Weltkultur-Erbe: Belgien feiert Parade mit Riesenpferd
In einer kleinen belgischen Gemeinde unweit von Brüssel wird am Wochenende ein Spektakel erwartet. Eine Parade, die Unesco-Kulturerbe ist und nur alle zehn Jahre stattfindet. Die Tradition ist an eine Sage angelehnt, die auch hierzulande nicht unbekannt ist.
Dendermonde. .
Nass geschwitzt und sichtlich erschöpft kommt Tom Boone aus einem riesigen Holzpferd heraus. Zusammen mit elf weiteren Männern hat er das knapp 800 Kilogramm schwere Ross die Straße entlang getragen. Hinzu kam das Gewicht von vier Jungen, die auf dem Rücken des Pferdes saßen. Ihr Platz ist heiß begehrt und nicht einfach zu ergattern. Eine der Bedingungen: Das Quartett muss aus vier Brüdern bestehen, die aufeinanderfolgend geboren worden sind.
Besucher aus aller Welt
Es sind die letzten Trainingseinheiten der Parade „Ros Beiaard“ (Ross Bayard), die Unesco-Weltkulturerbe ist und nur alle zehn Jahre stattfindet. 100 000 Besucher werden erwartet, sogar aus Australien oder Kanada. Und das in einer beschaulichen belgischen Gemeinde mit knapp 45 000 Einwohnern.
Vieles in Dendermonde nördlich von Brüssel deutet schon Wochen vorher auf das Event am kommenden Sonntag hin. Am Ortseingang steht eine Statue des Pferdes samt Reitern, daneben wehen Fahnen. Auch innerorts hängen Flaggen aus den Fenstern. Eine ganze Stadt fiebert auf die Parade hin, an der 2000 Statisten teilnehmen werden. Nachdem das Spektakel zwei mal wegen Corona verschoben werden musste, ist die Vorfreude diesmal besonders groß.
Patrick Segers ist zum ersten Mal Regisseur der Parade. Er weiß, was das Fest für die Menschen in Dendermonde bedeutet. „Die Leute sagen mir immer: Wenn ich das Pferd sehe, dann denke ich an die Zeit, als mein Großvater hier noch dabei war. Der ist jetzt heute nicht mehr hier. Oder: Ich hatte vor zehn Jahren noch keine Kinder. Jetzt bin ich hier mit meinen Kindern.“ Menschen würden mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Manche hätten geliebte Menschen verloren, andere geheiratet. Ältere denken „vielleicht ist es mein letztes Mal“.
Die vier Haimonskinder
Die Parade ist eine jahrhundertalte Tradition – angelehnt an eine Sage, die auch hierzulande nicht unbekannt ist. Der Geschichte nach streitet sich Haimon, der Herr von Dendermonde, seit Jahren mit Karl dem Großen. Die vier Haimonskinder führen den Kampf fort – unterstützt vom mächtigen Ross Bayard. Nach jahrelangem Streit und Krieg macht Karl der Große ein Angebot: Frieden im Tausch für das Pferd. Schweren Herzens geben die Brüder ihr Pferd auf, das daraufhin in einem Fluss ertränkt wird. Durch den Umzug in Dendermonde soll das Pferd aber weiterleben.
Die Geschichte, von der es unterschiedliche Versionen gibt, verbreitete sich dem Veranstalter zufolge im Mittelalter über weite Teile Europas. Neben Belgien gebe es Hinweise auf die Legende in den Niederlanden, in Frankreich, Irland, Italien und auch Deutschland. So steht etwa in Köln eine Statue der vier Haimonskinder auf einem Pferd vor einer Grundschule.
Fast 2000 kostümierte Statisten und Schauspieler werden am Sonntag durch Dendermonde ziehen, hinzu kommen 20 Prunkwagen, Musik und Akrobaten. Auch drei menschenähnliche Riesen sind Teil der Parade. Die Unesco erkannte diesen und ähnliche Umzüge 2008 als immaterielles Kulturerbe der Menschheit an. Weltweit gibt es der Unesco zufolge nur wenige Paraden und Umzüge, die mit der historischen, organisatorischen und kulturellen Stärke der Paraden in Dendermonde mithalten können.
Höhepunkt Ross Bayard
Höhepunkt der Parade ist unbestritten das Ross Bayard. Drei Teams mit je zwölf kostümierten Hafenarbeitern wechseln sich beim Tragen des Holzrahmens im Inneren des Pferdes ab. Jeder müsse etwa 80 Kilogramm tragen und auf der Strecke immer wieder kurze Sprints einlegen, sagt Boone, der einen der Hafenarbeiter spielt.
Trotz aller Strapazen sei es eine Ehre, das Pferd tragen zu dürfen – eine Ehre, die nur wenigen vorbehalten ist. „Es gibt viele in der Stadt, die das gerne machen würden, es aber nicht dürfen“, sagt Boone. „Wir sind alle Mitglieder einer Gilde und man kommt normalerweise nur vom Vater zum Sohn in die Gilde rein.“ Er habe diese Position von seinem Vater geerbt. Für ihn sei es das Größte, wenn er eines Tages einen Sohn haben werde, der das auch übernähme.
Auch die vier jungen Reiter müssen ungewöhnliche Bedingungen erfüllen: Es müssen vier aufeinanderfolgende Brüder zwischen 7 und 21 Jahren sein. Außerdem müssen sie, wie ihre Eltern, in Dendermonde geboren sein und dort ununterbrochen gelebt haben. Nur fünf Bewerbungen hatte es deshalb für die Parade in diesem Jahr gegeben. „Das ist natürlich eine sehr große Ehre“, sagt Maarten Cassiman, der älteste der vier Brüder.
Die Chance, alle Bedingungen zu erfüllen, sei sehr gering. Der Ritt auf Bayard ist echte Arbeit: Auch wenn es von außen betrachtet entspannt aussehe, sei es sehr anstrengend. Das Pferd hat eine Breite von zwei Metern, spezielle Dehnübungen seien deshalb nötig, um in dieser Position längere Zeit ausharren zu können. „Wir müssen seriös gucken“, sagt der 18-Jährige, „weil wir natürlich harte Ritter sind“. (dpa)