Sie sind hohl und echte Leichtgewichte: Luftbarrikaden sollen bei einer großen Demo in Dortmund Neonazis von ihrem Laufweg fernhalten.
Berlin/Dortmund.
Es ist 2016, und in Berlin wird von einem neuen „antifaschistischen Schutzwall“ gesprochen: Bei der Internetkonferenz Re:publica in der Hauptstadt wurden große aufblasbare Würfel zu einer Mauer zusammengesetzt, die die wahrscheinlich größte Demo Rechtsextremer in diesem Jahr stoppen soll. Der gewaltfreie Widerstand gegen Neonazi-Aufzüge könnte durch die „Lufthoheit“ auf der Straße revolutioniert werden. So zumindest stellen sich das der Erfinder Artur van Balen und ein breites Dortmunder Bündnis vor.
In 20 Sekunden ist eine Mauer aus den Quadern errichtet. Zum Einsatz kommen sollen sie am 4. Juni in Dortmund. An dem Tag werden voraussichtlich Hunderte aus ganz Deutschland mobilisierte Neonazis zum selbst ausgerufenen „Tag der Deutschen Zukunft“ durch die Stadt marschieren. Doch selbst wenn sich die von der Partei „Die Rechte“ eingeladenen Neonazis davon nicht stoppen lassen oder die Würfel nicht zum Einsatz kommen können: „Wir gewinnen jetzt schon“, sagt der 32-jährige Künstler Artur van Balen. „Wir sind viel lustiger als die.“
Aktion soll auch Schüler begeistern
Beides meint das Mitglied der Künstler-Gruppe „Tools for Action“ ernst. Das erklärt er mit der Einbindung etlicher Schulen in Dortmund. Dort entstehen die Würfel und dort gibt es Trainings zum Umgang mit den Würfeln. Es ist nicht daran gedacht, dass dann Schüler mit den Würfeln den Kampf gegen Neonazis aufnehmen.
Van Balen glaubt aber, dass das gemeinsame Bauen und Testen der Würfel ein positives Bild schafft. Die Quader laden dazu ein, sie wie riesige Luftballons durch die Luft zu werfen und in der Luft zu halten. Die Botschaft an junge Menschen auf der Suche nach ihrer Identität: Den Spaß haben kann man mit denen, die gegen die Nazis sind – die Neonazis sind die schlechtere Alternative.
Auf der Re:publica war ein Training für Dortmund angekündigt, es wurde aber in erster Linie eine PR-Aktion für die Würfel: Wer zufällig Zeuge wurde, blieb stehen, staunte, fragte nach dem Hintergrund – und wurde selbst gefragt, ob er nicht mitmachen will. Aus Dortmund selbst war nur ein Mitarbeiter des Schauspiels dabei, die Würfel trugen, stapelten und warfen vor allem zufällig vorbeikommende Besucher der Konferenz.
In Dortmund selbst soll am kommenden Wochenende das Training für jedermann richtig losgehen: Bis zur Demo sollen Dortmunder die Möglichkeit bekommen, sonntags nachmittags den Mauerbau gegen Neonazis zu erproben.
Stadt Dortmund fördert Projekt
Der Künstler Artur van Balen kann noch nicht richtig abschätzen, wie genau das dann ablaufen könnte am 4. Juni. Auch wenn in Dortmund ein breites Bündnis aufruft, dass der Aufmarsch durch möglichst viele Menschen blockiert wird: Die Polizei muss versuchen, das Demonstrationsrecht der Neonazis durchzusetzen. Wie da die Würfel ins Spiel kommen sollen, ist völlig offen. „Wir setzen auf Selbstorganisation, wir wissen nicht, was passiert. Wenn wir da mit 150 Würfeln vertreten sind, werden Dynamiken entstehen, die schwierig zu verhindern sein werden.“ Er meint das positiv, er spricht von dem Konsens, dass es um Gewaltfreiheit geht, er räumt aber ein: „Es gibt auch Nervositäten in der Stadt.“ Die Stadt Dortmund fördert die Arbeit der „Tools for Action“ in Dortmund erheblich.
Das Potenzial für aufblasbare Demo-Artikel hatte van Balen erstmals erahnt, als 2010 mexikanische Polizisten einen überdimensionalen aufblasbaren Hammer bei der Weltklimakonferenz in Cancun zerstörten. 2012 flogen Luft-Würfel schon mal in Kreuzberg bei der Maidemo über den Köpfen der Teilnehmer. Im vergangenen Jahr kam ihm die Idee, die Würfel noch mit Haltegriffen und Klettstreifen zu versehen. Jetzt können sie in Windeseile zu einer Mauer zusammengesetzt werden.
Würfel besteht aus Baumarkt-Materialien
25 Euro koste ein Würfel etwa, sagte Artur van Balen. Isolierfolie vom Hausbau, dazu ein Plastikdeckel. Mit zusätzlicher Silberfolie beklebt wird es noch 25 Euro teurer. Um möglichst viele Würfel in Dortmund zu bauen, sammelt die Gruppe mit einer Crowdfunding-Kampagne Geld.