Flüchtling kämpft mit Protest ums Überleben seiner Familie
Osama Alsaab hat seine Familie im syrischen Kriegsgebiet zurückgelassen. Er kämpft im Dortmunder Flüchtlingscamp dafür, sie nach Deutschland holen zu dürfen.
Dortmund.
Ein starker Wind bläst durch das Flüchtlingscamp in der Dortmunder Innenstadt. Unbelegte Matten und Decken heben ab. Das laute Rascheln der Plane, die das Camp überdacht, übertönt die Geräusche der nahen Einkaufsstraße.
Nachts und morgens sei es sehr kalt, sagen die Flüchtlinge. Trotzdem campen sie seit dem 9. Juni aus Protest gegen lange Asylverfahren. Erst nahe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an der Huckarder Straße und seit Dienstag oberhalb der Katharinentreppen gegenüber vom Hauptbahnhof. Mehr als 100 Flüchtlinge beteiligen sich an der Protestaktion.
Von Polizisten mit Schlagstock verprügelt
Mohammad ist einer von ihnen. Er hat noch Hoffnung, dass er in Deutschland bleiben darf. Der 22-jährige Syrer hat seinen Asylantrag vor sieben Monaten gestellt und wartet auf das Ergebnis. Er scheint zuversichtlich und fröhlich – trotz seiner derzeitigen Situation und dem, was er auf sich genommen hat, um nach Europa zu kommen.
Einen Monat sei er unterwegs gewesen. Von Damaskus in den Libanon, von dort aus mit einem Schiff legal in die Türkei. Zu Fuß von Istanbul über Thessaloniki in Griechenland bis nach Mazedonien. Teils übernachtete er in Wäldern, teils in Hotels. Von Mazedonien aus fuhr er mit dem Zug über Serbien nach Ungarn. „In Budapest hat mich die Polizei aufgriffen und ins Gefängnis gesteckt. Die Polizisten haben mich mit Schlagstöcken verprügelt und gedroht, ihre Hunde auf mich zu hetzen“, berichtet Mohammad.
Informatikstudium in Damaskus
Die Polizisten hätten ihn vor die Wahl gestellt: Fingerabdruck abgeben oder sechs Monate Gefängnis und dann zurück nach Syrien. Mohammad gab den Fingerabdruck ab, durfte gehen und nahm sich ein Taxi von Budapest nach Wien. Für 450 Euro. Jetzt lebt er in einem Flüchtlingsheim in Köln. Über Facebook hat er von der Protestaktion der Flüchtlinge in Dortmund gehört und sich entschieden, mitzumachen. Dafür lässt er den Deutschkurs sausen, den er bei der Caritas belegt.
Mohammad hat in Damaskus Informatik studiert. Er habe in einem von Baschar al-Assad kontrollierten Gebiet gelebt. „Ich habe mich sicher gefühlt“, sagt er. Vom Krieg habe er nicht viel mitbekommen. Doch als er sein Studium abgeschlossen hatte, sollte er in der Armee kämpfen. Deshalb nahm er das Geld, das seine Familie über viele Jahre gespart hatte und floh. Insgesamt 3800 Euro habe ihn die Reise nach Deutschland gekostet.
Die Familie im Kriegsgebiet zurückgelassen
Der 22-Jährige protestiert seit vergangenem Samstag. Das Camp verlässt er seitdem nicht. Auch wenn die Lebensumstände schwierig sind. Ohne Duschen und Toiletten, angewiesen auf Essenspenden. Doch für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland will er nichts unversucht lassen.
Während Mohammad Zuversicht ausstrahlt, ist in den Augen von Osama Alsaab seine ganze Verzweiflung abzulesen. Er ist aufgeregt, spricht schnell und gestikuliert wild. Der Dolmetscher kann ihm kaum folgen. Der 27-jährige Syrer macht sich große Sorgen um seine schwangere Frau und sein einjähriges Kind. Er hat sie in Syrien zurückgelassen. Im Kriegsgebiet. „Sie könnten jeden Tag von einer Bombe getroffen werden und sterben“, sagt er. Er will sie unbedingt nach Deutschland holen. Deswegen demonstriert er im Flüchtlingscamp.
Gerettet von der italienischen Küstenwache
In Syrien erlebte Osama Alsaabs Familie ein Martyrium. Der Ort, in dem der frühere Restaurantbesitzer lebte, war Ziel eines Giftgasangriffs. „Man konnte nicht mehr aus dem Haus gehen. Verstümmelte Menschen lagen auf der Straße. Die Krankenhäuser waren voll. Es gab keine Medikamente“, erzählt er.
Osama Alsaab reiste nach Libyen, zahlte einer Schleuserbande 1800 Dollar für die Überfahrt nach Italien. Zusammen mit 220 Syrern sollte er in einem Motorboot das Mittelmeer überqueren. Der Motor ging kaputt. Das Boot hatte ein plötzlich ein Leck. Doch er hatte Glück und überlebte. Die italienische Küstenwache rettete die Flüchtlinge und brachte sie an Land.
In Italien hätten Polizisten ihn gezwungen, seine Fingerabdrücke abzugeben. Danach durfte er weiterreisen. Ein Araber nahm ihn von Mailand aus im Auto mit nach Berlin. Für 500 Euro. Osama Alsaab hatte gehört, dass Asylanträge in Dortmund besonders schnell bearbeitet würden. Also kam er her, lebt seitdem in einem Flüchtlingsheim im Ortsteil Frechen. Fünf Monate wartete er auf das Ergebnis seines Asylverfahrens. Dann der Schock: Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Man habe ihm gesagt, er müsse wieder nach Italien.
Spontaner Deutschunterricht im Dortmunder Flüchtlingscamp
So enttäuscht wie er von den Behörden sei, so beeindruckt sei er von der Hilfsbereitschaft der Deutschen. „So ein Volk ist einmalig“, sagt er und hat noch nicht ganz ausgesprochen, als sich ihm eine junge Dame vorstellt und spontan Deutschunterricht im Flüchtlingscamp anbietet.
Von der rechten Szene, die seit Beginn der Protestaktion der Flüchtlinge verstärkt auf Demos gegen Ausländer hetzt, hat er zwar mitbekommen. Seine Angst sei aber nicht sehr groß. „Wenn wir hier schlafen, überlegen wir schon, ob die uns vielleicht angreifen könnten“, sagt er. Die Polizei sei aber immer vor Ort und schütze das Camp. Eine ganz neue Erfahrung für Osama Alsaab: In Syrien habe er in ständiger Angst vor der Polizei gelebt.
Wie es nun weiter gehen soll? Das weiß er nicht. Er will für sein Recht auf Asyl kämpfen und seine Familie aus dem Krieg befreien. Nur daran könne er im Moment denken.