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Fluch oder Segen? Das Oberhausener Centro ist ein ewiger Zankapfel

Fluch oder Segen? Oberhausener Centro ist ewiger Zankapfel

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Foto: WAZ FotoPool
Ist das Centro ein Fluch oder ein Segen? – Vor 20 Jahren gab die Stadt ihr Okay für das Einkaufszentrum. Seitdem streiten Befürworter und Gegner. Wir stellen zwei Meinungen gegenüber: Ex-OB Drescher und Kritiker Walter Brune in Gastbeiträgen.

Oberhausen. 

Vor 20 Jahren, am 17. August 1993, erteilte das Bauordnungsamt der Stadt die Baugenehmigung für wesentliche Teile des Großprojekts Centro in der Neuen Mitte, das sich zum wichtigsten Touristenmagneten Oberhausens entwickeln sollte.

Fluch oder Segen? Seit über zwei Jahrzehnten streiten Befürworter und Gegner über das Centro. Die einen sehen im Einkaufszentrum, seiner späteren Erweiterung und den Freizeiteinrichtungen in der Neuen Mitte den Stein gewordenen Beweis für einen ebenso notwendigen wie gelungenen Strukturwandel. Die anderen halten das Centro für den Sargnagel des Einzelhandels in Alt-Oberhausen, Osterfeld und Sterkrade. Auch die Nachbarstädte hatten erhebliche Bedenken, dass nur wenige Kilometer entfernt von ihren Zentren ein riesiger Konsumtempel entstehen sollte. Am Ende konnte ein regionaler Konsens erzielt werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die hiesigen Befürworter mit Fug und Recht darauf verwiesen, dass auch die anderen längst vorgeprescht waren – Mülheim zum Beispiel mit seinem Rhein-Ruhr-Zentrum.

Rund 22 Millionen Menschen besuchen heute jährlich das Centro. Sie kommen aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland.

Architekt Walter Brune: 

„Das Centro Oberhausen ist ein politisches Drama, welches im Detail beweist, wie eine deutsche Kulturstadt systematisch zerstört wurde. Die Politiker haben es für richtig befunden, ein großes Zentrum neben dem eigentlichen Stadtzentrum zu erlauben, um – wovon Fachleute bereits vorher dringend abrieten – den Einzelhandel einschließlich des Kaufhofs in das neue Centro Oberhausen zu verlagern. Die Marktstraße, die ehemalige Haupteinkaufsstraße Oberhausens, verwandelte sich nach Errichtung des Centro in eine öde „Müllstraße“, an der die meisten Geschäfte heute leer stehen und nur noch Nahversorger, wie z. B. Aldi etc. Platz finden.

Etwa 160 Einzelhändler haben ihre Existenz verloren und ein Investor aus England macht ein riesiges Millionengeschäft. Die meisten Einzelhändler konnten nicht in das Centro Oberhausen übersiedeln, weil der Investor keinen Inhaber geführten Einzelhandel wünschte, sondern nur Filialisten.

Der Inhaber geführte Einzelhandel zahlt Steuern in Oberhausen, die Filialisten an den Standorten der jeweiligen Hauptverwaltungen – und diese sind nicht in Oberhausen. Infolge dessen avancierte Oberhausen zu einer der ärmsten Städte Deutschlands. Sie verlor nicht nur den städtischen Charme, sondern auch Steuerzahler, die hier wirtschafteten und lebten. Der wirtschaftliche Erfolg resultierend aus dem Einzelhandelsumsatz wurde in die Hände eines ausländischen Investors übertragen. Und die Versprechungen der Politiker, die Marktstraße würde mit einem Glasdach versehen ein neues Einkaufserlebnis bieten, waren gelogen. Das Glasdach verblieb im Prospekt der politischen Weißmacher.

In den 50er Jahren galt es in Düsseldorf als MUSS, während der Weihnachtszeit mindestens einmal zum Einkaufen nach Essen oder Oberhausen zu fahren, weil die jeweiligen Haupteinkaufsstraßen (Kettwiger Straße in Essen sowie Marktstraße in Oberhausen) ihren Ruf als die Lichterstraßen bis nach Düsseldorf trugen. Es war chic, dort in der Weihnachtszeit einen Teil der Geschenke in sehr lebendiger Weihnachtsstimmung kaufen zu können. Aber das hat Oberhausen nun für immer verloren – Dank an den damaligen „tüchtigen“ Oberbürgermeister, dem es gelungen ist, noch kurz vor seinem Dienstausscheiden weitere 30.000 Quadratmeter Centro-Erweiterung genehmigungsmäßig durchzupeitschen – auch gegen Klagen und Widersprüche der Nachbarstädte, die die Folgen der ersten 70.000 Quadratmeter bereits kräftig spürten. Man kann sich ehrlich fragen, warum ein Bürgermeister so etwas macht, wenn er ohnehin aus dem Amt scheidet – was er zu diesem Zeitpunkt bereits wusste. Mit solchen unüberlegten Alleingängen werden unsere gewachsenen Kulturstädte von leichtfertigen Politikern zerstört.“

Ex-Oberbürgermeister Burkhard Drescher: 

„350 Hektar, also etwa 350 Fußballfelder sind in den 90er Jahren von der Industrie verlassen worden und als belastete Industriebrachen der Stadt „in den Schoß gefallen“. Von der Zeche Osterfeld über die Kokerei Osterfeld bis zur Essener Straße verabschiedeten sich in kürzester Zeit etwa 20.000 Arbeitsplätze. Es stellte sich, nach dem Wegfall von weiteren rund 20.000 Arbeitsplätzen in den 80er Jahren, für die Stadt Oberhausen die Existenzfrage. Oberhausen hatte sich um dieses Industrieareal zur Montanstadt entwickelt – das Areal und damit das wirtschaftliche Herz der Stadt Oberhausen war entleert. Die Zukunftsperspektiven über eine Ansiedlung neuer Industrien zerschlugen sich nicht zuletzt, weil nach der Wiedervereinigung der Zug der neuen Industrieansiedlungen nach Osten gerichtet war.

Es war deshalb ein mutiger, aber auch radikaler Schritt für Politik und Verwaltung, auf Freizeitwirtschaft als Motor für ein neues, radikal gewandeltes Stadtprofil zu setzen. Ein besonderer Glücksfall war der Kontakt mit der Familie Healey, die in einer durch den Wegfall der Stahlindustrie ebenso gebeutelten Stadt – Sheffield – eine Industriebrache bereits mit einem neuen Freizeit- und Shoppingcenter bebaut hatten. Damit war die zentrale Investition für eine neue Mitte Oberhausen gesichert. Um dieses Centrum für Freizeit-Shopping, dem Centro, sah die Stadtplanung viele andere Freizeitaktivitäten vor, die inzwischen schrittweise gefüllt wurden: Sealife, Aquapark, Musical, Arena und das neue Wahrzeichen: der Gasometer. Diese Ansiedlungen haben etwa 12.000 neue Arbeitsplätze gebracht und Oberhausen ein neues Image gegeben, welches inzwischen auch die Ansiedlung von Industrieunternehmen wieder möglich macht.

Das Projekt „Neue Mitte Oberhausen“ mit dem Centro als dem wirtschaftlichen Motor, ist ein einmaliger Glücksfall im Strukturwandel des Ruhrgebietes. Alle Mitwirkenden können darauf Stolz sein – ich bin es auch.“