Veröffentlicht inSport

„Das ist ein Schock“

„Das ist ein Schock“

Um zu verstehen, was sich getan hat und warum die Geschichte von Danny da Costa im Jahr 2013 trotzdem schmerzt, muss man kurz zurück gehen. Genau 23 Jahre zurück.

Der Tag, an dem Erwin Kostedde sein altes Leben begraben hat, war der 22. August 1990. An diesem Tag überfiel ein Unbekannter in Coesfeld die Spielhalle „Joy“, er entkam mit 190 Mark Beute. Die Aufsicht beschrieb den Täter als Mann mit, wie sie sich ausdrückte, bräunlichem Teint und krausen Haaren, aber, das immerhin, „nicht direkt Negerkrause“.

Die Polizei nahm damals Erwin Kostedde fest. Kostedde saß sechs Monate lang in Untersuchungshaft, danach wurde er frei gesprochen, der Täter nie ermittelt. Erwin Kostedde bekam für sechs Monate erlittener Haft eine Entschädigung von 3000 Mark. Er lebt heute vergessen irgendwo im Münsterland. Erwin Kostedde hat in der Bundesliga 98 Tore geschossen, eines mehr als Rudi Völler. Kostedde war der erste farbige Nationalspieler. Geblieben ist die Geschichte mit der Spielhalle. Einen Aufschrei der Empörung gab es damals nicht.

Auch Danny da Costa ist ein farbiger Nationalspieler. Er wurde drei Jahre nach Kosteddes Verhaftung geboren, und zwar in Neuss. Da Costa ist der Sohn eines Angolaners und einer Kongolesin, er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, er hat mit seiner Familie in Opladen gelebt und im Sommer 2012 am Landrat-Lucas-Gymnasium das Abitur gebaut. Er spielt Fußball für Bayer Leverkusen, er ist so talentiert, dass für ihn über 30 Länderspiele in den den deutschen Junioren-Mannschaften zu Buche stehen. Er ist im Sommer von Leverkusen an den Zweitligisten FC Ingolstadt ausgeliehen worden. Am Wochenende hat er in München gegen 1860 gespielt und ist 25 Minuten lang von 60-Fans rassistisch beleidigt worden. 25 Minuten lang.

Aufschrei über Facebook

Der Fall sorgt jetzt für großes Aufsehen, und das ist wohl das einzig Gute an der Geschichte. In der Mannschaft von da Costa spielt auch Ralph Gunesch. Gunesch war vorher beim FC St. Pauli, und wenn ein Fußball-Verein ein politisches Bewusstsein haben kann, dann kommt St. Pauli dem ziemlich nahe. „Ich war stinksauer, und da ich durch meine Zeit bei St. Pauli, wo ja sehr viel gegen Rassismus und Homophobie gemacht wird, möglicherweise eine andere Sensibilität für solche Themen habe, war mir klar, dass ich da was machen muss“, sagt Gunesch.

Er nutzte Facebook als Medium und erntete eine erstaunliche Resonanz über das Internet hinaus. Das Thema ist jetzt viel größer als während der Partie oder kurz nach dem Abpfiff: Ingolstadt beschwerte sich schließlich beim Schiedsrichter, der veranlasste eine Durchsage, danach nahmen die Schmähungen ab. Nach dem Spiel entschuldigte sich 1860 München bei da Costa, den Gunesch glücklicherweise für einen „gefestigten Jungen“ hält.

Was Gunesch und andere wie Schalkes Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah jedoch nicht los lässt: Ihr 20-jähriger Kollege da Costa hat erfahren müssen, dass der Rassismus auf den Rängen ein Alltagsgesicht trug: „Das“, ist Gunesch aufgefallen, „kam nicht von stiernackigen Glatzen, die mit erhobenem rechten Arm durch das Stadion marschieren.“ Es seien normale Zuschauer gewesen, „die sich möglicherweise nichts gedacht haben. Aber Rassismus ist in keinem Zusammenhang zu tolerieren“.

Rassismus im Alltag

An diesem Punkt möchte auch Gerald Asamoah verzweifeln. Schalkes ehemaliger Nationalspieler, der auch als WM-Teilnehmer 2006 danach noch angepöbelt wurde, meldete sich gestern zu Wort: „Das ist unglaublich, ein Schock! Wir haben das Jahr 2013 – und wir müssen immer noch über so etwas reden.“ Der Fall, schätzt Asamoah, werde sich entwickeln wie so oft: „Jetzt reden wir darüber, in zwei Wochen ist wieder alles vergessen. Dann geht der Alltag wieder los. Und wir wissen doch gar nicht, wie es farbigen Menschen auf der Straße geht, die immer angepöbelt werden. Wie es ist, nicht in eine Diskothek hineinzukommen.“ Die „Idioten im Stadion“ hat Asamoah abgeschrieben, wer mit Mitte Vierzig rassistische Parolen gröle, „den kann man nicht mehr umbiegen. Aber die jungen Leute sind die Zukunft, da müssen wir ran“.

Immerhin gibt es im Fall von Danny da Costa einen Aufschrei. Der Fan-Forscher Gunter Pilz sieht darin die gute Nachricht: „Wir dürfen den angegriffenen Spieler nie alleine stehen lassen.“ Das zumindest hat funktioniert. Dreiundzwanzig Jahre nach Erwin Kostedde.