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Dieser Mülheimer (24) ist der jüngste Bundestagsabgeordnete in Berlin

Dieser Mülheimer (24) ist der jüngste Bundestagsabgeordnete in Berlin

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Foto: Funke Foto Services
  • Roman Müller-Böhm (24) ist der jüngste Abgeordnete im Bundestag
  • Der Jurastudent will, dass du wieder stolz auf das Ruhrgebiet bist
  • Im Interview sagt er auch: „Frau Merkel ist wirklich schon sehr lange im Amt. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, die Amtszeit des Kanzlers zu beschränken.“

Mülheim. 

Eigentlich stünde für Roman Müller-Böhm jetzt pauken auf dem Uniplan. Der 24-Jährige studiert im zehnten Semester Jura, steht kurz vor dem Staatsexamen. Stattdessen erwischen wir den Mülheimer vor einer TV-Aufzeichnung zum Interview. Denn er ist das jüngste Mitglied im neu gewählten Bundestag.

Über die Landesliste zog Böhm für die FDP in den Bundestag ein. Damit stehen für den Jungpolitiker gleich zwei Umzüge an: Nach Berlin und nach Oberhausen. Denn dort war er für die FDP angetreten und dort soll auch sein künftiger Wahlkreis sein.

DER WESTEN: Während Ihre Kommilitonen gerade alle ins neue Semester starten, geht es für Sie nach Berlin. Was ist das für ein Gefühl, nun etwas ganz anderes zu machen als eigentlich geplant war.

Roman Müller-Böhm: Durch den Wahlkampf habe ich mir schon vorgestellt: Wie wäre das, wenn du jetzt wirklich in den Bundestag einziehst. Natürlich ist es jetzt nochmal etwas ganz anderes: Gerade die ersten Tage in Berlin waren schlichtweg überwältigend für mich und ich kann sie mit nichts vergleichen, was ich vorher gemacht habe. Ich darf und muss eine komplette Neuorganisation meines Lebens bewältigen. Das ist wirklich etwas total anderes, aber ich habe darauf große Lust. Und es macht wahnsinnig viel Spaß.

Was hat Sie überwältigt?

Wenn man als Kandidat im Wahlkampf angefragt wurde, dann waren das die lokalen Medien. Jetzt sind es die überregionalen Leitmedien, die mich als Gesprächspartner wollen. Auch die Konsequenzen, die mit meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter einhergehen, haben ganz andere Dimensionen: Ich bin plötzlich eine Person des öffentlichen Lebens. Ich kann jetzt nichts mehr sagen, ohne dass es öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt. Das beeindruckt natürlich sehr und stellt mich vor ganz neue Herausforderungen.

Sie haben bereits in jungen Jahren Politik gemacht, waren im Jugendstadtrat von Mülheim. Wann kam der Punkt, wo Sie gemerkt haben: Politik, das ist genau mein Ding?

Man wird nicht Politiker von heute auf morgen. Es gibt niemanden der einen Moment festmachen kann in dem er sagt: Ich bin jetzt Berufspolitiker. Sich politisch zu engagieren, da lässt sich für mich eher ein Schlüsselmoment finden: Für mich war das die Bundestagswahl 2009. Damals war ich 16, durfte noch nicht selber wählen. Doch ich habe mir das erste Mal die Frage gestellt, wem ich meine Stimme geben würde. Ich habe mich gefragt, was motiviert mich politisch eigentlich?

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Da habe ich festgestellt, dass ich mit ein einigen Punkten der Regierung nicht einverstanden war: Es gab so ein politisches Lebensgefühl, dass der Staat immer mehr verbietet und vorschreibt. Und den Bürger immer weniger Entscheidungsfreiheit lässt. Das war für mich der Schlüsselmoment, in dem ich sagte: ok, ich engagiere mich jetzt politisch. Der Jugendstadtrat war da eine gute Adresse: Wenn man in der Kommunalpolitik aktiv ist, sieht man schnell Erfolge, denn dort ist es weniger eine Auseinandersetzung politischer Parteien. Es sind Sachargumente, die zählen. Das hat mich dann nochmal motiviert, mich mehr mit der Politik auseinanderzusetzen.

Wie haben Sie es trotz Ihrer jungen Jahre geschafft, Ihre Partei so zu überzeugen, dass dieser gute Listenplatz und dann auch der Einzug in den Bundestag klappen konnten?

