In 300.000 Essener Briefkästen verteilt – Das steckt hinter dem „Deutschland Kurier“
Der Deutschlandkurier wurde in 300.000 Essener Briefkästen verteilt
Die Boulevard-Zeitung will eine unabhängige politische Wochenzeitung sein
Doch sie ist klar von der AfD gefärbt
Der Deutsche Journalistenbund sagt: „Ich spreche dieser Postille jede journalistische Qualität ab“
Essen.
Überschriften brauchen ein Ausrufezeichen. „Wir brauchen mehr Deutschland!“, steht auf dem Titel.
Seitenhoch weht die schwarz-rot-goldene Fahne dem Leser entgegen. 300.000 Mal wurde der „Deutschland Kurier“ in dieser Woche in Essener Briefkästen verteilt.
Die selbsternannte „Klartextzeitung“ will parteiunabhängig „mit Fakten und Kommentaren zum politischen Geschehen für die Erweiterung der Meinungsvielfalt sorgen.“ Sie wolle dem Leser anders als die „gleichgeschalteten Medien“ die Möglichkeit geben, sich „über alle Themen zu informieren, die sonst gar nicht, tendenziös oder verzerrt dargestellt werden“. Das sagt die Zeitung über sich selbst.
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• Mehr Themen:
Kanzlerin in Essen: Flüchtlingsgegner schimpft – so antwortet Angela Merkel
Weil die AfD einen Stammtisch bei ihm hatte – Duisburger Gastronom schließt sein Lokal nach Vandalismus-Angriffen
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Beispiele dieser Meinungsvielfalt? Seite 2: Leitartikel: „Mehr Patriotismus wagen!“, steht da. „Nationalstolz ist kein Verbrechen“, „Typisch deutsch ist in weiten Teilen der Welt noch ein Ausdruck von Anerkennung“, heißt es weiter.
Daneben: ein Kommentar von Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD, mit dem Thema „Deutschland lieben und Verteidigen“: „Nur ein Volk, das sein eigenes Land liebt, (…) ist bereit, diese Errungenschaften gegen ihre Feinde zu schützen“, schreibt sie da.
Seite 3: Ein „Interview“ mit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. „Ich lach mich schlapp“ ist die Überschrift, wieder mit Ausrufezeichen.
Bloß stehen hier nur Fragen. Der Sozialdemokrat habe die Antworten verweigert. Eine Email an die SPD-Zentrale in Berlin bliebe drei Wochen lang unbeantwortet, heißt es aus der „Deutschland-Kurier“-Redaktion. Auch auf eine zweite Mail kam keine Antwort. Ob der Erhalt der Email telefonisch nachgefragt wurde? Nein, das sei nicht ihre Pflicht, heißt es aus der Deutschland-Kurier-Redaktion.
Daumen rauf für die AfD – Martin Schulz als Heuchler
Ebenfalls auf Seite 3: Erika Steinbach, Ex-CDU und AfD-Sympathisantin, referiert über Deutschland „Auf dem Weg zum Zensur-Staat“. Seite 6: Familienpolitik-Check. Daumen runter für CDU, SPD, Gründe, Linke und FDP. Einziger Lichtblick: die AfD. Daneben, ein Kommentar eines AfD-Mitglieds, darunter „Der Mittelstand als Melkkuh der Nation“. Geschrieben von einen AfD-Kandidaten.
Die Aufschlagsseite ist bunt: Zitate von Deutschen über Deutschland. Von Goethe über Bismarck bis Papst Benedikt. Alle dabei. Letzte Seite: Guido Reil, Essener, Ex-Bergmann und AfD-Bundestagskandidat. Spricht über den „Heuchler“ Martin Schulz.
„Keine journalistische Qualität“
Gegenmeinungen? Gibt es nicht. 12 Artikel zählt die Ausgabe, fünf sind davon von AfD-Mitgliedern oder Sympathisanten geschrieben. Unabhängig? Wohl kaum.
„Ich würde dieser Postille jede journalistische Qualität aberkennen“, sagt Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten Verbandes. Vielmehr sei die Zeitung „Propaganda von der ersten bis zur letzten Seite“.
Für den Journalistenverband ist die Wochenzeitschrift ein Ärgernis. „Für Leser, die nicht regelmäßig ein Qualitätsmedium lesen, ist es schwer, diese Propaganda zu erkennen.“ Doch das sei wahrscheinlich Teil des redaktionellen Konzepts des Blattes, so Zörner.
Presserat: Das ist keine Zeitung
Herausgegeben wird der „Deutschland Kurier“ vom Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten.
Faktisch ist die Zeitschrift aber Parteiwerbung. Das sieht auch der Deutsche Presserat so. „Für uns entspricht die Zeitung nicht den Kriterien, die für für Presseprodukte voraussetzen“, sagt Edda Eick, Sprecherin des Presserates. Dafür habe der „Deutschland Kurier“ zu sehr die Aufmachung einer Gratiszeitschrift. Auch die 30 Cent, die eine Ausgabe regulär kosten soll, sieht Eick eher als Unkostenbeitrag.
„Weil die Zeitung von einem Verein herausgegeben wird, könnte es höchstens eine Vereinszeitschrift sein.“ Deshalb könne sich der Presserat das Blatt auch nicht überprüfen. Eick: „Wir würden uns trotzdem wünschen, dass für Leser klar erkennbar ist, ob das jetzt ein redaktioneller Beitrag oder Werbung ist.“
Auch in Bochum und Duisburg wird nächste Woche verteilt
Die privaten Zusteller, die die 300.000 Ausgaben in den Essener Briefkästen verteilt haben, wussten allerdings wohl ganz genau, dass sie mit dem „Deutschland Kurier“ Reklame verteilen. Briefkästen mit der Aufschrift „Keine Werbung“ wurden blieben leer. Ob tatsächlich 300.000 Ausgaben verteilt wurden, muss deshalb bezweifelt werden.
Auch die Essener CDU hat keinen „Deutschland Kurier“ zu sehen bekommen. „Normalerweise rufen die Leute sehr schnell bei uns an, wenn solche Gratis-Zeitungen in ihren Briefkästen landen“, heißt es aus der Kreisgeschäftstelle. Bislang blieben diese aber aus. Für die Essener CDU sei diese Methode der Wahlwerbung allerdings sehr befremdlich.
Die SPD sieht das ähnlich. Dirk Heidenblut, Bundestagsabgeordneter aus Essen sagt zum „Deutschland-Kurier“ lediglich: „Ich äußere mich nicht zur Parteiwerbung“
Nächste Woche soll die Zeitung in Bochumer und Duisburger Briefkästen verteilt werden. Auflagenstärke: Jeweils 150.000. Auch weitere Revierstädte sollen folgen. (ds)
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