Der Traditionsklub feiert in diesem Frühjahr sein Jubiläum mit einem Spiel gegen Nachfolger THW Kiel in der Westfalenhalle. Obwohl er den Anschluss an die nationale Spitze verloren hat, ist der VfL ein Mythos. Weltweit. Ein Vereinsportrait.
Gummersbach.
Die Sportart wird die deutsche genannt. Nein, nicht Fußball – da gilt England als die Mutter aller Mütter -, sondern Handball. Weil ein gewisser Max Heiser, Frauen-Oberturnwart in Berlin, 1917 einen Nachfolger für den im Umfang 71 Zentimeter messenden Torball suchte und der spätere deutsche Bundestrainer Carl Schelenz 1927 die noch heute gültige Drei-Schritte-Regel erfand. Die wurde international übernommen. Darum heißt es das deutsche Spiel – auch wenn das bei der WM im Januar in Schweden nicht unbedingt sichtbar wurde.
„Handball, Kampfspiel zwischen zwei Mannschaften, die den Ball mit der Hand ins gegnerische Tor zu werfen versuchen. Der Ball darf nicht mit Füßen oder Unterschenkeln berührt werden. Die Mannschaft, die nach Abschluss der Spielzeit die meisten Tore geworfen hat, ist Sieger.“ So definiert es der Sport-Brockhaus. Und frei nach dem bayerischen Mundartsänger Fred Fesl könnte man ergänzen: „Und wer im Jahr am meisten schafft, gewinnt am End’ die Meisterschaft.“ Die letzte, die in Gummersbach bejubelt wurde, liegt exakt 20 Jahre zurück. Ein kleines Jubiläum, das aber beileibe keine Schalker Dimensionen (53 Jahre) erreicht. In diesem Jahr begeht der Mythos VfL seinen 150. Geburtstag. Ein großes Jubiläum.
Und das feiert er standesgemäß gegen seinen legitimen Nachfolger, THW Kiel, der ihn mit 33 nationalen und internationalen Titeln (VfL 29) längst überholt hat, am 1. Juni (20.45 Uhr) in der Stätte seiner größten Triumphe: der Dortmunder Westfalenhalle. Mehr als eine Viertelmillion Zuschauer hatten die Gummersbacher in ihrer Blütezeit in den 60-er, 70-er und 80-er Jahren in diesen „Tempel“ gelockt.
„Reißt euch zusammen, in einer halben Stunde seid ihr deutscher Meister.“
1923 machten sich zum ersten Mal Spieler ins benachbarte Engelskirchen auf, verloren 0:9 und ahnten nicht, dass sie die Urväter der bis zur Jahrtausendwende erfolgreichsten Handball-Mannschaft der Welt werden würden. 1966 das erste deutsche Finale. Eugen Haas, für die einen Vaterfigur, für die anderen eher Manager, Sportlicher Leiter, Mutter der Kompanie, Pate, Patron oder Patriarch, auf jeden Fall aber Visionär, feuerte das Team nach dem 5:8-Halbzeitstand gegen die SG Leutershausen an: „Reißt euch zusammen, in einer halben Stunde seid ihr deutscher Meister. Ihr könnt Geschichte schreiben.“ Spieler wie Podak, Jochen und Klaus Brand, Alberts, Jäger und vor allem Hansi Schmidt nahmen sich das zu Herzen, ließen in 30 Minuten nur noch ein einziges Gegentor zu (!) und sicherten sich mit dem 14:9 den ersten deutschen Titel.
Der Beginn einer Erfolgsstory, die lange unerreicht blieb. Weltweit. Sie war das Ergebnis einer für damalige Verhältnisse sensationellen Personalpolitik des Eugen Haas, der nicht nur alle oberbergischen Talente beim VfL versammelte, sondern auch einen untrüglichen Blick für außergewöhnlichen Nachwuchs besaß. Bei einem Freundschaftsspiel in Augsburg fiel dem Inhaber eines mittelständischen Unternehmens ein gewisser Erhard Wunderlich auf. Auch der am 30. Juni 1979 bei einem Europacupspiel im ungarischen Tatabanya verunglückte Jo Deckarm wurde in Gummersbach ein Großer seiner Zunft. Haas kümmerte sich rührend um ihn nach dem Unfall.
