Duisburg.
Ende dieser Woche beginnt die Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe vor Gericht. Doch wer wird eigentlich angeklagt und welche Strafen drohen den Angeklagten?
Wir beleuchten den anstehenden Mammut-Prozess und beantworten die zehn wichtigsten Fragen.
Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?
An dem 24. Juli 2010 sollte in Duisburg die größte Open-Air-Party stattfinden. Die Loveparade auf dem Gelände des Güterbahnhofs stand für junge Menschen, Freude und Kultur.
Doch die große Party endete in einer Katastrophe. Es kam zu einer Massenpanik an der engsten Stelle im Zugangsbereich. Die Besucherströme wurden an dieser Stelle fehlgeleitet. Gitter wurden nicht geöffnet, die Menschen drängten sich im Karl-Lehr-Tunnel und auf der Rampe zum Gelände.
In dem Gedränge kamen 21 Menschen ums Leben, 541 weitere wurden schwer verletzt. Die Opfer und Hinterbliebenen kämpfen mit einer enormen psychischen Belastung.
Wer ist angeklagt?
Zu den Angeklagten zählen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg. Bei Lopavent sind es der Gesamtleiter, der Produktionsleiter, der Verantwortliche für Sicherheit sowie der technische Leiter.
Bei der Stadt sind drei führende Angestellte und ein Team von drei Mitarbeitern, das unmittelbar mit dem Genehmigungsverfahren befasst war, angeklagt.
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Der ehemalige Planungsdezernent Jürgen Dressler war im Sommer 2010 in seinem letzten Jahr bei der Stadt Duisburg tätig. Seine Behörde war für die Überprüfung und Genehmigung zuständig. Dressler stand der Veranstaltung kritisch gegenüber, zog aber keine Konsequenzen.
Auch Anja G. (Leiterin des Amtes für Baurecht) versuchte noch vier Wochen vor der Veranstaltung, diese zu verhindern. Auch sie gab ihren Widerstand auf. Wie Abteilungsleiter Raimund D., Sachgebietsleiter Ralf J. und die Sachbearbeiter Peter G. und Ulrich B. war sie für die Genehmigung der Veranstaltung zuständig.
Die Mitarbeiter des Bauamtes waren an dem Tag der Loveparade nicht vor Ort. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Mitarbeiter bewusst nicht anwesend waren. Die Mitarbeiter hätten sonst sonst wegen der Verstöße gegen die Sicherheitsauflagen vorgehen müssen und das Event sogar noch kurzfristig absagen müssen.
Der Organisationschef von Lopavent, Kersten S. sagte noch einige Tage vor der Loveparade über das Gelände und die strömenden Besuchermassen: „Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.“ Bis zu 500 000 Menschen könnten kommen, rechnete er vor.
Er sollte sich irren. Ihm und seinen Kollegen, dem Produktionsleiter Stephan S., dem technischen Leiter Günter S. und dem Sicherheits-Chef Lutz W. werfen die Staatsanwälte vor, nicht für ein geeignetes Zu- und Abgangssystem gesorgt zu haben.
Wie lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft?
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor.
Die Angeklagten streiten die Vorwürfe ab.
Welche Strafen drohen?
Fahrlässige Tötung gehört laut Paragraph 222 des Strafgesetzbuches zu den „Straftaten gegen das Leben“. Dort heißt es: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Paragraph 229 des Strafgesetzbuches hält fest: Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Angeklagten könnten also ins Gefängnis kommen oder eine Geldstrafe bekommen, wenn sie verurteilt werden.
Wie lange dauert der Prozess?
Bis Dezember 2018 hat die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg 111 Sitzungstermine bestimmt.
Kann es sein, dass die Angeklagten nicht verurteilt werden?
Die Beteiligten stehen unter Zeitdruck: Denn liegt bis zum 27. Juli 2020 – zehn Jahre nach der Katastrophe – kein erstinstanzliches Urteil vor, verjähren die vorgeworfenen Taten. Die Beteiligten müssen sich also ranhalten.
Wie groß ist der Gerichtssaal?
Der angemietete Gerichtssaal an der Messe in Düsseldorf bietet Platz für 500 Menschen. Das ist bei diesem Prozess aber auch nötig. Zum Prozess kommen zehn Angeklagte, 60 Nebenkläger und mehr als 60 Anwälte. 360 Plätze im Messesaal werden für Zuschauer und Medienvertreter reserviert.
Was kostet der Prozess?
Der Prozess findet im Düsseldorfer Kongresszentrum „CCD Ost“ statt. Kein Gerichtssaal im Ruhrgebiet kann die enorm hohe Zahl an Prozessbeteiligten fassen. Billig ist die Anmietung aber ganz und gar nicht. 14.000 Euro Miete kostet der Saal – pro Prozesstag! Das macht allein für die bisher festgelegten 23 Termine 322.000 Euro. Ausgegangen wird aber von rund 50 Prozesstagen, was Mietkosten in Höhe von 700.000 Euro bedeuten würde.
Warum gibt es zwei Gutachten zur Katastrophe?
Der erste Gutachter,der britische Panikforschers Keith Still, galt als befangen. Sein Gutachten enthielt gravierende Mängel. Deshalb gab die Staatsanwaltschaft ein zweites Gutachten von dem Sicherheitsexperten Jürgen Gerlach in Auftrag.
Warum sieht es heute an der Todestreppe ganz anders aus?
Die Rampe und die Treppe, an der 21 Menschen in der Massenpanik starben, sieht heute ganz anders aus, als noch 2010. Die Rampe wurde verengt, ein einsamer Ort wurde geschaffen. Bänke stehen an einer Wand gegenüber der Treppe. Hier sollen die Menschen in Ruhe trauern können.
Der gesamte Bereich wurde umgestaltet, damit Menschen hier Fotos, Kerzen und Blumen aufstellen können.