Lars Ricken will den BVB wieder Geschichte schreiben sehen
Sein Tor ging in die Fußball-Geschichtsbücher ein: Lars Ricken machte 1997 mit seinem Treffer den bisher einzigen Champions League-Gewinn von Borussia Dortmund perfekt. Im Interview lässt der heutige BVB-Nachwuchskoordinator jenen Frühlingsabend in München Revue passieren.
Dortmund.
Lars
Ricken gibt derzeit viele Interviews. Über ein Tor. Über sein Tor im Champions-League-Finale 1997. Sekunden nach seiner Einwechslung erzielte er im
Münchener Olympiastadion mit seinem ersten Ballkontakt das 3:1 gegen Juventus
Turin.
Herr Ricken, würden
Sie den Schuss von 1997 in München heute noch mal so hinkriegen?
Lars Ricken (überlegt lange): Ja. Ich
weiß nur nicht, ob er wieder reingeht. Das war ja das Schöne bei dem Tor. Bei
zehn Versuchen geht so ein Schuss einmal rein. Und in einem Finale musst du
genau diese kleine Chance nutzen. Aber solche Dinger habe ich im Training auch
immer wieder probiert und nicht nur blind aufs Tor geschossen. Fragen Sie mal
Roman Weidenfeller und Stefan Klos.
Können Sie sie noch an die genaue Entfernung zum Tor
erinnern? Es gibt ja Legenden dazu.
So etwa 25 Meter. Weiter war es nicht. Aber es wird mit
jedem Jahr ein Meter mehr. Es kommen Leute und sagen geil, wie du das Ding von
der Mittellinie reingehauen hast. Wenn wir dann gemeinsam die Fernsehbilder
anschauen, wundern sie sich, wie nah das war. Michael Zorc frotzelt immer, dass
es kein Torschuss war, sondern dass ich den Ball auf Heiko Herrlich flanken
wollte und er mir abgerutscht ist. Dass das nicht stimmt, sieht man aber.
Wann wussten Sie, dass Ihr Schuss
reingeht?
Ricken (überlegt wieder
lange): Ich gebe derzeit ständig Interviews, aber Sie stellen mal andere Fragen.
Ich hatte das Gefühl, er geht rein, als ich ihn noch gar nicht geschossen hatte.
(lacht) Ich hatte vorher einen klaren Plan und da war es die beste Sache, den
Ball so zu schießen. Das hat ja selbst Marcel Reif gesehen. Ich hatte sofort das
Gefühl, den Ball gut getroffen zu haben. Bis er dann eingeschlagen war, ist für
alle Fans und auch für mich eine Ewigkeit vergangen. Ich hatte ja den besten
Platz im Stadion. Die BVB-Fans saßen weit weg, auf der anderen Seite und hatten
noch die riesige Laufbahn dazwischen. Von der Tribüne sah die Flugbahn wohl
anfangs ganz anders aus. Aber als er einschlug, sind alle in Jubel
ausgebrochen.
Auch auf dem
Rasen ging die Post ab. Wann setzt bei Ihnen die Erinnerung wieder ein?
Ricken: Schwer zu sagen. Ich habe die
Sekunden nach dem Tor inzwischen so oft im Fernsehen gesehen, meinen Jubel, die
ganzen Umarmungen. Sonst hätte ich nicht sagen können, was ich gemacht habe. Du
bist so im Rausch, voller Emotionen und Endorphine. Wahnsinn.
Wissen Sie, wo Ihre Schuhe und das
Trikot von damals gelandet sind?
Ricken: Der Schuh steht im Haus meiner Eltern in einer kleinen
Vitrine mit Medaillen und Auszeichnungen. Das Trikot? Keine Ahnung. Neulich
wurde mir ein Trikot zum Unterschreiben hingehalten, das ich damals angeblich
getragen haben soll. Mit dem Wissen von heute hätte ich es in München nicht
verschenkt. Aber ich war damals unromantisch, habe keinen Wert auf Devotionalien
gelegt. Heute hätte ich es gerne. Aber ich will keinen Aufruf starten.
Balljunge Lahm und Zimmergenosse Sammer
1997 war ein gewisser Philipp Lahm
Balljunge in München.
Ricken: Mir hat
er keinen Ball zugeworfen. (lächelt) Aber ich habe auch nicht so lange
gespielt.
Der zweite
Anknüpfungspunkt zu den Bayern im Finale 2013: Matthias Sammer war 1997 Ihr
Partner im Doppelzimmer.
Ricken: Anfangs war ich mit Stefan Klos auf dem Zimmer. Der hat
immer geschimpft, wenn ich samstags zur Schule schon um 7 Uhr raus musste. Zu
Matthias kam ich erst, als die Schule vorbei war. Ottmar Hitzfeld hatte ihm
gesagt, kümmere dich mal um den Kurzen. Er war ein angenehmer Zimmerpartner. Wir
sind beide gute Schläfer, haben auch am Nachmittag des Endspiels drei Stunden
tief geschlafen.
Bei der
Musik dürfte es nicht so harmonisch gewesen sein. Sie mochten es rockig…
Ricken: … und er war eher für Schlager,
Nicole und so. Aber kein Problem. Damals gab es zwar keine Ipods, aber
Kopfhörer.
