Die NRW-Landesregierung hat Regierungspräsident Gerd Bollermann entmachtet. Jetzt ist die SPD in Südwestfalen auf dem Baum – und nicht nur die.
Hagen / Arnsberg.
Es passiert ja nicht selten, dass die Opposition verbal auf den Innenminister eindrischt, wenn er denn der politischen Konkurrenz angehört. Dass aber die eigene Partei ein Mitglied der rot-grünen Landesregierung so vehement für eine Personalentscheidung verdammt wie im Fall Bollermann, dürfte schon ungewöhnlich sein.
Da zählt Dirk Wiese, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Brilon, noch zu den Zurückhaltenden. „Über das Verfahren, den Regierungspräsidenten im Urlaub über seine Entmachtung zu informieren, bin ich alles andere als glücklich“, sagt er. „Herr Bollermann und sein Stellvertreter haben hervorragende Arbeit für Südwestfalen geleistet.“
„In die Wüste geschickt“
Letzteres sagen viele in Südwestfalen und im Ruhrgebiet über den entmachteten Regierungspräsidenten, sogar wenn sie der CDU angehören. Burbachs Bürgermeister Christoph Ewers beispielsweise. Er erklärte im WDR: „Dass jemand jetzt – kurz vor seinem Ruhestand – in die Wüste geschickt wird, der eigentlich ein Jahr lang die Kohlen für das Innenministerium aus dem Feuer geholt hat, das ist nicht nachvollziehbar.“ Zur Erinnerung: Die Burbacher Unterkunft erlangte traurige Berühmtheit, weil dort ein Flüchtling misshandelt worden war.
Die SPD in Südwestfalen ist jedenfalls auf dem Baum. „Solch ein Vorgang ist ohne Beispiel in NRW, und wir fragen uns, ob dieses Vorgehen juristisch wasserdicht ist, und fragen auch, ob die für eine solche Maßnahme notwendige Ressortabstimmung erfolgt ist“, teilten Hans Walter Schneider, Vorsitzender der SPD-Regionalratsfraktion, und Willi Brase, SPD-Bundestagsabgeordneter, mit. „Sowohl Regierungspräsident Dr. Gerd Bollermann, als auch Regierungsvizepräsident Volker Milk genießen weiterhin unser volles Vertrauen, ebenso wie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
NRW steht vor gewaltigen Herausforderungen
Die Kollegen des Unterbezirks Dortmund legen noch eine Schippe drauf und greifen den eigenen Innenminister frontal an: „Insgesamt stellt sich nachdrücklich die Frage nach einer gerechten Verteilung der Asylbewerber auf die Regionen in NRW. Während Westfalen immer mehr Zuweisungen bekommt, ist dies im Rheinland längst nicht so. Darum sollte sich der Innenminister verstärkt bemühen!“ Was sie damit meinen: Bollermann und sein Vize Volker Milk mussten sich um Probleme kümmern, die ihnen andere eingebrockt haben.
Viele rätseln nun darüber, was der wahre Grund für Bollermanns Entmachtung – acht Wochen vor dem offiziellen Beginn seines Ruhestandes – sein könnte, zumal der 66-Jährige die Landesregierung nach eigenen Angaben bereits vor fast einem Jahr über den Wunsch, Ende August aufhören zu wollen, informiert hatte. „Was muss da Schwerwiegendes passiert sein, dass der Innenminister den Regierungspräsidenten in einer Nacht-und-Nebelaktion absetzt?“, fragt sich der Landrat des Hochsauerlandkreises Karl Schneider, CDU. Sein Parteifreund Hermann-Josef Droege, Vorsitzender des Regionalrates, sieht es ähnlich: „Da müssen im Hintergrund noch andere Dinge gelaufen sein.“ Den Stellvertreter „gleich mit zu desavouieren, sei unmöglich“.
Nachfolger startet mit Paket von Belastungen
Nicht nur Christdemokraten vermuten, dass die voreilige Demission des Behördenchefs in der Tat mit der Flüchtlingsproblematik zusammenhängt – allerdings nicht so, wie es das Innenministerium offiziell darstellt. NRW steht vor gewaltigen Herausforderungen, der Druck auf den zuständigen Minister wächst. Möglich, dass Bollermann nicht mehr zu allen Entscheidungen aus Düsseldorf Ja und Amen gesagt hat. Möglich, dass ihm und seinem Apparat die Unterstützung der Landesregierung fehlte. Schließlich benötigt die Bezirksregierung für die Organisation der NRW-weiten Flüchtlingsunterbringung vor allem eines: geschultes Personal.
Bollermann hat immer wieder auf die knappen Ressourcen hingewiesen. Zuletzt verschärfte sich wohl auch der Konflikt zwischen Innenminister und Bezirksregierung über die Ausübung der Abschiebepraxis. Im April hatten sich Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet über Jäger beschwert, weil er bei Ausreiseverpflichtungen noch einmal eine Einzelfallprüfung vornehmen lassen wollte. Und möglich auch, dass Jäger jetzt an die anderen Bezirksfürsten in Signal setzt: Wer den Mund aufmacht, bekommt Probleme.
CDU hat Fragenkatalog verschickt
Die CDU im Landtag hat schon mal einen umfangreichen Fragenkatalog an das Innenministerium verschickt. Der stellvertretende Fraktionschef Kuper will zum Beispiel wissen, ob die Personalie der Ausdruck eines „Misstrauensvotums“ gegen die Bezirksregierung und ihre Leitung sei. Klaus Kaiser, CDU-Bezirkschef Südwestfalen, spricht gar von einer „menschlichen Schweinerei“. Jäger suche ein Bauernopfer.
Bollermanns Nachfolger startet also im September gleich mit einem dicken Paket von Belastungen. Erstens nimmt er auf einem Schleudersitz Platz: In zwei Jahren wird in NRW gewählt; wer weiß, wie Rot-Grün dann abschneidet. Zweitens stärkt der Umgang mit dem Vorgänger nicht gerade die Position des neuen Arnsberger Chefs. Drittens: Mit der Übernahme des Postens billigt er indirekt diesen Umgang.
Kein Wunder, dass die Zahl der Aspiranten offenbar sehr überschaubar ist. Die SPD in Südwestfalen hat sich dem Vernehmen nach auf einen Landtagsabgeordneten aus der Region festgelegt; ob die Landesregierung mitspielt, bleibt abzuwarten. Sie favorisiert angeblich eine SPD-Bürgermeisterin aus dem Münsterland. Und wie ernst sie die Genossen in Südwestfalen nimmt, hat sie ja gerade gezeigt.