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Jonas Reckermanns Goldmedaille liegt noch in seinem Keller

Jonas Reckermanns Goldmedaille liegt noch in seinem Keller

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Interview Jonas Reckermann Foto: Volker Hartmann / FUNKE Foto Services
Beachvolleyball-Olympiasieger Jonas Reckermann spricht im Interview über sein Leben nach der aktiven Karriere, die Copacabana und die Spiele in Rio.

Essen. 

Vor vier Jahren stand er noch selbst im Sand und holte olympisches Gold. Mittlerweile sitzt Jonas Reckermann am Kommentatorentisch und arbeitet als TV-Experte für den Sender Sky. Ein Gespräch über Beachvolleyball bei den Spielen in Rio, die „Smart-Beach-Tour“ in Deutschland und das Finden des richtigen Orts für die Goldmedaille der 2012-er Spiele.

Herr Reckermann, 2012 haben Sie nach dem Goldgewinn bei Olympia in London auch noch das TV-Total-Turmspringen gemeinsam mit dem Turner Fabian Hambüchen gewonnen, ein Jahr darauf das Poker-Turnier bei Stefan Raab auf dem TV-Sender Pro7. Derzeit ist Ihr früherer Gold-Partner Julius Brink im Fernsehen – er tanzt auf RTL. Haben Beachvolleyballer verborgene Talente?

Jonas Reckermann: Sieht so aus (lacht). Ich weiß nicht, ob das am Beachvolleyball liegt. Es ist sicherlich eine koordinativ anspruchsvolle Sportart, aber deshalb kann man nicht automatisch alles. Julius konnte vorher überhaupt nicht tanzen, ich war kein Turmspringer.

Aber Sie haben am Ende gewonnen.

Reckermann: Ich bin Sportler, da will man eine ordentliche Leistung abliefern und kniet sich entsprechend rein. Trainieren können wir Beachvolleyballer natürlich. Ich weiß, dass Julius derzeit täglich mehrere Stunden auf der Tanzfläche verbringt und damals habe ich viel für das Turmspringen trainiert. Als Kind habe ich viel im akrobatischen Bereich und auch Leichtathletik trainiert, das hat mir geholfen. Als Student habe ich regelmäßig gepokert. Aber Pokern hat mit Beachvolleyball nicht wirklich viel zu tun.

Man pokert also nicht beim Beachvolleyball?

Reckermann: Man muss schon viel nachdenken, Schritte des Gegners vorausahnen, die Taktik anpassen – aber es ist nicht das typische Zocken mit hohem Risiko.

Nun sind die Spiele in London vier Jahre her. Wie oft werden Sie noch an diesen emotionalen Moment erinnert, als Sie mit Julius Brink gegen die Brasilianer Emanuel Rego und Alison Cerutti gewannen?

Reckermann: Es kommt noch häufig vor, ob man will oder nicht. Zum Glück ist es eine schöne Erinnerung, deshalb ist es auch nicht schlimm, wenn man immer wieder darauf gestoßen wird. Klar wird man häufig erkannt, dieses Spiel haben damals auch viele Leute im TV gesehen, die sich sonst nicht für Beachvolleyball interessieren.

Wo bewahren Sie eigentlich die Medaille auf?

Reckermann: Die liegt im Keller, der finale Platz ist noch nicht gefunden. Ich hoffe noch, einen dezenten Platz zu finden, an dem ich ab und zu vorbeikomme und mich an den Sieg erinnern kann, wenn ich nicht mehr darauf angesprochen werde. Ich habe mir das Video des Olympia-Finals auch nur einmal in voller Länge angesehen. Das spare ich mir auf für schlechte Zeiten (lacht).

Kurz nach dem größten Erfolg mussten Sie Ihre Karriere allerdings wegen Schulter- und Rückenschmerzen beenden. Wären Sie sonst auch 2016 bei Olympia dabei gewesen?

Reckermann: Schwer zu sagen, aber wenn ich gesund geblieben wäre, bestimmt. Ich bin jetzt 36, vom Alter her also noch jünger als unsere Finalgegner in London. Klar, Olympische Spiele in Rio an der Copacabana – das wäre noch einmal eine super Motivation gewesen. Nach London wollten wir deswegen auch weitermachen, aber die Entscheidung über das Karriereende fiel dann doch recht schnell, ich wollte meinen Körper zumindest noch im Hobbybereich ein bisschen Sport zumuten. Das wäre gefährdet gewesen, denn vier Jahre sind schon eine lange Zeit, die ich aufgrund der gesundheitlichen Probleme wohl auch nicht mehr geschafft hätte. Da hab ich gesagt: Lieber aufhören, wenn man es selbst beeinflussen kann. Und auf dem Höhepunkt aufzuhören, hat auch was.

Wie weh hat das damals getan?