Wann war klar,
dass Sie nur auf der Bank sitzen würden?
Ricken: Nach dem Abschlusstraining. Wir hatten fast nur
Nationalspieler. Und wenn die alle fit sind, das wusste ich, wird es eng. Ich
war nicht glücklich, aber auch nicht beleidigt. Abends hat mich Ottmar Hitzfeld
aufs Zimmer geholt und mir gesagt, dass er weiß, dass meine Chance kommen wird,
entscheidend ins Spiel einzugreifen.
Ein Kandidat für Ihre Nachfolge im Endspiel 2013 ist Nuri Sahin. Er trägt, wie Sie damals, die Rückennummer 18.
Ricken: Das will ich hier jetzt mal aufklären. Ich hatte
die 18, weil der BVB 1909 von 18 Personen gegründet wurde. Als Nuri im Januar zu
uns zurückkehrte und ich sein Trikot gesehen habe, war mir gleich klar, wer in
London das Siegtor schießt…
Was hat Ottmar Hitzfeld der Mannschaft damals vor dem
Anpfiff in der Kabine gesagt?
Ricken: Ottmar ist kein Typ, der emotional geladene,
aufputschende Motivationsreden hält. Das hätte auch nicht zu ihm gepasst. Und
als Trainer musst du authentisch sein, so wie Jürgen Klopp auf seine Art ganz
besonders authentisch ist. Ottmar ist ein sachlicher Analytiker, der dich
taktisch aufs Spiel eingestellt hat. Unsere Mannschaft hatte ja große Erfahrung.
Stefan Reuter, Matthias Sammer, Jürgen Kohler, alle um die 30 und mit einer
riesigen inneren Bereitschaft und Motivation.
Hat das Tor Ihr Leben verändert?
Ricken: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich wäre
heute kein anderer Mensch, wenn ich das Tor nicht erzielt hätte. Höchstens, wenn
ich nicht Fußballprofi geworden wäre. Es ist auch nicht so, dass ich mir extrem
viel auf das Tor einbilde. Ich bin sehr froh, dass ich das Tor geschossen habe
und wir den Titel geholt haben. Wenn ich an die Feierlichkeiten am Tag danach
denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut und muss schlucken. Damals habe ich
etwas geschaffen, was über meine Karriere Bestand hat. Das war immer ein Antrieb
für mich. Und man sieht, dass ich auch 16 Jahre danach noch Interviews zu dieser
Szene gebe.
Bierhoffs Fluch und Rickens Segen
Löst die
Bezeichnung „Held von München“ etwas bei Ihnen aus?
Ricken: Nein, so werde ich bei Fantreffen und Fernsehauftritten
begrüßt. Als Held. Oder Legende. Das schmeichelt. Mir ist aber bewusst, dass es
eine Floskel ist, die inflationär gebraucht wird.
Hat Sie das Tor mal genervt? Haben Sie mal gedacht, wäre
der bloß nicht reingegangen?
Ricken: Nein. Das Schicksal hat es mit anderen Menschen doch
wesentlich schlimmer gemeint. Auch wenn ich am Ende meiner Karriere oft auf
dieses Tor reduziert werde. Oliver Bierhoff hat sein Golden Goal mal als Fluch
bezeichnet. Das wird bei mir nie der Fall sein. Wenn man am Ende einer Karriere
so rausgeht, muss man dankbar sein. Man sieht, was man den Fans mit Erfolgen
gegeben hat. Es ist wichtig für einen Verein, dass mit solchen Situationen neue
Geschichten geschrieben werden. Solche Momente bieten Hoffnung, sorgen für
Identifikation und sind ein Anker für die Fans, an dem sie sich festhalten
können. Aber es müssen immer wieder neue Geschichten geschrieben werden. Mein
Tor und dieser Erfolg sind nun 16 Jahre her und ein Stück weit Vergangenheit. Es
werden so viele Fans im Stadion sein, die sich an 1997 gar nicht erinnern können
oder damals nicht mal geboren waren. Sie kennen das Finale aus München nur aus
dem Internet. Es wäre doch schön, wenn wir in London eine neue Geschichte
schreiben würden und den Titel holen.
Moment, Sie haben Jürgen Klopp vor Beginn dieser Saison
gesagt, er soll Ihnen bitte diesen Titel noch lassen.
Ricken: Das war nach dem Pokal-Finale in Berlin, das wir
5:2 gegen die Bayern gewonnen haben. Die Jungs hatten alle Rekord pulverisiert,
die ich mit dem BVB aufgestellt hatte. Und dann habe ich Jürgen gesagt, er soll
sich bitte mit der Champions League Zeit lassen. Er hat so komisch geschaut und
ich habe gemerkt, dass ich keine Chance habe. Jürgen kann Erfolge extrem gut
feiern. Aber auch abhaken und sich dann neue Ziele suchen. Das hat er gemacht.
Werden Sie Samstag sehr
angespannt auf der Tribüne sitzen?
Ricken: Ich werde nervöser sein als die Spieler. Als Fußballer
ist auch so ein Spiel für dich ein Stück weit Normalität. Du kannst nicht mit
wackeligen Beinen auflaufen. Als Fan schaust dir das ja alles nur an. Das kann
aber, wie ich inzwischen gelernt habe, auch aufregend genug sein.