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Das Gift aus der Hauswand

Das Gift aus der Hauswand

Essen. 

Drei Jahre nach der Wärmedämmung sah ihr Traumhaus aus wie eine Schmuddelbude. Algen und Pilze wuchsen auf der Fassade. Wieder war ein neuer Anstrich fällig für das Heim von Familie Houtrouw aus Witten. Jetzt leuchtet das Haus von 1934 in frischem Gelb. „Wie lange hält es diesmal?“, fragt sich Geske Houtrouw. Die 38-Jährige ist skeptisch geworden. „Es war wohl ein Fehler, das Haus zu dämmen“, sagt sie. Seit kurzem weiß Geske Houtrouw, dass die Hausfassade gefährliche Biozide enthält. Chemikalien, die die Umwelt vergiften.

Die Maler sind gerade erst weg, das Baugerüst steht noch. Und in einer Ecke der letzte Eimer Fassadenfarbe. Diese Silikonharz-Farbe enthält die Biozide Terbutryn und Isoproturon. Die chemischen Keulen machen Schädlingen auf Hauswänden den Garaus. Sie sind auch „sehr giftig für Wasserorganismen“, können „in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben“ und „vermutlich Krebs erzeugen“. Steht im Sicherheitsdatenblatt zur Farbe.

Terbutryn, Diuron, Isoproturon, Carbendazim, Zink-Pyrithion – Biozide sind chemisch-biologische Allzweckwaffen. Sie wirken in Haarwaschmitteln und Desinfektionssprays, als Holzschutz, Topfkonservierer oder Rattenköder. Der Energieeffizienz-Boom spült nun eine Biozidwelle heran. Eine Studie aus der Schweiz beschreibt das Problem. Wissenschaftler der Wasserforschungsanstalt Eawag und der Uni Duisburg-Essen ließen künstlichen Regen auf ältere und neue Fassaden nieder. Das Wasser löste Biozide aus dem Mauerwerk. Die Menge lag bei einem frisch gestrichenen Hauses 1000-fach über den Werten eines vier Jahre alten Gebäudes. „Biozide versickern im Boden oder gelangen über Kläranlagen in Gewässer“, so Umweltbiologin Irene Wittmer.

260 Quadratmeter misst die gedämmte Außenfassade des anderthalbgeschossigen Hauses von Familie Houtrouw in Witten. Bei Feldversuchen in der Schweiz wurden pro Jahr und Geschoss 0,2 Kilo Terbutryn je Hektar ausgewaschen. Rund 900 Millionen Quadratmeter Wärmedämmverbundsysteme klebten Ende 2012 auf deutschen Fassaden. Das sind 900 Quadratkilometer – eine Fläche, die größer ist als das Bundesland Berlin.

Unsere gedämmten Flächen sind größer als Berlin

Die Forschungsergebnisse aus der Schweiz und die Wärmedämmungsbilanz aus Deutschland schlagen sich in den Gewässern von NRW nieder. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) spricht von „einigen Überschreitungen“ der Grenzwerte für Biozide. Lanuv-Daten, die unserer Zeitung vorliegen, belegen rund 660 Grenzwertüberschreitungen allein von 2008 bis 2012.

Bisher galt die Landwirtschaft als Hauptbelastungsquelle. Bauern nutzen Biozide – wie Pestizide – zur Schädlingsbekämpfung. Solche Hinweise bringen Bauern auf den Baum. „Wir werden engmaschig kontrolliert“, sagt Petra Drees-Hagen. Sie spricht für 42 000 Mitglieder im Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband. Die wüssten, was sie dürften und was nicht.

Forscher fanden heraus, dass Isoproturon-Konzentrationen in Fassaden „pro Flächeneinheit rund 10- bis 20-mal höher liegen“ als in der landwirtschaftlichen Praxis. Untersuchungen belegen, dass nachträglich gedämmte Fassaden die Giftbelastung verschärfen. „Sie sind besonders anfällig für Bewuchs“, sagt Prof. Christoph Mäckler, Lehrstuhlinhaber für Architektur an der Universität Dortmund. Das Problem steckt im System: Wer ein altes Haus einpackt, hält es drinnen warm. Weil die Innenwände kaum Wärme nach draußen lassen, kühlt die Fassade außen nachts rapide ab. Feuchtigkeit kondensiert und bildet Tauwasser: ein Nährboden für Algen, Pilze und Bakterien.

„Die Industrie begegnet dem Bewuchs fast immer mit massivem Einsatz von Bioziden“, sagt Dr. Uwe Erfurth vom Institut für Bautenschutz (IfB). Biozide stecken in Kunstharzputzen und Dispersionsfarben, mit denen der sogenannte Egalisationsanstrich erfolgt, eine Art Versiegelung für gedämmte Fassaden. Die Baubranche spricht von „Filmkonservierung“ – ein Reizwort für Diplom-Chemiker Erfurth: „Die Filmkonservierung läuft nach dem Motto: In einem giftigen Sumpf wächst nichts mehr.“

Das giftige Terbutryn in NRW-Gewässern schreibt der Umweltchemiker Prof. Kai Bester „vollständig dem Bautenschutz“ zu. Nur dort werde der Wirkstoff noch verwendet. Tatsächlich ist Terbutryn als Pestizid in der Landwirtschaft seit 1997 verboten. Der Toxikologe Herbert Lichtn­ecker hält gravierende Folgen der Gewässerbelastung auf Dauer für unvermeidlich. „Die giftige Wirkung von Bioziden für Gewässer ist unbestritten“, sagt er. „Es kommt der Tag, an dem wir eine Wirkung am Menschen sehen.“