Wenn Maria Reichmann auf ältere Zeitungsausschnitte blickt, dann muss die 88-Jährige gar nicht lange überlegen. „Hier bin ich das erste Mal in Saporoshje!“, „Hier sammeln wir Kleiderspenden!“, „Und das sind unsere Patenkinder!“
Oberhausen.
Viele Erinnerungen stecken in einem kleinen Schutzumschlag, der bei Maria Reichmann wohl bald ausgetauscht werden muss. Denn: Er wird zu klein. Es kommen jede Menge Eindrücke hinzu.
„Ich hab‘ noch genügend Power“
Maria Reichmann kann sich über Langeweile nicht gerade beklagen. „Es ist immer etwas zu tun!“, sagt sie. Und blickt man auf ihre Tätigkeiten, man glaubt es ihr sofort. Seit 34 Jahren ist sie in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) aktiv – davon 20 Jahre Distriktleiterin in Lirich. Auch heute noch.
Das bedeutet: Maria Reichmann organisiert das gemütliche Kaffeetrinken, bunte Nachmittage mit Singen, Vorträgen und Aufführungen. Auch wenn der gemütliche Teil in der Runde deutlich Oberhand gewonnen hat. „Die Jüngsten in der Gruppe sind um die 70 Jahre alt, daher sind die Aktivitäten etwas zurückgegangen.“ Für Maria Reichmann selbst kommt ein Kürzertreten aber nicht in Frage: „Ich hab’ noch genügend Power“, sagt sie und lacht.
Unkonventionelle Anfänge
Zur AWO ist sie 1977 eher unkonventionell gelangt. „Das war ganz einfach“, sagt sie. „Meine Mutter war schon in der AWO und meine Tante auch. Meine Tante war zudem als Kassiererin tätig. Also hat sie gesagt: Mit 75 Jahren höre ich auf. Und dann machst du das eben!“ Gesagt, getan. Schon war Maria Reichmann in die Gemeinschaft integriert.
Doch: Überraschung! „Ich habe mich bei der AWO angemeldet und erfahren, dass ich schon Mitglied war. Meine Mutter hatte zuvor einfach die Beiträge für mich bezahlt.“ Mit Nachhilfe zum großen Wirken: Zunächst vier als stellvertretende Distriktleiterin, dann ging es in die erste Reihe.
Nun bittet sie selbst einmal im Monat zum Gemeinschaftsabend an die Styrumer Straße. Maria Reichmann organisiert Ausflüge, Weihnachtsfeiern, Grünkohlessen. Sie macht es gerne, wenn es auch bei der AWO schwieriger wird. „Der Nachwuchs fehlt!“ Spezial
„Das ist pure Armut“
Mit dem Verkauf von gebrauchter Kleidung sammelte sie in den 70er und 80er Jahren auf der Marktstraße Geld für den guten Zweck. „1000 DM und mehr kamen da zusammen, so viel ist heute gar nicht mehr möglich“, erinnert sie sich. Heute greift sie daher lieber zur Stricknadel. Das zweite große Engagement von Maria Reichmann ist der Förderverein Saporoshje.
„Menschen machen’s möglich“ heißt in diesem Jahr wieder die Aktion der WAZ-Lokalredaktio Oberhausen n und der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft (RWW).
Wir stellen Ihnen neun Menschen aus Oberhausen vor, die sich ehrenamtlich für andere Menschen einsetzen. Danach können Sie, liebe Leser, entscheiden, wer besonders preiswürdig ist. Die Preise, 3000, 2000 und 1000 Euro, fließen in die Projekte, für die sich die Preisträger engagieren. Der Aufruf zur Abstimmung erfolgt, wenn alle neun Porträts gelaufen sind.
Daher strickt die 88-Jährige regelmäßig Pullover für die Kinder in der Oberhausener Partnerstadt. Viermal war sie bereits dort. Hat selbst gesehen, woran es in Saporoshje mangelt. „Das ist pure Armut. Dies selber zu sehen, spornt an, dagegen etwas zu tun.“
Zwei Patenkinder hat die AWO-Gruppe Lirich in Saporoshje. Svetlana (15) und Artur (9) kennt Maria Reichmann, die selbst einen Sohn, zwei Enkelkinder und zwei Urenkel hat, aus Briefen und von Besuchen. Artur nennt sie „Oma Deutschland!“ Saporoshje ist ein Thema, das ihr am Herzen liegt. „Das Bewusstsein dafür ist aus der Öffentlichkeit zu sehr verschwunden. Saporoshje hat mehr Aufmerksamkeit verdient.“
Kurz vor ihrem 89. Geburtstag lässt sie unter Freunden schon mal durchblicken, ihre Aktivitäten einschränken zu wollen. „Auch, wenn ich das äußerlich sage. In mir Drinnen sieht es anders aus. Es ist wie auf einem Fahrrad, auf dem du weiterstrampeln möchtest“, sagt sie und lächelt. „Du steigst nicht ab!“