- Holger Fach im Interview vor dem Auswärtsspiel in Gelsenkirchen über Schalke
- weswegen er in Darmstadt ruhig arbeiten kann
- warum in Leipzig keine Wunder geschehen
Gelsenkirchen.
Es war ein emotionaler Ausbruch, der Holger Fach damals viel Aufmerksamkeit bescherte.
Im Oktober 2015 saß der gebürtige Wuppertaler in der Talksendung Sky90 und sorgte dort für einen emotionalen Moment.
Fach, bei dem 2011 ein Lungentumor diagnostiziert worden war, dankte vor laufender Kamera seinen Ärzten und brach in Tränen aus.
Die Sendung wurde kurz unterbrochen. Ein bemerkenswerter Auftritt.
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Er hat den Krebs inzwischen besiegt, ist als Sportdirektor vom SV Darmstadt 98 voll im Tagesgeschäft.
Kein einfaches, wie er selbst sagt. Wir sprachen mit dem ehemaligen Bundesliga-Profi von Fortuna Düsseldorf, Borussia Mönchengladbach, Bayer Uerdingen, Bayer Leverkusen und 1860 München.
Herr Fach, Sie haben schon oft gesagt, dass die Frage nach dem Fußball zweitrangig und die nach der Gesundheit wichtiger ist. Wie schwer fällt es Ihnen derzeit, das Gros Ihrer Gedanken nicht dem Fußball zu widmen?
Holger Fach: Das hat nicht nur mit meiner Vorgeschichte zu tun. Sondern ich denke, dass es im Leben grundsätzlich wichtigere Dinge gibt als den Fußball. Von daher war das auch vor meiner Erkrankung der Fall. Klar ist jedoch ebenso, dass ich mir um die Geschichte hier beim SV Darmstadt ständig Gedanken mache.
Das hat aber weniger damit zu tun, dass die Mannschaft gegen einen Mitkonkurrenten um den Klassenhalt verloren hat – das hat damit zu tun, dass man um die Möglichkeiten weiß, die man hat. Das weiß man hier aber schon seit über einem Jahr. Man sieht auch seit einem Jahr und länger die Gefahren, die es hier gibt.
Langfristiger Aufbau
Welche sind das?
Fach: Dafür muss man nicht ganz weise sein. Wir haben das älteste Stadion und den kleinsten Etat und sind gerade dabei, unsere Strukturen dahingehend verbessern, dass wir irgendwann im Profibereich konkurrenzfähig sind. Das sind die Gedanken, die man hat.
Man muss das Große und Ganze, das Darmstadt ausmacht, davon abschotten, dass man nur die aktuelle Situation permanent sieht. Es geht darum, hier in Darmstadt einen Verein zu etablieren, der konkurrenzfähig wird für den Profifußball und nicht durch viele glückliche Fügungen bedingt eine Episode von anderthalb bis zwei Jahren durchläuft.
Wie sieht das konkret aus?
Fach: Es wird immer Rückschläge geben. Die muss man einkalkulieren. Es wäre fahrlässig, nicht immer auch an verschiedene Szenarien zu denken, man darf sich von kurzfristigen Situationen nicht blenden lassen. Von positiven wie negativen Situationen.
Ziel: Bundesligaverbleib
Sie sprechen die zweigleisige Planung an. Für welche Bereiche soll diese gelten?
Fach: Wenn ich sage, dass Profifußball für mich die 1. oder 2. Bundesliga bedeutet, dann geht es darum, die Mannschaft auf Sicht in einer der beiden Ligen zu halten. Es wäre natürlich wunderbar, wenn es immer die erste ist und wie werden auch alles daran setzen, dass es in der kommenden Saison der Fall ist. Das wäre ein Beispiel.
Acht Punkte hat die Mannschaft in elf Spielen geholt. Planen Sie auch auf der Trainerposition zweigleisig?
Fach: Verstehe ich nicht.
Sie haben doch sicher schon eine Alternative im Hinterkopf?
Fach: Warum sollte ich das haben?
Keine Trainerdiskussion
Andere Vereine haben das auch getan. Beispielsweise Ingolstadt.
Fach: Wissen Sie, ich muss immer ein wenig schmunzeln. Vor der Saison waren wir schon der erste Absteiger. Immer. Überall. Vor der Saison hat jeder gesagt ‚Oh, das wird ganz schwierig und es wird noch schwieriger als letztes Jahr’. Und nun sind wir mitten in der Saison. Und siehe da: Wir sind nicht auf einem Abstiegsplatz.
Das waren wir einmal in dieser Saison, und das war nach dem ersten Spieltag. Ich denke, das ist nicht unbedingt repräsentativ. Seitdem befinden wir uns in einem brutal schweren Abstiegskampf – genau das, was vor der Saison angesagt war. Worüber soll ich mir also Gedanken machen?
Realistische Selbsteinschätzung
Sie gehen sehr entspannt mit der Situation um. Woher nehmen Sie diese Entspanntheit?
