Eine Tonne Kohlendioxid kostet derzeit so viel wie eine Pizza. Das ist schlecht. Denn der Emissionshandel könnte dem Klima helfen.
Berlin/Duisburg.
Männer in silbrigen Hitzeschutzanzügen überwachen im Stahlwerk von ThyssenKrupp im Duisburger Norden einen Abstich: Zischend fließt das Roheisen aus dem Hochofen, der 365 Tage im Jahr kocht. Für die Stahlgewinnung wird vor allem Kohle eingesetzt – und es wird viel Treibhausgas ausgestoßen.
Diese Kohlendioxidemissionen haben in Europa einen Preis. Derzeit liegt er bei rund 8,50 Euro pro Tonne. Verantwortlich dafür ist das sogenannte Emissions Trading Scheme (ETS), der EU-Emissionshandel. Dadurch soll die Industrie einen Anreiz haben, sich klimaschonender zu verhalten. Knapp die Hälfte der europäischen Emissionen wird vom ETS geregelt, außen vor sind der Verkehr und private Emissionen.
In der Theorie überzeugt das Instrument: Statt einen bestimmten Preis festzulegen, schreibt die EU vor, wie viele Zertifikate insgesamt ausgestoßen werden, der Markt regelt dann den Preis. So sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 EU-weit bis 2030 um 40 Prozent sinken. Derzeit sind erst knapp 20 Prozent geschafft.
Kann das europäische System ein globales Vorbild sein?
Vor dem großen Klimagipfel, der ab Ende November in Paris stattfindet, steht das europäische System besonders im Fokus, denn es ist das größte Klimaschutzinstrument der Welt. Die Europäer wollen andere Länder, insbesondere die größten Emittenten China und USA, dazu überreden, sich ebenfalls stärker am Klimaschutz zu beteiligen. Umweltministerin Barbara Hendricks erwartet, mit dem Kohlendixiodhandel im Rücken, dass Europa in Paris eine „Vorreiterrolle“ einnimmt.
Taugt das europäische Instrument also als Vorbild und funktioniert es wie geplant? Umweltorganisationen sehen das nicht so. „Der Zustand des ETS ist wirklich desolat“, sagt Regine Günther, Klimaexpertin der Umweltorganisation WWF. Der Zertifikatepreis reiche nicht aus, um die Transformation des Energiesektors in die Wege zu leiten.
Emissionshandel wurde missbraucht
Experten gehen davon aus, dass sauberere Gaskraftwerke erst bei einem Preis von mehr als 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid mit Kohlekraftwerken konkurrieren können. Dass der Preis so niedrig ist hat zwei Gründe: Zum einen ist die wirtschaftliche Entwicklung in Europa schlecht, deshalb braucht die europäische Industrie deutlich weniger Zertifikate als ursprünglich geplant. Industrieverbände wie die zum Beispiel Stahlkocher verweisen darauf, dass das ETS also wie vorgesehen reagiert: Die Klimagaspreise sind niedrig, weil auch die Emissionen niedrig sind.
Zum anderen sind aber auch über viele Jahre Emissionsminderungen außerhalb Europas im System angerechnet worden, wenn sie aus der EU finanziert wurden. Dabei gab es Missbrauch: zum Beispiel wurden Einsparungen, die ohnehin umgesetzt werden sollten, nach Europa verkauft. „Der europäische Emissionshandel funktioniert vom Prinzip, aber nur, wenn er als geschlossenes System betrieben wird. Das war bislang nicht der Fall“, sagt Oliver Geden, EU-Forschungsgruppenleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Osteuropäische Staaten bremsen
Die Folge der beiden Entwicklungen ist ein Überangebot in Höhe von etwa zwei Milliarden Tonnen Emissionen im europäischen System. Die EU hat darauf reagiert. Zunächst wurden temporär Zertifikate aus dem Handel genommen, die Regierungschefs und das EU-Parlament beschlossen, das Angebot an Zertifikaten zu verknappen.
Aus Sicht von Regine Günther vom WWF reicht das aber nicht aus. „So wie es derzeit aussieht, dauert es etwa zehn bis 15 Jahre, bis die Überschüsse abgebaut sind. Das ist viel zu lange, wir brauchen sofort einen funktionierenden Emissionshandel, um in Europa Klimaschutz wirklich lohnend zu machen.“ Die EU will bis 2050 sogar 80 bis 95 Prozent Emissionseinsparungen erreichen.
Europa könnte von China lernen
Das größte Hindernis für die Reform des Emissionshandels sind nicht einmal die Lobbyisten der energieintensiven Industrieunternehmen. Viele von ihnen, darunter ThyssenKrupp, erhalten einen Großteil ihrer Zertifikate gratis zugeteilt. Sondern einige osteuropäische Staaten unter der Führung von Polen. Dort, so Oliver Geden von der SWP, „ist der Widerstand gegen ehrgeizige Klimaschutzpolitik Teil der nationalen politischen Identität“. Polen befürchtet aufgrund seiner kohlendioxidintensiven Wirtschaft, insbesondere vieler Kohlekraftwerke, dass strenge Klimaschutzziele dem Land schaden könnten.
Der Klimagipfel in Paris wird vermutlich nicht den Durchbruch bringen, aber zur Folge haben, dass viele Länder nationale Maßnahmen einleiten und diese einer Überprüfung unterziehen. Das, so Oliver Geden, könnte ein erster Schritt für eine neue, pragmatischere globale Klimapolitik sein.
Damit würden allerdings die Emissionsminderungen nicht erreicht, die nötig sind, um die Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wird Europas Kohlendioxidhandelssystem eine Vorbildrolle spielen? „Es gibt durchaus konkurrierende Modelle, an denen zum Beispiel China arbeitet“, sagt Geden. „Möglicherweise ist es bald sogar andersherum und Europa lernt von anderen, wie bestimmte Fehlentwicklungen vermieden werden können.“