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Taktiker, Motivator, Reizfigur – so tickt Thomas Tuchel

Taktiker, Motivator, Reizfigur – so tickt Thomas Tuchel

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Thomas Tuchel folgt beim BVB auf Jürgen Klopp. Foto: Imago Sportfotodienst
Wie vermutet legt der BVB seine Zukunft in die Hände von Thomas Tuchel, der 41-Jährige erhält einen Dreijahresvertrag. So tickt der neue Trainer.

Dortmund. 

Der Typ an sich wirft schon einen beeindruckenden Schatten. Aber er trägt ein T-Shirt, das den Schatten noch größer macht. Der Mann trägt es am Samstagnachmittag im Stadion von Borussia Dortmund, wo die heimischen Bundesliga-Fußballer soeben einen souveränen und phasenweise ansehnlichen 3:0-Sieg gegen den SC Paderborn herausgespielt haben und sich die Zuschauer hymnischer Jubelarien für ihren am Saisonende scheidenden Trainer Jürgen Klopp hingeben.

Wie groß dieser Schatten ist, wird klar, wenn man liest, was auf diesem gelben T-Shirt in Schwarz geschrieben steht: „In Klopp we trust.“ In Amerika vertrauen sie auf Gott („In God we trust“), in Dortmund irgendwie noch immer auf Klopp.

Wer die Huldigungen erlebte, der kann kaum glauben, dass keine 24 Stunden nach den Liebeserklärungen der neue Trainer feststeht: Wie vermutet legt der BVB seine Zukunft in die Hände von Thomas Tuchel, dem begehrtesten Mann auf dem Markt. Der 41-Jährige erhält einen Dreijahresvertrag ab Juli 2015. Und so tickt der neue Trainer:

Der Taktiker Tuchel

Akribisch bis pedantisch kann sich der Trainer mit Taktiken beschäftigen. Schon als Spieler war er ein besserer Trainer. Der Verteidiger brachte es auf acht Zweitligaspiele, ehe er in Ulm unter Trainer Ralf Rangnick seine Karriere wegen einer Knorpelverletzung beenden musste. Damals war er 25.

Den Trainer zeichnet aus, dass ihm nichts auf dem Platz entgeht – und er in der Lage ist, darauf richtig zu reagieren. In Mainz ließ er verschiedene Systeme (sogar in nur einer Partie) spielen, um stets richtig auf die Stärken des Gegners reagieren zu können. Er prägte in der Bundesliga den Begriff Matchplan.

So machte er aus einem Aufsteiger einen Europapokalteilnehmer, der 2010 den Startrekord der Bundesliga mit sieben Siegen einstellte, der in der Tuchel-Tabelle (die Tabelle seiner fünfjährigen Amtszeit) Platz fünf belegt und sogar zum Angstgegner der Bayern wurde. Mit dem dortigen Star-Trainer Pep Guardiola, den er seit vielen Jahren verehrt, wird Tuchel trotz seiner geringeren Meriten verglichen. Beide gelten als Taktik-Koryphäen und trafen sich bereits, um sich auszutauschen.

Tuchel dürfte neben seinem in Mainz erprobten Co-Trainer Arno Michels weitere Mitarbeiter seines Vertrauens mitbringen, da Klopp seine Co-Trainer Zeljko Buvac und Peter Krawietz ebenfalls mitnimmt.

Der Motivator Tuchel

Auf dem Gebiet der Psychologie kennt sich Tuchel aus. Der Trainer unterteilt seine Spieler nach drei Grundtrieben des Menschen: die Neugierigen wie seine Ex-Spieler Andre Schürrle oder Lewis Holtby, die immer Neues ausprobieren wollen, die sehen wollen, „ob der Beinschuss auch gegen die Bayern“ klappt; die Bindungssuchenden, die es lieben, Teil einer Mannschaft zu sein und sich für sie einzubringen; die Aggressiven, die nach vorne drängen, die nach mehr Geld oder mehr Ansehen streben. Danach richtet Tuchel seine Ansprache individuell aus, das sei der Schlüssel zu innerer Motivation, sagt er.

In Mainz funktionierte das perfekt. Die Spieler vertrauten ihrem Trainer und folgten ihm bedingungslos. Dafür dürfen es auch mal ungewöhnliche Maßnahmen sein: Früh am Morgen wanderte er im Trainingslager in der Schweiz mit seinen Spielern über 1000 Meter den Berg hinauf, um den Sonnenaufgang gemeinsam zu erleben.

Die Reizfigur Tuchel

Klopp flogen die Herzen zu, Tuchel nicht immer. Er ist eloquent, er kann sehr unterhaltsam sein, aber er hat eben auch klare Ansichten darüber, wie die Dinge zu laufen haben: so wie er will. Wenn Schiedsrichter Fehler machen, kann er an der Seitenlinie zur Furie werden, wenn seine Spieler Fehler machen, kann Tuchel sie lautstark zur Sau machen. Sein früherer Torwart Heinz Müller bezeichnete Tuchel sogar als „Diktator“. Sicher ist: Manchmal wirkt Tuchel wie besessen. Er hinterfragt sich, alles, jeden, immer – und fordert von seinen Spielern täglich das Maximum. In seinem Streben nach Perfektion ist er höchst authentisch.

Allerdings: Tuchels Abschied aus Mainz sorgte für Missstimmung. Mit aller Macht wollte er aus seinem bis Juni 2015 befristeten Vertrag raus. Zu diesem Zeitpunkt kam heraus, dass Tuchel zuvor bereits mit Schalke verhandelt hatte, während er seinen Spielern Predigten von Loyalität und Vertrauen hielt. Präsident Harald Strutz empfand dies alles als „persönlich enttäuschend“ und „grenzwertig“. Der Boulevard nannte ihn einen „Heuchler“. Mainz stellte Tuchel lediglich frei, sein Vertrag läuft nun im Juni aus.

Der Privatmann Tuchel

Mit Ehefrau Sissi hat Thomas Tuchel zwei kleine Kinder: Töchterchen Kim ist vier, die große Schwester Emma fünf Jahre alt. Nach seiner zwangsweise früh beendeten Karriere begann Tuchel, in einer Kneipe zu jobben und später Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Er schloss das Studium mit einem Diplom ab – und widmete sich danach seiner großen Liebe: dem Fußball, wurde A-Jugend-Meister mit Mainz.

Aus dem als vornehm verschrienen Wiesbaden zogen die Tuchels schnell nach Mainz – wegen der Herzlichkeit der Menschen, sagt er. Nun steht bald der nächste Umzug an – Richtung Westfalen. Dorthin, wo der Schatten wieder ist.

Mainz versank in einem Meer von Tränen, als Klopp ging. Nach einem Jahr unter Jörn Andersen kam Tuchel – und die Erfolgsgeschichte begann. Tuchel ist kurz vor dem Ende seiner Mainzer Zeit mal auf den ewigen Schatten Jürgen Klopps angesprochen worden. „Den gibt es nicht mehr“, sagte er.

Und er sprach die Wahrheit.