Reckermann: Es geht, ich bin relativ rational. Als klar war, dass es keinen Sinn mehr macht, war ich mit der Entscheidung völlig im Reinen und habe mich auf die Dinge gefreut, die danach kommen. Als Fernsehexperte für Sky zu arbeiten beispielsweise. So bin ich nach wie vor in der deutschen Smart-Beachtour involviert, die auch für mich ein ganz wichtiger Baustein für die eigene Entwicklung war. Ich musste aber auch noch mein Examen fertigmachen und kurz zuvor war ich Vater geworden. Also waren da viele Dinge, die mich auch abseits des Sports motiviert und abgelenkt haben.

Wem Reckermann in eine Rio eine Medaille zutraut 

Spielen Sie denn selbst noch ab und zu?

Reckermann: Gelegentlich. Ich war gerade in der Türkei in einem Volleyballcamp und habe da auch selbst mal den Ball in die Hand genommen. Mit den Rücken- und Schulterproblemen macht es aber nur bedingt Spaß. Außerdem habe ich so lange auf Sportarten verzichtet, die ich eigentlich gerne mache. Fußball spiele ich jetzt regelmäßig, ich gehe Skifahren und fahre Mountainbike.

Wem trauen Sie bei den Spielen im August eine Medaille zu?

Reckermann: Bei den Frauen fährt das Duo Laura Ludwig und Kira Walkenhorst nach Rio und es wäre keine Überraschung, wenn sie eine Medaille holen. Bei den anderen sehe ich auch Chancen, Katrin Holtwick/Ilka Semmler oder Karla Borger/Britta Büthe könnten überraschen, auch Chantal Laboureur/Julia Sude sind noch im Rennen um das zweite Olympiaticket. Bei den Männern ist nur das Team Markus Böckermann und Lars Flüggen unter den Top 15 der Welt. Überraschend ist, dass Jonathan Erdmann/Kay Matysik noch nicht auf einem der Qualifikationsplätze sind, aber weil Matisyk verletzt war, müssen sie noch einige Turniere spielen und Punkte gutmachen.

Die Dichte bei den Männern ist nicht so hoch. Es gab ja auch zahlreiche Trennungen im Vorjahr.

Reckermann: Das hat ja auch alles seine Gründe. Die haben sich ja nicht getrennt, weil es so super lief. Beim Duo Alexander Walkenhorst und Stefan Windscheif lief es beispielsweise im zwischenmenschlichen Bereich nicht so gut, hinzu kam, dass es sportlich auch nicht ideal lief. Sie haben gemerkt, dass sie die Zweckgemeinschaft nicht zum Erfolg bringen können.

Wie wichtig ist Gemeinschaft in einem Zweier-Team überhaupt? Muss es auch privat harmonisch zugehen, damit es im Sand harmoniert?

Reckermann: Man muss nicht zwingend befreundet sein und sich außerhalb des Feldes super verstehen. Aber man muss eine gemeinsame Ebene finden, die persönlichen Befindlichkeiten dürfen nicht zum Problem werden. Julius und ich sind auch sehr unterschiedlich, wie haben privat nahezu nichts zusammen gemacht. Trotzdem hatten wir nie Probleme miteinander, es gab Respekt auf beiden Seiten.

Ist das heute noch so?

Reckermann: Es ist ähnlich wie damals. Wir machen noch Sachen gemeinsam, wie beispielsweise das vorhin angesprochene Volleyballcamp in der Türkei, aber wegen der Verpflichtungen bei Let’s Dance konnte Julius leider nicht dabei sein. Wir sehen uns bei Vorträgen und machen Filme über Olympia-Sportler zusammen. Aber wir gehen nicht ins Kino oder verabreden uns zum Fußballgucken. In der Freizeit gehen wir getrennte Wege.

Ist der Beruf von Jonas Reckermann, Jonas Reckermann zu sein?

Reckermann: Ich würde „Jonas Reckermann“ jetzt nicht als Beruf angeben.

Aber Sie sind in der Lage, Ihren sportlichen Erfolg weiterhin zu nutzen.

Reckermann: Gut, ich halte Motivationsreden und bin TV-Experte, die Wurzeln sind schon im Sport zu finden. Ich habe aber auch ein Staatsexamen in Sport und Geographie für die gymnasiale Oberstufe, ich könnte also irgendwann an eine Schule gehen. Ich wollte schon immer Lehrer werden. Es ist ein gutes Gefühl, diese Grundlage zu haben.

Mit welchen Problemen die deutschen Volleyballer kämpfen 

Ist die Copacabana noch das Nonplusultra des Beachvolleyballs?