Fach: Ich nehme diese Gelassenheit aus relativ viel Erfahrung im Profifußball. All diese Situationen, all diese Dinge, die – positiv wie negativ – ablaufen, habe ich 25 Mal durchgemacht. Die schocken mich nicht. All die Reaktionen der Leute draußen, der Medien – die kenne ich alle schon. Und ich weiß, was hier möglich ist.
Nun sind wir schon fast wieder beim Ausgangspunkt: Es ist nur Fußball. Wir versuchen, das Ding hier so gut wie möglich zu machen, wie wir es können. Es hängt von vielen Faktoren ab, ob es dieses Jahr wieder klappt. Aber: Wer hier glaubt, dass dieser Verein nicht absteigen kann, der ist als Kind zu oft vom Wickeltisch gefallen und immer mit dem Kopf aufgeschlagen.
Das muss man einfach sehen. Und wenn hier ein anderer kommt, der sagt: ‚Ich garantiere, dass ihr in der Liga bleibt’, dann gibt es für mich nur zwei Möglichkeiten:Entweder sollte man den nehmen, oder er ist ein Scharlatan. Ich gehe von der zweiten Möglichkeit aus.
Vertrauen der Fanbasis
Denken Sie, dass Ihre Gelassenheit sowie ein eventueller Abstieg den Fans über lange Sicht zu vermitteln sind?
Fach: Ich glaube, langjährige Fans denken auch an die letzten 30 Jahre und daran, wie die abgelaufen sind. Möchte man Dinge wie die 4. Liga oder eine Fast-Insolvenz etwa wieder haben? Möchte man eine Führung, die vollkommen kopflos agiert? Möchte man jetzt jemanden haben, der den Verein vollkommen verschuldet? Oder einen, der Harakiri spielt? Dafür bin ich nicht der Richtige.
Und dabei spielt auch der Vorstand nicht mit. Ich glaube, dass unsere Fans so clever und intelligent sind, auf die Vereine zu schauen, die es genauso gemacht haben und jetzt als Paradebeispiel dastehen. Siehe SC Freiburg: Volker Finke ist mit dem Verein mehrmals abgestiegen. Es gab nie eine Diskussion um ihn als Trainer.
Oder beim FSV Mainz: Es gab keine Diskussion um Jürgen Klopp, nachdem er mit der Mannschaft abgestiegen ist. Er ist übrigens danach auch nicht wieder aufgestiegen. Über die Qualitäten dieser Trainer gab es keine Diskussionen.
Anforderungen an Darmstadt-Trainer
Welche Besonderheiten bringt Trainer Norbert Meier mit, um die Mannschaft durch diesen Abstiegskampf zu führen?
Fach: Wir haben vor der Saison ein Anforderungsprofil erstellt. Wir wollten einen Trainer haben, der die 1. und die 2. Liga kennt, wir wollten einen Trainer haben, der schon auf- und auch abgestiegen ist. Und natürlich brauchten wir einen Trainer, der schwierige Situationen kennt. Der nicht gleich umfällt, wenn ihm der Wind ein bisschen ins Gesicht bläst.
Natürlich war für uns wichtig, dass der Trainer es gewohnt ist, mit einem kleinen Budget zu arbeiten und nicht immer rumbrüllt und sagt, dass er noch drei andere braucht, die wir gar nicht bezahlen können. Und für die wir auch nicht bereit sind, uns zu verschulden. All das sind die Dinge, die dazu geführt haben, dass wir gesagt haben: ‚Ja, wir sind davon überzeugt, dass das der richtige Mann ist.’
Mehr Druck als im letzten Jahr
Zuletzt war von Ihnen zu hören, dass Sie von Angst bei den Spielern gesprochen haben.
Fach: Ich habe gesagt, dass wir beim Spiel gegen Ingolstadt in der Situation waren, etwas zu verlieren. Im Gegensatz zur letzten Saison, als der SVD nur gewinnen konnte. Nun war es zweimal so – in Walldorf und gegen Ingolstadt – dass wir in der Situation waren, etwas verlieren zu können.
Und dann passiert es, dass der ein oder andere Mal etwas ängstlich oder gehemmt ist. So wie am Samstag, aber wir hätten das Spiel dennoch gewinnen müssen. Ich habe diese Zeiten selbst miterlebt. Dagegen muss man angehen. Das ist das, was ich gesagt habe.
Kritik an Superlativen der Gegenwart
Das klang zunächst etwas anders…
Fach: Daraus wurde eine riesige Schlagzeile mit dem Begriff Angst gemacht. So ist das nun mal leider mittlerweile in unserer Gesellschaft. Heute ist alles geil, sensationell und unglaublich, was vor 25 Jahren 30 Mal in der Halbzeit passiert ist. Oder eben das komplette negative Gegenteil. Ein normales Mittelmaß gibt es so gut wie gar nicht mehr.