Legendäre Namen
Später, als die Liga sich immer mehr im Ausland bediente, holte Haas Erik Rasmussen, Kristjan Arason oder Rune Erland, die perfekt ins Gefüge passten. Legendäre Namen gehörten zum VfL wie Mc zu Donalds: Heiner Brand, Andreas Thiel, Hansi Schmidt (der ‘63 aus Rumänien gekommen war), Jo Deckarm, Jochen Feldhoff, Klaus Westebbe, Claus Fey, später Kyung-Shin Yoon, Stefan Kretzschmar, Daniel Narcisse, Gudjon Valur Sigurdsson, Nandor Fazekas, Momir Ilic, Francois-Xavier Houlet, heute Adrian Pfahl, Vrdan Zrnic, Goran Stojanovic und Drago Vukovic. Doch die Konkurrenz der Bundesliga ist in der Spitze weit enteilt. Um Millionen von Euro. Die einen, die Kieler, haben die Gunst der immens hohen Beliebtheit im Norden genutzt und eine phantastische Infrastruktur und einen sündhaft teuren Kader aufgebaut, die anderen, HSV und Rhein-Neckar-Löwen, haben sich dank der millionenschweren Mäzene Andreas Rudolph bzw. Dietmar Hopp und Jesper Nielsen in der Spitze eingekauft.
Einfach eingekauft, indem sie siebenstellige Summen auf den Tisch leg(t)en. Da konnte und kann die Wirtschaftsregion Oberbergisches Land nicht mithalten. Aber ist die Abhängigkeit von Mäzenen auf Dauer allein seligmachend? Schon zu Beginn der 90-er Jahre, kurz nach dem Gewinn der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft unter Trainer Heiner Brand, der neben Haas zweiten überragenden Persönlichkeit in der VfL-Geschichte, deutete sich die finanzielle Krise an, die 1997 öffentlich wurde. Es fehlte nicht viel, und der Klub hätte Insolvenz anmelden müssen. Erst eine „Lex Gummersbach“, eine Verbeugung vor dem großen Namen, bewahrte ihn vor Auflösung und Zwangsabstieg.
Der Umzug in die KölnArena ist finanziell kein Gewinn
So richtig erholt hat sich der Traditionsverein trotz des Umzug in die KölnArena (Lanxess-Arena) und trotz des Zuschauerweltrekords (19.151 gegen Magdeburg) immer noch nicht. Der Umzug ist nicht wirklich ein finanzieller Gewinn, die exorbitant hohe Miete und Altschulden lassen keine großen Sprünge zu. Manager Axel Geerken trat beim VfL 2010 als Nachfolger der populären Stefan Hecker und Francois-Xavier Houlet ein schweres Erbe an und muss in erster Linie immer noch Mängel verwalten.
43 Jahre nach dem ersten Spiel (1923) gab’s den ersten Titel (1966), weitere 43 Jahre später (2009) den ersten internationalen Erfolg nach langer Enthaltsamkeit (1983). Dominierten früher neben dem VfL vor allem die Mannschaften aus der Tschechoslowakei (Dukla Prag), Rumänien (Steaua Bukarest) oder der UdSSR (ZSKA Moskau) in Europa, geben heute der THW Kiel, der HSV, Ciudad Real und FC Barcelona den Ton an. Für den zwölfmaligen deutschen Meister und fünfmaligen Champions-League-Sieger (früher EC der Landesmeister) bleiben bestenfalls Teilnahmen im EHF-Cup und im Wettbewerb der Pokalsieger, die sich Gummersbach 2009 und 2010 sicherte. Als Titel Nr. 28 und 29. Es waren nur die Europapokale für Arme, aber es waren Lebenszeichen. Ob die Neureichen von heute 43 Jahre nach ihrer ersten Meisterschaft noch einen Europacup holen? Zweifel sind in dieser schnelllebigen Zeit erlaubt. Vielleicht der beste Beweis für die Ausnahmestellung des 150-jährigen VfL.