Reckermann: In Brasilien ist Beachvolleyball nach Fußball zusammen mit Basketball die bedeutendste Sportart. Dort wird Beachvolleyball gelebt, an den Stränden gibt es überall Plätze, die besten Teams der Welt kommen aus Brasilien. Es gab Zeiten, da haben wir uns dort mit 30 bis 40 europäischen Teams vorbereitet, aber mittlerweile ist Rio auch kein Schnäppchen mehr und wird deshalb nicht mehr ganz so stark frequentiert. Von der Zuschauer-Begeisterung wird es bei Olympia noch mal ein Stück anders sein als in London, die brasilianischen Fans sind keine Gentlemen wie die Briten, das wird rauer (lacht). Aber die brasilianischen Teams sind immer vorne mit dabei. Mal sehen, ob die Heimatmosphäre sie trägt oder ob sie die Erwartungshaltung hemmt.

Hat der Verband es versäumt, ihren damaligen Erfolg weiter zu nutzen?

Reckermann: Schwer zu sagen. Vielleicht wäre es von Vorteil gewesen, wenn Julius und ich als Flaggschiff nach Olympia weitergespielt hätten. Letztlich hat der deutsche Beachvolleyball eine gute Medienpräsenz Wir haben eine nationale Serie, die live im TV übertragen wird, das ist für Teams unglaublich wichtig. Was hätte noch kommen können? Die Teams sind ja eh so aufgestellt, dass sie sich selbst vermarkten, das wird nicht zentral vom Verband gesteuert. Bei den Männern haben wir gerade den Anschluss an die Weltspitze verloren, das ist richtig, der Deutsche Volleyball-Verband schmeißt nicht gerade mit Geld um sich. Aber der Verband ist auch nicht gerade auf Rosen gebettet und muss mit Hallenvolleyball eine zweite Sportart finanzieren.

Muss man sich als Beachvolleyballer früh spezialisieren?

Reckermann: Gleichzeitig Profi in der Halle und im Beachvolleyball zu sein, das geht heutzutage nicht mehr. Generell erfolgt die volleyballerische Grundausbildung in Deutschland in der Halle. Anders als dort gibt es im Beachvolleyball nicht die typische Vereinsstruktur – und damit auch nicht das kostengünstige Trainerangebot. Wenn man sehr vielseitig ist, kann man es dann als Hallenspieler auch mal im Beachvolleyball versuchen. Das ist aber auch eine Typfrage: Beachvolleyballer müssen sehr viel Eigeninitiative zeigen, im Prinzip ist das wie eine Firmengründung. Die Teams kümmern sich um Trainer, Sponsoren und müssen einfach viel selbst anstoßen. Wenn man sich für Halle oder Sand entschieden hat, muss man dann aber auch Vollgas geben in einer dieser Sportarten.

Was hat sich nach der aktiven Karriere verändert?

Reckermann: Früher sah mein Tagesablauf so aus: zweimal Training am Tag, essen und schlafen. Der Vorteil war, dass man viel rumgereist ist und viel von der Welt gesehen hat. Aber jetzt mit der Familie ist es auch schön, nicht 200 Tage im Jahr im Ausland zu sein. Man ist halt kein Sportler mehr, dieses Adrenalin vermissen viele nach dem Karriereende. Klar, wenn ich das Finale in Timmendorfer Strand sehe, denke ich manchmal auch, wie toll das noch mal wäre, dabei zu sein. Aber am Großen und Ganzen habe ich nie groß getrauert, als TV-Experte bin ich ja noch nah dran.

Schon an eine Trainerkarriere gedacht?

Reckermann: Das will ich nicht ausschließen, aber ich wollte erst ein bisschen Abstand haben. Wenn schon eine Pause, dann eine richtige. Ich wollte nicht gleich wieder 200 Tage pro Jahr im Ausland sein, nur diesmal neben und nicht auf dem Platz. Wenn ich mich dazu entscheide, dann will ich es richtig machen. Aber gerade passt es nicht.

Für den TV-Sender Sky arbeiten Sie als Kommentator der „Smart-Beach-Tour“, der nationalen Beachvolleyball-Serie, die am Freitag in Münster beginnt und bis zum Finale im September unter anderem auch Station in Hamburg und Duisburg macht.

Reckermann: Ich arbeite dort nicht nur als Kommentator, ich habe beispielsweise auch ausländische Teams akquiriert, die mit auf die Tour gehen. Wir haben die U21-Europameister aus Norwegen in Münster dabei, es spielen Amerikaner und Kanadier mit, um die Tour zu bereichern und ein bisschen internationales Flair zu haben.

Wer sind die Favoriten der Tour?

Reckermann: Schwer zu sagen, die Nationalteams sind immer vorne dabei, wegen der Olympiaqualifikation werden sie aber nicht auf jedem der neun Turniere der Tour dabei sein. Bei den Frauen sind es Katharina Schillerwein/Cinja Tillmann und Teresa Mersmann/Isabel Schneider. Bei den Männern muss man gucken, wie die Nachwuchsteams sich schlagen. Julius Thole ist ein Name, den man sich merken muss. Endlich einmal ein Blockspieler mit großem Potenzial, von denen haben wir in Deutschland nicht viele.