert”, erläutert Wolfgang Wierich, Sprecher der Düsseldorfer Polizei. Weshalb er auch der Ruhe nicht richtig traut, die eintrat, nachdem im August endlich der Serientäter gefasst wurde, der Anfang des Jahres allein in Düsseldorf zehn Schlecker-Märkte überfallen hatte.

„Ein leichtes Opfer“

Schlecker sei „ein leichtes Opfer”, glaubt auch Verdi-Experte Welsch. Und nennt einen weiteren Grund dafür: „die Läden selbst”. Schlecker liebe es „dunkel, eng und schmuddelig”, um ein „Billigpreis-Image zu bekommen”. „Überall, wo es Bargeld gibt, kommen leider immer wieder auch Raubserien vor”, erklärt dagegen Schlecker-Sprecher Florian Baum. Das Unternehmen werde nicht häufiger überfallen als andere, betreibe nur eben „dreimal so viele Verkaufsstellen wie alle Mitbewerber zusammen”.

„Schlecker”, betont Baum in einer schriftlichen Stellungnahme, habe bereits „in immer mehr” Verkaufsstellen „eine ganze Reihe von Maßnahmen implementiert, die dem Schutz der Angestellten im Sinne der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dienen”, etwa überfallsichere Tresore, regelmäßige Bargeldabholung, Notfall-Alarmknöpfe oder (in besonders gefährdeten Bereichen) Motorrad-Patrouillen. Ein konsequente Videoüberwachung des Kassenbereichs, wie sie Polizei und auch Betriebsräte fordern, lehnt das Unternehmen allerdings ab. „Ein heikles Instrument”, glaubt Baum – seit Fälle von Mitarbeiterüberwachung bei anderen bekannt geworden seien.

In der Tußmannstraße gibt es eine Kamera – und Antje Hirr-Gashi, die auch stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist, ist froh darüber. Tatsächlich, räumt auch sie ein, habe sich einiges getan. Die Tageseinnahmen müsse sie nicht mehr selbst zur Bank bringen, auch der Sicherheitsdienst habe in der Tußmannstraße patrouilliert. („Als der Serientäter gefasst war, wurde die Streife allerdings sofort abgezogen.”) Und Telefone gäbe es inzwischen in den meisten Schlecker-Filialen auch. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders, so Jochen Welsch von Verdi. Und änderte sich erst, als bei einem Überfall in Köln Anfang der 90er-Jahre eine Verkäuferin getötet wurde. Auch in Antje Hirr-Gashis Filiale steht ein Telefon. „Was gut ist”, sagt die Filialleiterin, „selbst wenn es kastriert ist.” Nur die Polizei und Schlecker-Filialen kann sie anrufen, selbst nicht angerufen werden. Das Unternehmen rücke die Nummer des Anschlusses nicht heraus. „Nicht schlimm”, sagt Antje Hirr-Gashi. Bei Notfällen daheim sei sie ja über ihr privates Handy erreichbar.

Kein Blumenstrauß, kein mitfühlendes Wort

Die 37-Jährige also jammert nicht gern. Dass sie oft sechs Stunden lang allein im Geschäft steht – ohne Gelegenheit, auch nur kurz aufs Klo zu gehen: Das erwähnt sie nur. (Stammkunden könne man ja durchaus ansprechen, wenn die Not zu groß sei.) Auch darüber, dass sie die Ware nicht nur bestellen, sondern auch verräumen muss, trotz ihrer drei Bandscheibenvorfälle; dass sie die 200 Quadratmeter Verkaufsfläche samt Fensterfront selbst putzen muss: nein, auch darüber klagt sie nicht. Sagt nur. „Ich häng‘ doch an meinem Job!” Was Antje Hirr-Gashi wirklich „wurmt”, ist „die Tatsache, dass sich Schlecker so gar nicht rührt, dass dem Unternehmen die Sicherheit seiner Leute offenbar nichts wert sei.” Keinen Blumenstrauß, nicht einmal ein mitfühlendes Wort hätten die Vorgesetzten nach den Überfallen für die Betroffenen übrig gehabt, erinnert sie sich. „Ach, doch”, korrigiert sie dann. Eine Extra-Prämie für den Bestellshop gab’s. 150 Punkte für ihre Freundin. 100 für die Kollegin, die beim zweiten Überfall im Laden stand. 50 noch für die dritte.