Viele kennen den Trainer von Bayern Münchens Halbfinal-Gegner Real Madrid als schwierig und aggressiv. Aber seine Spieler gehen für ihn durchs Feuer. Weil er Emotionen bei ihnen weckt.
Madrid.
Die zynische und die aggressive Art von Jose Mourinho kennt wohl jeder. Doch der portugiesische Fußballlehrer, nicht nur in seiner eigenen Wahrnehmung „ein großer, ein kompletter Trainer, stark auf allen Gebieten“, hat auch eine ganz sentimentale Seite.
Der weiche Kern des harten Erfolgsmenschen Mourinho, der an diesem Dienstag mit Real Madrid im Halbfinale der Champions League auf Bayern München trifft, zeigte sich am deutlichsten in der Nacht zum 23. Mai 2010. Da bremst im Bauch des Bernabeu-Stadions in Madrid plötzlich eine gerade gestartete dunkle Limousine. Hinten links steigt ein Mann im dunklen Anzug aus und hastet 14 Schritte durch die Katakomben auf die andere Seite des unterirdischen Weges. Dort lehnt an einer roten Backsteinwand ein langer Schlaks in einem hellen Sweatshirt.
Es ist der eisenharte und jeder romantischen Ader unverdächtige Abwehrspieler Marco Materazzi, zu dem Mourinho geht. Beide umarmen sich, wechseln ein paar Worte und weinen herzzerreißend. Es ist der Trennungsschmerz zweier Männer, die lediglich zwei Jahre lang Arbeitskollegen waren, der eine Spieler, der andere Trainer von Inter Mailand. Die Italiener hatten gerade durch ein 2:0 gegen Bayern München die Champions League gewonnen, und der portugiesische Fußballlehrer hatte seine Spieler ahnen lassen, dass er zum Abschied entschlossen war, um dem Werben von Real Madrid nachzugeben.
Die letzte Begegnung in der Unterwelt der Fußballarena sei „die traurigste“ gewesen, berichtet Materazzi, der seinen früheren Vorgesetzten als „knallharten Typ, aber mit Herz“ charakterisiert: „Wir realisierten, dass er tatsächlich gehen würde. Dabei war er doch so etwas wie der Patri-arch unserer Familie.“ Der nicht immer wirklich zartfühlende Weltmeister, der im WM-Finale 2006 Zinedine Zidane zum Platzverweis reizte, wird ganz pathetisch: „In meinem Herzen hat Mourinho einen ganz besonderen Platz.“ Zu Herzen geht die eindrucksvolle Szene der beiden weinenden Männer vielen Menschen – auf youtube im Internet wurde sie mehrere Millionen Mal aufgerufen.
Es waren nicht die ersten Tränen des Abends von Madrid. Der portugiesische Journalist Nuno Luz formulierte, Mourinho lasse von seinen Leuten niemanden alleine weinen.
In London erzählt man sich vergleichbare Geschichten. Als der Trainer 2007 beim FC Chelsea entlassen wurde, beobachtete Spieler Paolo Ferreira: „Er sagte allen Tschüß, umarmte jeden Einzelnen. Das war hart für uns. Didier Drogba hat geheult wie ein Kind.“ Natürlich gab es dort nicht jeden Tag Tränen, wie Michael Ballack, damals auch bei Chelsea unter Vertrag, gewohnt einfühlsam bekräftigt: „So viel haben wir jetzt nicht geweint. Aber er hatte immer ein besonders Verhältnis zu seinen Spielern. Er hat uns das Gefühl gegeben, ich bin bei Euch und geh’ mit Euch durch dick und dünn.“
Wie Söhne soll Mourinho die Spieler behandeln. „Sein Bild in der Öffentlichkeit ist ja ein ganz anderes, und er hat sicher ein großes Ego“, sagt Ballack. „Doch wenn man ihn privat kennt, ist er ein sehr, sehr höflicher, umgänglicher Typ.“
Mourinho stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen, seine Eltern wohnen noch immer in der einfachen Wohnung im zweiten Stock des schmucklosen Hauses in der Rua Marino Coelho in Setúbal. Wenn sie mal nicht in der Kirche waren, wissen die Nachbarn, dass sie verreist sind. Auch Jose Mourinho ist gläubig, liest im Hotel vor jedem Spiel „drei, vier Verse aus der Bibel. Das gibt mir ein gutes Gefühl“.
Das besondere Gespür
Ein besonderes Gespür hat er für manche Bedürfnisse seiner Spieler. Aus Mourinhos erster Saison in Mailand erzählt Dejan Stankovic: „Zwei oder drei Spieltage vor Saisonende, wir hatten gerade die Meisterschaft gewonnen, kam er zu mir und fragte: ‚Hast du nicht deiner Frau versprochen, ihr mal Dubai zu zeigen?’“ Der Mittelfeldmann bejahte – überrascht, dass der Trainer sich daran erinnerte. „Dann mach dich auf den Weg!“, habe der Trainer angeordnet. „Nimm auch dein Kind mit! Du hast hart gearbeitet für mich und das Team, du kriegst jetzt sieben Tage frei.“ Zur Titelfeier war der Nationalspieler wieder zurück.
Kaum ein Fußballlehrer versteht seinen Job als so komplex wie Mourinho: „Du hast so viele Aufgaben als Trainer: Coach, Manager, Beobachter, Führer, aber auch Vater, Bruder, Freund, alles.“ So weckt er Emotionen bei seinen Spielern – und das müssen nicht zwingend Tränen sein. Zlatan Ibrahimovic, einst gemeinsam mit Mourinho bei Inter, unterstrich eine Kritik an der Motivation durch Barcelonas Trainer Pep Guardiola mal mit dem Satz: „Für Mourinho hätte ich töten können.“