Ein Grund warum ich damals in die FDP eingetreten bin, war das Versprechen: Wer sich anstrengt, hat auch etwas davon. Leistungsgerechtigkeit war für mich immer ein ganz wichtiges Gut. Und genau das habe ich in der FDP erfahren: Wenn man als junger Mensch mit Feuer und Flamme dabei ist und sich zu eigene Positionen bekennt und dazu steht, auch wenn das anderen Personen nicht so gefällt, dann bringt einem das Respekt ein.

Es gibt nicht das eine Erfolgsrezept, um Parteikarriere zu machen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass es jeder junge Mensch in den Parteien schaffen kann. Mein Weg war, dass ich mich immer zu 100 Prozent engagiert habe. Ich habe viel private Freizeit opfern müssen, ich habe viele Wochenenden investiert, an denen andere in den Urlaub gefahren sind. Im gleichen Atemzug habe ich Leute kennen gelernt habe, die ich heute zu meinen besten Freunden zähle und mit denen ich viele schöne gemeinsame Erinnerungen teile.

Im Bundestagswahlkampf sah man Sie auf Plakaten mit dem Slogan: Digital first, Bedenken second. Das erinnert ein wenig an den Sprech eines Donald Trump. Muss man heutzutage mit solchen Dingen im Wahlkampf auffallen?

Donald Trump macht etwas, das vom Grund her pessimistisch in die Zukunft blickt. Er sagt: Wir schützen uns vor allem. Alle anderen sind böse und wir sind die Guten. Ich sehe das anders: Ich möchte ein optimistisches Weltbild nach Berlin tragen. Es mag sein, dass der Umgangston rauer geworden ist und die Polemik zugenommen hat. Ich habe aber immer versucht, mich in der Sache zu streiten und nicht auf persönlichen Ebene angegriffen.

Aus dem beschaulichen Mülheim geht es jetzt ins große Berlin. Wo holen Sie sich Hilfe, im hektischen Politikbetrieb der Hauptstadt nicht unterzugehen?

Natürlich habe ich Kontakt zu ehemaligen Bundestagabgeordneten gesucht. In Mülheim war das lange Jahre Ulrike Flach, bei ihr habe ich mir einige wertvolle Tipps abgeholt. Dazu hatten wir direkt nach der Wahl ein Boot-Camp für Bundestagsneulinge. Das war eine Art Crash-Kurs für die neuen Abgeordneten der FDP. Dort wurden uns die Grundlagen der Berliner Politik klar gemacht. Ich fühle mich daher jetzt erst einmal fit für den Start. Der Rest wird sich dann ergeben. Wir müssen momentan noch viel improvisieren, wir haben noch keine Büros und kein volles Mitarbeiter-Team aufgestellt. Ich bin ja nicht als einziger neu im Bundestag. Das sind ja dieses Mal sehr viele von der FDP, trotzdem glaube ich, dass wir sehr schnell unsere Arbeit aufnehmen können.

Gibt es trotzdem etwas vor dem Sie Angst haben?

Was heißt Angst? Angst ist Unsicherheit und bedeutete, dass ich mich bei diesem Thema anstrengen muss, besser zu werden. Für meine Partei ist es schon eine etwas andere Situation. Wir haben jetzt vier Jahre lang außerparlamentarische Opposition gemacht, von heute auf morgen bekommen wir wieder viel Aufmerksamkeit und Verantwortung. Der müssen wir jetzt gerecht werden.

Wahrscheinlich ist das schon etwas, das wir wieder neu lernen müssen. Aber ich habe keine Angst davor, sondern nutze die Eindrücke, um mich noch besser vorzubereiten und mich noch mehr engagieren zu können.

Das Alter muss nicht immer ein Nachteil sein. Was ist Ihr Vorteil gegenüber älteren Politikern?

Ich glaube nicht, dass Alter etwas über einen Politiker aussagt. Es gibt sowohl bei den ältesten, als auch bei den jüngsten Politikern genauso viele gute wie schlechte. Dennoch glaube ich, dass ich einen anderen Blick auf das Generationenverständnis habe.

Gerade im Bereich der Digitalisierung hat eine ältere Generation nicht häufig den Wunsch, dass es auch einmal schneller gehen oder einfacher gemacht werden muss. Junge Leute haben da eine gewisse Ungeduld, dass endlich etwas passiert.

