Essen. Edgar Wangen ist drei Jahre lang durch Europa gereist. 20 000 Kilometer hat er hinter sich gebracht. Darüber hat er ein Buch geschrieben.
Edgar Wangen hat ein Lieblings-Grab: Das von Lew Jaschin, dem früheren russischen Nationaltorhüter. „Viellicht, weil ich früher selbst Torhüter war”, sagt der 60-Jährige. Drei Jahre ist er durch Europa gereist, hat die Gräber der Fußball-Helden besucht und ein Buch darüber geschrieben.
Schräge Idee. Wie ist sie entstanden?
Edgar Wangen: Durch Zufall. Ein Freund von mir wurde Präsident beim TuS Prien am Chiemsee. Er sah die Unterlagen des Klubs durch und entdeckte einen jährlichen Posten: „Grabpflege Alfred Schaffer, 100 Mark.” Es stellte sich heraus, dass Schaffer ungarischer Nationalspieler war und Ende des zweiten Weltkriegs in Prien tot in einem Zug gefunden wurde. Seitdem pflegt der Klub das Grab, und ich dachte: Spannende Geschichte, davon gibt es bestimmt noch mehr.
Mit welchem Grab haben Sie dann Ihre Entdeckungsreise begonnen?
Wangen: Auch dabei war Zufall im Spiel. Mit ein paar Freunden aus München war ich 2004 beim Champions-League-Finale auf Schalke. Wir hatten vor dem Spiel noch Zeit und sind nach Essen zum Grab von Helmut Rahn gefahren. Damit ging es richtig los.
Wie haben Sie die Gräber ausgesucht? Haben Sie einfach eine Liste erstellt?
Wangen: Ich habe tatsächlich Namen von Fußballern aufgeschrieben, war mit aber unsicher. Also habe ich Horst Eckel und Rudi Michel besucht und bin mit beiden die Namen auf meinem Zettel durchgegangen. Am Ende hatte ich eine Aufstellung mit den wichtigsten Fußballern Europas.
Aber damit hatten Sie noch lange kein Grab gefunden.
Wangen: In der Tat ist das Finden die schwierigste Aufgabe. Die Vereine und Verbände haben wenige Informationen. Aus den Augen aus dem Sinn.
Wer war denn am schwierigsten zu finden?
Wangen: Das war William „Fatty“ Foulkes, ein Torwart mit dem Spitznamen „Mammut von Chelsea”. Er hat Anfang des vergangenen Jahrhunderts in England gespielt. Über vier Stunden bin ich im Regen über den Friedhof von Sheffield gelaufen und habe zwischen umgestürzten Grabsteinen gesucht. Aber bei solchen Dingen packt mich der Ehrgeiz, ich bin hartnäckig, und weglaufen konnte er ja nicht mehr.
Welches Grab hat Sie am meisten beeindruckt?
Wangen: Das von Lew Jaschin in Moskau. Die Russen pflegen die Gräber ihrer Fußball-Helden. Genau wie die Österreicher und die Ungarn. Dort gibt es auf den Friedhöfen sogar Weg-Hinweise.
Ist das denn in Deutschland anders?
Wangen: In Deutschland herrscht Standard Steinmetz. Auf den Gräbern stehen meistens die Grabsteine, die es beim Steinmetz um die Ecke gerade gibt. Der DFB pflegt nur zwei Gräber seiner verstorbenen Stars, nämlich die von Sepp Herberger und Fritz Walter. Dort stehen immer frische Blumen.
Und der Rest der Weltmeister-Mannschaft von 1954?
Wangen: Das sind die vergessenen Weltmeister. Auf dem Friedhof in Kaiserslautern liegen zum Beispiel Werner Liebrich und Werner Kohlmeier nur 50 Meter von Fritz Walter entfernt. Kohlmeier war nur sehr schwer zu finden, denn sein Grab ist aufgelöst worden. Man hat ihn nicht exhumiert, aber sein Grabstein ist weg, und an dessen Stelle steht jetzt der Grabstein von Laura Ullmer. Es ist schon traurig zu sehen, wie selbst die wenigen Weltmeister aus der Erinnerung verschwinden.
Haben Sie an den Gräbern Fans getroffen?
Wangen: In Deutschland nicht, aber in Italien bei Giacinto Facchetti waren Fans. Auch bei Ferenc Puskas in Ungarn. In England ist es so, dass die Fans ihre Idole nicht vergessen und die Gräber mit Blumen und anderen Dingen schmücken. Aber dort gibt es auch eine andere Begräbnis-Kultur.
Wie unterscheidet die sich von unserer?
Wangen: In Deutschland ist eine Erdbestattung zwingend vorgeschrieben, in England gibt es auch andere Möglichkeiten. Stan Matthews hat seine Asche zum Beispiel im Stadion von Stoke City verstreuen lassen. Bill Shankly ließ das gleiche mit seiner Asche auf der Steh-Tribüne „The Kop” in Liverpool machen.
Wieviele Kilometer sind Sie auf Ihrer Gräber-Tour durch Europa gefahren?
Wangen: Vielleicht 20 000 Kilometer. Ich bin auch nicht zu jedem Grab extra gefahren, sondern habe die Sache gebündelt. Alles andere wäre zu teuer gewesen. Wenn ich also in England unterwegs war, bin ich von dort direkt weiter nach Schottland gereist.
Immer alleine?
Wangen: Nein, das macht ja keinen Spaß. Ich hatte immer ein paar Freunde dabei. Alles mehr oder weniger Fußball-Verrückte. Und wir haben uns auf den Touren nicht nur Gräber angesehen, sondern auch immer Spiele in den jeweiligen Länder besucht.
Welche Gräber fehlen Ihnen jetzt noch in Ihrer Sammlung?
Wangen: Alles in Südamerika, das war mir bisher zu aufwendig und zu teuer.
Aber die Reise steht noch auf Ihre Liste?
Wangen: Irgendwann sicherlich. Wobei mich Brasilien viel mehr interessiert als Argentinien. Didi, Garrincha, Vava, die Spieler der großen Mannschaften Brasiliens von 1958 und 1962, das wäre noch was für mich.