Nieselregen, es ist ein grauer Tag, noch nicht ganz hell. Kurz vor 8 Uhr morgens an einem Freitag im Februar 2024. Ich schelle an der schweren Außentür der JVA Gelsenkirchen, weil ich meinem sogenannten Stellungsbefehl (Ladung zum Haftantritt) im geschlossenen Vollzug nachkommen will. Das heißt, dass ich mich eigenständig zum Haftantritt melde.
„Das ist das Beste, was man als Häftling machen kann“, sagt Pressesprecherin Marisa Schräder. Jeder Häftling habe immer zwei bis vier Wochen Zeit, bis die Frist der Ladung zum Strafantritt abläuft. Danach komme die Polizei und bringe einen persönlich ins Gefängnis. Als Reporter von DER WESTEN gab mir die JVA Gelsenkirchen die Möglichkeit, die ersten Stunden eines Haftantritts originalgetreu nachzuempfinden.
JVA Gelsenkirchen: Die ersten Eindrücke sind erdrückend
Die schwere Tür öffnet sich elektronisch. Ich betrete die JVA und lege meine Haftpapiere sowie meinen Personalausweis in eine Schublade. Ein JVA-Bediensteter nimmt hinter einer Glasscheibe alles in Empfang und kontrolliert die Dokumente. Ab diesem Zeitpunkt gibt es kein Zurück mehr. „Wenn wir einmal die Papiere haben, dann bleibt der Häftling hier“, sagt der JVA-Mitarbeiter an der Pforte. Nachdem ich eingecheckt habe, werde ich von einem JVA-Beamten in einen kleinen Warteraum geführt und das erste Mal eingeschlossen.
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Im Warteraum befinden sich eine kleine Holzbank und eine Freisprechanlage. Der Boden wirkt alt und wenig einladend. Hier muss ich warten, bis ich wieder abgeholt werde und zur Kleiderkammer kann. Ich schaue mich um. Trist ist es. Zu meiner Linken kann ich bereits einen Teil der Wäscherei im Inneren der JVA sehen. Hinter mir schaue ich das erste Mal von innen auf die die hohen Gefängnismauern und einen dicken Stacheldraht. Hier komme ich jedenfalls so schnell nicht mehr heraus, denke ich mir.
JVA Gelsenkirchen: Von Wartezelle zu Wartezelle
Nach einiger Zeit schließt eine JVA-Beamtin den Wartebereich auf, begrüßt mich und führt mich durch eine weitere Tür in den Innenbereich der JVA. Jetzt bin ich endgültig im Haftbereich angekommen. Hier tragen die JVA-Bediensteten keine Waffen, sondern lediglich einen großen und gut gesicherten Schlüssel. Mir wird der Ablauf ruhig erklärt und welche Rechte ich habe. Noch trage ich meine private Kleidung, aber das soll sich gleich ändern. Ich bin nämlich direkt auf dem Weg in die Kleiderkammer.
Durch zwei Türen, die nur mit dem großen, schweren Schlüssel zu öffnen sind, erreichen wir die Kammer. „Zugang!“, ruft die JVA-Beamtin beim Einlaufen in den Korridor. Der Zugang bin natürlich ich. Der Neuzugang. Auch hier werde ich wieder in einer Wartezelle geparkt. Beim Warten erkenne ich auf den Holzbänken eingeritzte Schriftzeichen. „Polska“, „Cool Klaus“ und „Jasmin, ich liebe dich, dein Mann“ wurde hier offenbar von Häftlingen vor mir hinterlassen. Von hinten links werde ich permanent durch eine Kamera überwacht.
JVA Gelsenkirchen: Plötzlich sehe ich aus wie ein Häftling
Dann komme ich in die Kleiderkammer. Hier werde ich dazu aufgefordert, alle Gegenstände aus meinen Taschen zu holen. Schlüssel, Schmuck und ähnliches muss auf einen Tisch gelegt werden. Jedes kleinste Detail wird haargenau dokumentiert, in einen kleinen Sack gesteckt und verplombt. Schmuck und Uhr darf ich wieder anziehen. Danach geht’s mir an die Kleidung. Erst die Jacke, dann Pullover, T-Shirt, Jeans, Unterwäsche, Socken. Ich muss alles ausziehen und der JVA übergeben. Dann kommen alle meine Sachen in einen Wäschesack mit der Nummer 328, der ebenfalls verplombt wird. Wenn ich meine Strafe abgebüßt habe, soll ich alles wieder bekommen.
Nachdem ich mich also komplett meiner Kleidung entledigt habe, fühlt es sich erstmal sehr komisch an. Privatsphäre gibt es hier genau so viel wie es unbedingt notwendig ist. Immer hat mindestens ein JVA-Mitarbeiter ein Auge auf mich. Dann bekomme ich meine neue Kleidung. Solche, die hier jeder Insasse trägt. Die Haftkleidung. Eine blaue Jeans, ein blaues T-Shirt, ein burgunderroter Pullover und schwarze Schuhe. Danach werden meine Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Alles wird hier genauestens dokumentiert. Anschließend werde ich gefragt, ob Angehörige informiert werden müssen, wie meine Einkünfte sind und ob ich bereit wäre, mit einem Raucher in einer Zelle zu leben.
„Selbststeller“ schmuggeln am meisten
Ob bei diesem Prozedere oft Schmuggelware gefunden wird? „Na klar, gerade die Selbststeller bereiten sich vor. Die Schmuggeln am meisten“, sagt JVA-Kammermitarbeiter Sarassa. Aber Probleme gibt es selten. „80 Prozent der Häftlinge kooperieren. Manche sind aber auch schon mal so verärgert über die Haft, dass sie hier ein Ventil zum Rauslassen der Wut suchen. Wir arbeiten aber immer deeskalierend“, so Sarassa.
Denn ein solcher Haftantritt kann für die Neuankömmlinge schwere Folgen haben. Er kann zum Beispiel den Verlust der Wohnung, des Arbeitsverhältnisses und auch von sozialen Beziehungen zur Folge haben.
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„Wir hatten schon Häftlinge mit Maden in offenen Wunden“
Diesen Prozess muss jeder einzelne Häftling zu Beginn durchleben. Manchmal kommen hier auch sehr verwahrloste Menschen hin, erklärt Sarassa. „Wir hatten hier schon Neuankömmlinge mit Maden in offenen Wunden oder eingewachsene Socken. Diese Art von Häftlingen, oft Obdachlose, werden zuallererst geduscht, bevor sie den Rest der Prozedur durchlaufen können“, so Sarassa.
Wichtig ist, und das betonen die Justizvollzugsbeamten, dass hinter jedem Häftling immer der Mensch gesehen wird. Im zweiten Teil der Reportage erfährst du hier, was den Häftlingen beim Haftantritt besonders wichtig ist und wie es sich für DER-WESTEN-Reporter Stefan Schier anfühlt, mit einem anderen Häftling eingeschlossen zu sein.