Bochum.
Das hellblaue Arsenal-Trikot ist jetzt dunkelblau. Durchgeschwitzt. Der Atem geht schwer. Agit Kabayel hat alles gegeben. Acht Runden lang hat er im Düsseldorfer UFD-Gym seine beiden Sparringspartner durch den Ring gescheucht. Noch einmal hat der Wattenscheider mit deutschem Pass und kurdischer Abstammung die letzten Reserven aus seinem muskulösen Körper herausgekitzelt. Am Samstag (22.50 Uhr/MDR) will sich der Schwergewichts-Europameister der Profiboxer für die Schinderei belohnen: Im Berliner Hotel Estrel verteidigt Kabayel seinen Titel gegen den Serben Miljan Rovcanin.
Ein Titel mit großer Tradition. Wenn Kabayel seine berühmten Vorgänger aufzählt, sprudeln die Worte fast so schnell aus dem Mund, wie seine Fäuste die Gegner treffen. Von Max Schmeling über Karl Mildenberger bis zu Lennox Lewis und den Klitschko-Brüdern: Es sind die Großen des Faustfechtens. „Ich bin stolz, ihr Nachfolger zu sein“, sagt Kabayel. „Es gibt so viele Titel im Boxen, dass man den Überblick verliert. Aber mein EM-Titel hat Tradition. Jeder weiß dann, der Junge kann was.“
Sieben kräftezehrende Wochen liegen hinter Kabayel. Der Höhepunkt einer jeden Vorbereitung sind die Sparringrunden. Mit dem Ukrainer Jaroslaw Zawarotny und dem Isländer Kolbeinn Kristinsson hat sich der 25-jährige Kabayel zwei erfahrene Boxer in den Ring geholt. Für 1200 Euro pro Woche kassieren sie die Schläge des Europameisters. „Agit ist sehr, sehr stark“, sagt Kristinsson. „Er wird nicht nur seinen EM-Titel verteidigen, er zählt jetzt schon zu den Top Ten der Welt.“
Baff, baff, baff. Obwohl im Gym Rap-Musik aus den Lautsprechern dröhnt, hört man, wie Kabayels präzise und schnelle Schläge ihr Ziel finden. Mal den Kopf, mal die Leber. „Das machst du prima“, lobt Kabayels Trainer Sükrü Aksu. „Jetzt explodiere noch mal.“ Gesagt, getan. Die Luftfeuchtigkeit beträgt gefühlte 98 Prozent. Der Schweiß hinterlässt seine Spuren.
„Im Türkischen gibt es ein Sprichwort, das mir mein Vater mit auf den Weg gegeben hat“, erzählt Kabayel. „Mein Sohn, Metall, das arbeitet, kann nie rosten. Daher musst du immer arbeiten.“ Kabayel hat sich nach oben geboxt. „Früher war ich dick“, gibt er zu. Aus dem 130-Kilo-Moppel ist ein 110-Kilo-Modellathlet geworden. Aber nicht nur die Sache mit dem Speck hat der frühere Türsteher in den Griff bekommen.
„Ohne den Sport wäre ich zu 100 Prozent kriminell geworden“, sagt Kabayel. Sein Cousin Hüseyin Kökseçen, der als KC Rebell in der Rapper-Szene ein Star ist, hat ihm die ersten Box-Handschuhe geschenkt. Mit 25 ist Kabayel Europameister. Ein steiler Aufstieg. „Aber ich will weiter nach oben. Mein Ziel ist ein WM-Kampf“, sagt Kabayel, der im Gegensatz zu vielen anderen Boxern kein Lautsprecher ist. „Wer stark ist, darf sich erlauben, leise zu reden.“ Mit Weltmeister Anthony Joshua hat er schon im Ring gestanden. Beim nächsten Mal will er nicht sein Sparringspartner, sondern sein Gegner in einem WM-Fight sein.
Ein weiterer Sieg am Samstag in Berlin soll den Boxer aus dem Ruhrpott seinem großen Ziel näher bringen. Wie immer wird ihn KC Rebell am Ring anfeuern. Seine Freunde Leroy Sané, mit dem er schon als Kind in Wattenscheid zusammen Fußball spielte, Julian Draxler und Sead Kolasinac sind bei ihren Klubs unabkömmlich, aber Kabayels bester Kumpel, der Hoffenheimer Nationalspieler Kerem Demirbay, hat von seinem Trainer Julian Nagelsmann die Erlaubnis, nach dem Bundesligaspiel in Leipzig zum Kampf in Berlin zu fahren. „Ich freue mich sehr darüber“, sagt Kabayel. „Aber im Ring bin ich allein. Ich bin bereit.“