15 Prozent seines weltweiten Umsatzes erzielt der Versandhändler Amazon in Deutschland. Doch nach einem TV-Bericht über Ausbeutung und Bespitzelung von Leiharbeitern, hadert die Amazon-Fangemeinde mit dem Internet-Riesen. Viele wütende Kunden kündigen im sozialen Netzwerk Facebook an, die Auflösung ihrer Konten zu beantragen. Auch die Politik reagiert.
Die ARD-Dokumentation „Ausgeliefert“, die am Mittwoch ausgestrahlt wurde, hat es in sich. Kamerateams begleiteten Leiharbeiter in den Amazon-Logistikzentren Bad Hersfeld, Gaben und Koblenz während des Weihnachtsgeschäfts, als bis zu zwei Millionen Pakete täglich die bundesweit sieben Großlager – unter anderem auch im niederrheinischen Rheinberg und in Werne (Kreis Unna) – verließen. Um die Päckchenflut zu bewältigen, soll Amazon 5000 Saisonarbeiter unter anderem aus Spanien, Rumänien und Polen unter unwürdigen Arbeitsbedingungen eingesetzt haben.
Billige Motels als Unterkunft
In dem Bericht heißt es, dass statt der versprochenen 9,68 Euro Stundenlohn tatsächlich nur 8,52 Euro gezahlt worden seien. Die Leiharbeitsfirma zog nach eigenen Angaben die Ausgaben für Kost und Logis ab. Doch die Betreuung fiel alles andere als üppig aus: Die Arbeiter wohnten in überfüllten Ferienpark-Bungalows und billigen Motels. In einer Erklärung bestätigt die Sicherheitsfirma, dass sie regelmäßig Taschen und Bungalows der Saisonkräfte durchsucht habe. „Beschädigungen oder Diebstähle von Hoteleigentum sind in der Vergangenheit häufiger vorgekommen“, heißt es in dem Schreiben. Kontakte zur rechtsradikalen Szene, von denen in der Dokumentation die Rede ist, weist das Unternehmen aber ausdrücklich zurück.
Amazon selbst betont, den Sicherheitsdienst nicht beauftragt zu haben und will das Verhalten der Firma überprüfen. Zum Vorwurf der schlechten Bezahlung erklärt der Online-Riese, dass Saisonkräfte bei einer 37,5-Stunden-Woche 1400 Euro brutto pro Monat erhielten. Das entspreche einem Stundenlohn von 9,33 Euro.
Während sich die Beteiligten zu rechtfertigen versuchen, stimmen die Amazon-Kunden mit den Füßen ab. Auf der Facebook-Seite des Onlinehändlers ist eine heftige Debatte entbrannt. „Ich werde meine Konsequenzen daraus ziehen und mein Konto löschen“, schreibt ein Kunde. „Amazon, da habt Ihr am falschen Ende gespart. Jetzt kommt es Euch richtig teuer“, postet ein anderer.
Die schlechten Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren waren schon häufig Thema. Essverbot am Arbeitsplatz, Überwachung, Kritik an zu häufigen Toilettengängen. Die Leiharbeiter-Debatte scheint Amazon aber erstmals zu schaden. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) forderte gestern via „Welt am Sonntag“ Aufklärung. „Der Verdacht wiegt schwer, deswegen müssen jetzt so schnell wie möglich alle Fakten auf den Tisch“, sagte sie und drohte der Leiharbeitsfirma, die Amazon einsetzt, mit Lizenzentzug.
Erster Betriebsrat gewählt
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will die Situation nutzen, um einen Tarifvertrag für die deutschen Amazon-Zentren durchzusetzen. „Wir stehen aktuell mit Amazon in Gesprächen und wollen Verhandlungen über einen Tarifvertrag beginnen“, sagte der Verdi-Vertreter in Frankfurt, Heiner Reimann. Ein Abschluss wäre für Amazon als Arbeitgeber „ein Prädikat“.
Immerhin gibt es bei Augsburg nun den ersten Amazon-Betriebsrat, der mit einer Beteiligung von 60 Prozent gewählt wurde. „Das war mehr als überfällig und ist ein großer Schritt zu besseren Arbeitsbedingungen bei Amazon“, kommentierte Verdi-Gewerkschaftssekretär Thomas Gürlebeck. Und auch in Rheinberg kamen im Januar rund 1500 Beschäftigte zusammen, um einen Wahlvorstand für die Betriebsratswahl zu bestimmen.