Werden.
Andreas Volke hatte eine Eingebung. Bei Nacht, so der evangelische Pfarrer aus Rellinghausen, erlebe der Mensch Architektur besonders intensiv. Anne Posada und Dieter Mölling aus Werden haben dieses Konzept bei ihren Kreativ-Führungen aufgenommen.
„Man kann sich der Atmosphäre eines sakralen Gebäudes annähern, auch ohne einen Gottesdienst zu besuchen“, sagt Anne Posada. Beide sind Mitglieder der AG Kirchenführungen, zeichnen 2010 für nächtliche Erkundungen durch die evangelische Kirche an der Heckstraße verantwortlich. Ein Shuttle-Bus kombiniert dabei zwei Besichtigungen .
Zunächst ist die evangelische Kirche am Katernberger Markt Ziel einer Kurzreise, die individuell gebucht werden kann, dann geht es in die Abteistadt. Dort wartet die Kirche an der Heckstraße auf Besucher, die das Mondlicht nicht scheuen.
Anne Posada beschreibt, wie das spezielle Raumerlebnis konzipiert ist. „Der Empfang erfolgt im Dunkeln, bei Kerzenlicht. Dann wird der Kirchenraum speziell erleuchtet, einzelne Lichtquellen aus Scheinwerfern fallen auf Orgelprospekt, Altarwand und das Quadrat in der Mitte des Saals, in den Konchen brennen Kerzen.“ Auf einem ersten eigenen Rundgang erkundet jeder Einzelne das Interieur des Bauwerks, bevor es an die eigentliche gemeinschaftliche Führung geht. Zum meditativen Abschluss bilden alle Teilnehmer einen Halbkreis. Jeder hält dazu eine brennende Kerze in der Hand und setzt sein Licht in die Dunkelheit des Raums. „Dann singen wir das Lied ‚Der Mond ist aufgegangen’“, erzählt Anne Posada. „Wichtig war uns bei der Auswahl dieser Weise, die Leute anzusprechen. Vor allem auch diejenigen, die nicht konfessionell gebunden sind.“ Denn mit dem Lied von Matthias Claudius will man Gemeinschaft transportieren. „Und wem nicht nach Singen zumute ist, der hört ganz einfach nur zu“, meint die Kirchenführerin. Das Kunstlied des romantischen Dichters betrachtet sie im Grunde als ein Kirchenlied. „Es wird ja die Vorstellung von einem Jenseits darin aufgemacht.“
Die Verbindung zwischen den Kirchen Werden und Katernberg stellt der so genannte Kirchenkampf dar. Ein Teil der Gemeinde, der sich im Dritten Reich von nationalsozialistisch geprägten Mitgliedern abspaltete, wurde ausgeschlossen und fand im Saal der heutigen Evangelisch-Landeskirchlichen Gemeinschaft in der Brandstorstraße Aufnahme. Das so genannte Kirchenkampffenster, das sich heute in der Nordkonche der evangelischen Kirche an der Heckstraße befindet, wurde nach dem Krieg aus dem Restvermögen dieser Bekenntnisgemeinde angefertigt. Im Zentrum des Fensters wird auf eine Bibelstelle bei Timotheus verwiesen. Dort heißt es in Vers 12 des sechsten Briefes: „Kämpfe den guten Kampf, ergreife das ewige Leben, dazu du berufen bist, und hast bekannt das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.“ Anne Posada weiß: „Das Dokument über den Kirchenkampf liegt bei der Kirche am Katernberger Markt.“
Die Ziele der ehrenamtlichen Arbeit, da sind sich alle einig, haben vielfältige Facetten. „Man soll im Zuge der Betrachtung innerlich zu Ruhe und Stille kommen und diese als positive Werte erfahren, den Raum in sich eindringen lassen, Abstand vom Alltag und seiner Hektik gewinnen.“ Dieter Kohn verbindet mit dieser Idee ein eigenes Erlebnis. „Es sollte so ähnlich sein wie auf unserer Fahrt nach Taizé.“ Mit Pfarrer Martin Schmerkotte und der Männergruppe der Gemeinde habe er in der dortigen Stille des Gotteshauses „ein Stück vom Himmel gesehen“.
Damit auch der Leib nicht zu kurz kommt, wird im Anschluss an die Führung ein Imbiss im Werdener Kirchenzimmer gereicht. Es gibt Brot und Wein, aber auch Freundschaft zu teilen, wo Fremde sich auf der „Night Line“ begegnen.