Sie vertreten diese Meinung sehr stark
Fach: Nein, ich bin einer von denen, die das offen sagen. Manch andere scheißen sich in die Hose, die sagen das nicht offen, weil sie vielleicht Angst vor irgendwelchen Konsequenzen haben. Die pusten mit in dieses Rohr – alles ist sensationell und geil. Wenn heute ein Torwart den Ball in der kurzen Ecke hält, dann kommen diese Superlative wieder ins Spiel. Vor 25 Jahren hätte man gesagt: ‚Den muss er doch halten.’
Keine Kunst in Leipzig
Zur sportlichen, aber auch zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesliga gehört, dass es seit dem elften Spieltag einen neuen Tabellenführer gibt.
Fach: Sportlich ist das sicherlich reizvoll, dass mal jemand anders oben steht. Jörg Schmadtke hat das treffend gesagt: Die Ressourcen, die RB Leipzig hat, setzt der Verein gut ein und macht viele gute Dinge damit. Aber es ist relativ einfach, mit diesen Mitteln die Liga zu halten, das Stadion auszubauen und ein Trainingsgelände zu bauen.
Da brauchen sich die Leute auch nicht gegenseitig auf die Schulter zu klopfen oder sich auf die Schulter klopfen zu lassen. Wenn ich die Möglichkeit habe, hier ein Trainingsgelände zu bauen, dann mache ich das eben. Schwierig ist das nicht. Schwieriger ist anders herum.
Kleine Chance gegen Schalke nutzen
Kommen wir zum Spiel auf Schalke. Was erwartet die Mannschaft dort?
Fach: Machen wir uns nichts vor – da herrscht immer eine besondere Atmosphäre. Das hat aber nicht allein etwas mit Schalke zu tun, sondern mit der Größe des Stadions, das dazu auch noch fast geschlossen ist. Es erwartet sie eine fußballerisch gute Mannschaft, die aufholen will und muss, die den Saisonstart immer noch in den Beinen hat.
Es ist unbestritten, dass Schalke eine große Qualität im Kader hat. Aber die Mannschaft kann auch mal durchhängen.
Fach: Jede Mannschaft hat immer eine Chance, etwas zu holen, wenn sie irgendwo hinfährt. Wir müssen in der Lage sein, diese – zugegeben – kleine Chance zu nutzen. Und wir müssen sehen, dass wir in der Lage sind, das Schalker Spiel zu stören, unsere Angriffe zu fahren und den ein oder anderen Aha-Effekt in dieser Schalker Mannschaft zu auszulösen.
Schalker Qualität
Es wäre vermessen, beide Vereine zu vergleichen. Haben Sie dennoch etwas feststellen können, was Schalke verändert hat, damit der Daumen wieder nach oben zeigt?
Fach: Dass Schalke aufgrund der Qualität nicht auf Dauer da unten stehen wird, war doch logisch. Ob das eine Woche oder zwei eher passiert, ist egal. Auch da wurden Dinge hineininterpretiert, die auch bei mir immer Kopfschütteln auslösen. Es ist genau das Gleiche wie mit Gladbach in der letzten Saison. Ja, sie haben mal ein paar Spiele in Folge verloren, und? Ich behaupte trotzdem, dass das Gleiche mit Lucien Favre noch möglich gewesen wäre.
Trainer Fach?
Kommen wir vom Sportlichen einmal zu Ihrer persönlichen Situation. Können Sie sich vorstellen, noch einmal Trainer zu sein?
Fach: Ich glaube nicht.
Wie kommt das?
Fach: Ich habe keine Lust darauf.
Worauf genau?
Fach: Ich muss nicht immer alles begründen. Heutzutage ist es so: Wenn ich eine Antwort gebe, erwartet jeder, dass ich eine Begründung abgebe. Ich erwarte ein gewisses Maß von Achtung. Und wenn ich sage „nein“, dann meine ich „nein“.
Hier in Darmstadt schließe ich es definitiv aus. Ich weiß ja, welche Spekulationen wieder kommen könnten. Was mich vielleicht noch einmal reizen würde, wäre das Ausland. Fragen Sie mich jetzt aber nicht warum, ich würde es aber beantworten (lacht).
Mehr Geld im Ausland
Also: was reizt Sie am Ausland? Sie waren schon Trainer in Astana.
Fach: Ja, es war ein komplett anderer Menschenschlag, es war eine komplett andere Welt. Es war eine super erfolgreiche Zeit aus sportlicher Sicht. Das sind schon drei Dinge. Es muss ja nicht heißen, dass es wieder so wird. Und zuletzt war es auch finanziell lukrativ. Darüber kann man ruhig sprechen. Es geht ja auch um Geld. Moment, es geht im Fußballgeschäft fast nur noch, pardon – es geht nur noch um Geld (lacht).
Die Kombination war perfekt. Ich weiß nicht, ob es woanders auch so wäre und ich weiß nicht, ob ich es noch einmal machen würde. Es kann auch sein, dass ich irgendwann gar nichts mehr mache. Eins ist klar: Ich sitze mit 65 Jahren nicht mehr als Trainer oder Manager auf einer Bank.
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