Was wollen Sie für junge Menschen aus dem Pott in Berlin erreichen?

Gerade für das Ruhrgebiet würde ich mir wünschen, dass wir wieder mit Stolz von unserer Heimat sprechen. Ich möchte, dass wir wieder das Bewusstsein bekommen aus welcher Gegend wir kommen. Das Ruhrgebiet war früher die Herzkammer der Wirtschaft, das ist verloren gegangen. Wir sind eine Region geworden, die den Strukturwandel hinzubekommen hat.

In den nächsten Jahren möchte ich dazu beitragen, dass es wieder ein anderes Empfinden bei den Menschen im Ruhrgebiet gibt. Wir haben drei Universitäten, zahlreiche Fachhochschulen. Wenn es uns da nicht gelingt, ein zweites Silicon Valley zu schaffen, würde mich das sehr wundern. Wir haben großartige Voraussetzungen. Natürlich wir haben auch viele Staus und vielleicht nicht die beste Infrastruktur, doch wenn diese Probleme erst einmal gelöst sind, hat unser riesiger Ballungsraum ein gewaltiges Potential.

Mein zweites großes Thema ist die Rentenpolitik. Wenn meine Generation in 50 Jahren in die Rente geht, dann muss man einfach klarstellen, dass das aktuelle System aus dem 19. Jahrhundert zusammen gebrochen sein wird. Da kann man nicht noch zehn Jahre warten, bis man etwas ändert. Wir müssen in dieser Legislaturperiode dafür sorgen, dass wir fit für die nächsten 100 Jahre werden.

Die Wahlbeteiligung ist so hoch wie lange nicht mehr, immer mehr junge Leute interessieren sich wieder wirklich für politische Positionen. Ist Politik wieder hip?

Der Wille, das Heft wieder selber in die Hand zu nehmen, ist größer geworden ist. Und wenn nicht das, dann wenigstens die Bereitschaft über Dinge zu diskutieren und sich dafür zu interessieren, was in der Welt los ist. Es ist so, dass in den letzten zehn Jahren junge Menschen keine wirkliche Lobby hatten. Das ändert sich nun. Denn unserer Generation wurde klar: Wenn wir es nicht selber machen, dann macht es auch sonst niemand. Dann gibt es von der Politik nur Rentengeschenke, aber es wird nicht in die Bildung oder Digitalisierung investiert.

Für die neue Politisierung ist auch die AfD verantwortlich, was sagen Sie jungen Menschen, die diese Partei unterstützen?

Ich kann gerne nur empfehlen, einmal in das Wahlprogramm der AfD zu schauen. Wer da Aussagen findet, die der Jungend helfen, darf sich gerne bei mir melden. Ich finde sie nämlich nicht. Ich halte allerdings nicht viel davon, persönliche Auseinandersetzungen mit der AfD zu starten. Ich glaube es wird nur gelingen, Menschen davon zu überzeugen nicht die AfD zu wählen, wenn wir es über die Sache tun. Wir erleben ein Protestempfinden in fast allen Altersgruppen. Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir besser werden, wenn wir die Menschen wieder überzeugen, dann können wir sie zurückholen. Das ist eine gesamtpolitische Aufgabe.

In Ihrem politischen Leben gab es nur Angela Merkel als Kanzlerin. Hätte es nicht einen kompletten Neuanfang gebraucht oder ist auch Jamaika eine Chance auf Verbesserung?

Frau Merkel ist wirklich schon sehr lange im Amt. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, die Amtszeit des Kanzlers zu beschränken. Ich fände, das wäre ein ganz sympathischer Schritt, weil dadurch automatisch ein Generationenwechsel stattfinden muss. Trotzdem sehe ich durchaus Chancen in den nächsten vier Jahren mehr zu schaffen, als das eine große Koalition könnte. Eine Große Koalition hat immer so ein bisschen das Einschlaf-Gen in sich. Mit zwei kleinen Parteien, die die CDU in Schach halten, könnte das bedeutend anders aussehen. Dadurch sind sicherlich mehr Entwicklungsprozesse möglich.

Ich bin für Jamaika komplett offen. Es gibt ja auch positive Beispiele. Wo ein konstruktiver Sachwille ist, kann man Lösungen finden. Doch wenn wir am Ende für uns relevante Punkte nicht einbringen können, muss man im Zweifel überlegen, welche sonstigen politischen Optionen übrig bleiben.

(ds)