Bahn hat Stromleitungen angeblich nicht ordentlich gesichert
15.000 Volt fließen durch die Stromleitungen der Deutschen Bahn. Sie sind nötig, um die Züge des Konzerns an ihr Ziel zu bringen. Doch nun gibt es schwere Vorwürfe gegen die Bahn. Angeblich hat das Unternehmen seine Stromtrassen nicht ordentlich gesichert. Menschen sollen deshalb gestorben sein.
Essen.
15.000 Volt treiben Deutschlands Zugverkehr an. Doch der Bahnstrom ist für die, die ihm zu nahe kommen, meist tödlich. Erst letzte Woche erlitt ein 19-jähriger in Gütersloh schwerste Verbrennungen, weil er auf eine Rangierlok geklettert war. Ende letzten Jahres ging es einem 20-Jährigen im Essener Hauptbahnhof ähnlich. 2011 starb auf dem Herforder Güterbahnhof ein 16-jähriger.
Die Bahn wehrt sich regelmäßig gegen Vorhaltungen, ihre Anlagen nicht ausreichend abzuschirmen: „Wir sind nicht verpflichtet, einzuzäunen“. Denn: Zäune könnten schließlich auch behindern, wenn zum Beispiel Fahrgäste evakuiert werden müssen.
Hat die Bahn bei der Sicherheit gespart?
Jetzt aber erhebt die Süddeutsche Zeitung schwere Vorwürfe gegen das Staatsunternehmen. Über Jahre habe sich die DB – aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus – geweigert, ausreichende Sicherheitsstandards für die Arbeit in der Nähe der Leitungen in Kraft zu setzen. Sie sei deshalb für den Tod von Menschen verantwortlich. „In etlichen Fällen waren die Sicherheitsvorkehrungen offenbar mangelhaft“.
Mehr noch: Ein zuständiger Bediensteter, der schärfere Sicherheitsregeln formuliert habe, sei zurückgepfiffen und in ein Zimmer ohne Telefon und Computeranschluss versetzt worden. Auch in der Bahnführung sei der Ruf nach mehr Sicherheit blockiert worden. Dabei sei auch Bahnchef Rüdiger Grube mit den Fragen befasst worden.
Sieben Arbeiter starben durch Stromstöße
Die tödliche Bilanz: Zwischen 2008 und 2012 sind sieben Arbeiter bei Oberleitungs-Unfällen durch Stromstöße ums Leben gekommen – auch, weil sie nicht über die notwendigen Abstände zu den Stromanlagen unterrichtet gewesen seien, so geht es aus der Süddeutschen Zeitung hervor.
Sie nennt Fälle in Triberg im Schwarzwald, Baunatal und München-West und vor allem Hannover. Betroffen gewesen seien Mitarbeiter von Fremdfirmen, die beispielsweise Bäume stutzen sollten oder Bahnhöfe reparieren. Die Redaktion beruft sich auf ihr vorliegende interne Dokumente und E-Mails des Unternehmens.
Tödlicher Unfall in Hannover
Detailliert schildert die Zeitung den Vorfall vom 16. Juli 2012. Damals starben im S-Bahnhof Hannover-Nordstadt der 21-jährige Matthias Wieneke und sein 45-jähriger Kollege. Sie sollten die Glasbausteine des Bahnhofs putzen. Möglicherweise erfasste ein Windstoß ihre Leiter. Die beiden wurden in die Fahrleitung gedrückt und verbrannten. Einsatzkräfte durften die Toten erst berühren, als der Strom abgeschaltet war. Angehörige der Opfer zeigten die Bahn an.
Die Bahnführung reagierte gestern mit einer Stellungnahme. „Sicherheit ist bei der Deutschen Bahn oberstes Gebot, dem sich alles unterzuordnen hat“. Sie verfüge über „ein umfangreiches Richtlinienwesen“, das ständiger Bewertung und Überprüfung unterliege. Im Fall Hannover habe die Staatsanwaltschaft „kein regel- und pflichtwidriges Verhalten“ des Staatsunternehmens festgestellt. „Die ordnungsgemäße Einstellung des Verfahrens wurde zwischenzeitlich auf die Beschwere der Betroffenen hin auch von der Generalstaatsanwaltschaft Celle bestätigt“.
Eisenbahnbundesamt hat Vorermittlungen eingeleitet
Das sonst für die Sicherheit zuständige Eisenbahnbundesamt (EBA) erklärte auf unsere Anfrage, zwar habe es im Fall Hannover selbst Vorermittlungen geführt. Schnell habe sich dann aber herausgestellt, dass kein Eisenbahnunfall im eigentlichen Sinn vorgelegen habe. Die Zuständigkeit habe in Hannover am Ende bei der örtlichen Gewerbeaufsicht und den Strafermittlern gelegen.
Müssen Bahnunternehmen Fremdfirmen vorab instruieren, wenn sie sie an ihrem Netz werkeln lassen? Das EBA: „Sofern es die Ausführung von sicherheitsrelevanten Aufgaben betrifft, müssen sie dafür Sorge tragen, dass das Personal der für sie tätigen Dienstleister richtig ausgebildet ist sowie bei seiner Tätigkeit überwacht wird“.
Stromleitungen gefährden Jugendliche
Ein Insider sagte der Funke-Mediengruppe, tatsächlich werde in vielen Sicherheitsvorschriften großer Wert darauf gelegt, dass die Abstände zu den gefährlichen Stromkabeln eingehalten würden. Er versicherte zudem: Er könne sich an keine interne Debatte über Vorgänge wie in Hannover erinnern.
Dennoch ist die Absicherung der Bahnstromleitungen generell ein Thema, denn vor allem viele Jugendliche, die Bahnanlagen und Züge als Spielplatz aussuchen, werden Jahr für Jahr verletzt oder getötet. Die Bundespolizei zieht in NRW von Schule zu Schule und erklärt den Schülern, wie gefährlich die Annäherung (und eben nicht nur der direkte Kontakt) zu Oberleitungen ist.
Und bahn-intern wurde auch schon darüber gesprochen, dass auf der freien Strecke im Ruhrgebiet – anders als auf Güterbahnhöfen – die Strom-Warntafeln (roter Pfeil auf gelbem Grund) fast durchweg fehlen.