Borussia Dortmund lässt seine jugendlichen Spieler zum Training und zurück chauffieren. Die Fahrer holen die jungen Fußballer aus Ostwestfalen, dem Sauerland und aus dem Bergischen ab.
Dortmund.
Im Korfu-Grill am Neheimer Bahnhof liegt das Weißkraut um kurz vor zehn am Morgen servierfertig in der Auslage, die Spielhölle gegenüber schweigt, die beiden Gleise, die hier her und wieder fort führen, sind verstummt. Ein Bus fährt vor, ein schwarzer Kleinbus. Auf der Seite trägt er einen Aufkleber. „BVB“ steht da. Und der Slogan: „Echte Liebe“.
Sauerland-Tour
Es ist ein auffälliges Gefährt, das Jörg Fischer (33) da durch seine Heimat Neheim lenkt. Eines, das vergleichbar gerade auch in Bielefeld unterwegs ist, in Erwitte, in Essen, in Gronau, in Selm, in Remscheid und sonstwo in und um Dortmund. Jeder dieser Busse gehört zu einer speziellen Tour, jede Tour zum Fahrdienst von Borussia Dortmund, mit dem die jugendlichen Fußballer zum Training und wieder zurück chauffiert werden. Viermal in der Woche. Ein Angebot für alle Kinder ab der U13-Mannschaft.
Die Sauerland-Tour beginnt hier, Bahnhof Neheim. Yannik Erlmann und Dominik Beutler steigen zu. „Ich hab’ ein neues Spiel fürs iPhone“, sagt der eine und stöpselt sich die Kopfhörer in die Ohren. Es geht noch kurz um Schweinsteiger und seine Verletzung im Champions-League-Spiel der Bayern. „Sah übel aus“, sagt der eine. „Jetzt fehlt er gegen den BVB“, erwidert der andere gelassen und lässt seine Finger über das Handy-Display flitzen. Das neue Spiel.
Jörg Fischer fährt die Tour seit zwei Jahren, weil es optimal passt. Er ist gleichzeitig Co-Trainer der A-Jugend. Was auf dem Weg liegt, nimmt er mit zum Training. 15 Fahrer beschäftigt der BVB im Rahmen des 400-Euro-Gesetzes, viele sind Frührentner, manche Studenten. Mathilde Behrens (66) ist bis heute die einzige Frau im Fahrdienst, dafür aber Frau der ersten Stunde. Jetzt im November ist sie seit 20 Jahren dabei.
„Jung sitzt hinten“
Autobahn 46, Autobahn 445, Autobahn 44 – an den Seitenfenstern zieht die gerötete Herbstlandschaft vorbei, der aufziehende Wind schreckt das Laub über die Fahrbahn. „Es ist alles minutiös durchgeplant“, sagt Jörg Fischer bei der Anfahrt auf die Haltestelle Raststätte Haarstrang. „Wir warten fünf Minuten, wenn wir dann nichts hören, fahren wir wieder.“
Vincenz Borgelt ist schon da. Er wuchtet sich und seine Tasche ins Auto. „Warum schleppst du eigentlich immer deine ganze Tasche mit? Wir haben doch einen Waschdienst“, fragt einer. „Weil ich zuhause auch einen Waschdienst habe“, sagt Vincenz aus Lippstadt und lacht.
„Wo ist Felix?“, fragt Fahrer Fischer. Kommt gerade zwischen zwei Feldern herangerauscht. Felix Böhmer aus Werl, das Nesthäkchen auf dieser Tour, quetscht sich in die letzte Reihe auf einen der Notsitze. So läuft das in Fußball-Mannschaften. „Jung sitzt hinten“, sagt Dominik Beutler. Felix Böhmer kauert sich zusammen. „Wir sollten das mal ändern“, sagt er. Ein zaghafter Versuch. Aussichten auf Erfolg? Sehr begrenzt. Aber für die letzten Kilometer bis zum Trainingsgelände geht es.
Zum Mond und zurück
Fast 400 000 Kilometer fahren alle schwarzgelben Chauffeure zusammen im Jahr. Das reicht für eine Reise zehnmal um die Welt oder einmal zum Mond. Für die Jugendlichen und ihre Familien ein kostenloses Angebot. „Wir wollen ja, dass die Jungs bei uns spielen“, sagt Peter Wazinski, Sportlicher Leiter des BVB-Nachwuchses. Talentförderung durch Talentbeförderung.
Alle Jugendlichen teilen sich einen Traum, den Traum vom Bundesliga-Profi. Die Träume werden so lange durch die Gegend transportiert, bis er jäh endet, weil der Spieler durch das sportliche Rost fällt. Zumindest beim BVB. Die wenigsten schaffen es nach oben.
Nuri Sahin hat es geschafft. Der frühere BVB-Profi ist der wohl bekannteste ehemalige Fahrgast. Mathilde Behrens, die Frau, die gerade Dienstjubiläum feiert, hat ihn damals jahrelang gefahren. Irgendwo an der Autobahnabfahrt Meinerzhagen hat sie ihn immer aufgelesen. Von dort führte sein Weg zu Real Madrid.
Nicht alle Fußballerträume gehen in Erfüllung
Dominik Beutler weiß, dass sich Traum und Realität häufig genug nicht sehr ähneln. Seit elf Jahren ist der heutige A-Jugendliche Spieler beim BVB, viele, viele Weggefährten hat er in den ganzen Jahren kommen und gehen sehen. „Aber“, sagt er, „der Traum“, sein Traum, „lebt schon, sonst würden wir das hier nicht machen. Wohin das führt, werden wir in ein paar Jahren sehen.“
Jörg Fischer lenkt den Bus schon über Dortmunder Boden. Hier hängen die schwarzgelben Fahnen ganzjährig aus den Fenstern, hier sind die Mülltonnen schwarzgelb.
Jörg Fischer liegt gut in der Zeit, eine halbe Stunde noch bis zum Trainingsbeginn. Im August hatte er einmal weniger Zeit, weil einer seiner Fahrgäste den letzten Zug nach Hause noch kriegen musste. Er trat aufs Gas – dann wurde es hell. Das gab Punkte in Flensburg. „Nicht der erste Dreier in dieser Saison“, sagt er. Der BVB leitete die Rechnung an den Fahrer weiter. Sein Lächeln aber zeigt, dass er es wieder so machen würde. „Der Spieler hat seinen Zug noch bekommen.“
Enger Kontakt zwischen Fahrern und Spielern
Es ist mehr als eine einfache Fahrt von A nach B. Mathilde Behrens hat selbst Kinder, ist mittlerweile Oma, sie kennt die Irrungen und Wirrungen der Pubertät. „Ich bin auch eine Art Seelendoktor“, sagt sie. Ob Sorgen in der Schule, Frust beim Training oder Ärger mit der Freundin – Frau Behrens hatte und hat immer ein offenes Ohr. Bindungen, an deren Ende auch Tränen standen. Wer nicht gut genug ist, muss nunmal gehen. „Mit dem einen oder anderen habe ich schon Tränen vergossen.“
Sie mag diesen engen Kontakt mit den Spielern und deren Familien. Aber er nimmt ab, weil heute alles viel schneller geht, gehen muss. Zum 18. Geburtstag von Marc-Andre Kruska war sie eingeladen, Nuri Sahin herzt sie noch heute, wenn sie ihn sieht. Das ist selten, denn er ist fort, in Madrid. Er hat es schließlich nach oben geschafft.
Der Bus von Jörg Fischer rollt auf den Parkplatz. Das Ziel ist erreicht, der Traum vor Augen.