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Wein und sozialistische Sheriffs – eine Tour durch Moldawien

Wein und sozialistische Sheriffs – eine Tour durch Moldawien

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Es gilt als das ärmste Land Europas, doch merkt man das auf den Flaniermeilen der Hauptstadt und in den prunkvollen Weinkellern nicht wirklich. Die ehemalige Sowjetrepublik Moldawien lädt zum Entspannen, Wandern, guten Essen – und nicht zuletzt natürlich Trinken – ein.

Chisinau. 

Wie von Zauberhand öffnet sich am Fuß des Hügels ein dickes Eisentor. Es gibt den Weg frei, der in das Stollenlabyrinth der Cricova-Kellerei zu verborgenen Schätzen tief unter der Erde führt. Im Kleinbus rollen die Besucher durch die „Chardonnay“-, „Sauvignon“- oder „Pinot“-Gasse der unterirdischen Stadt. Immer tiefer geht es in die wohl weltweit größten Weinkeller, in denen über eine Million Flaschen lagern. Cricova war eine der Mammutkellereien der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien, die das Riesenreich mit Rebensaft versorgte.

Zählte man damals in erster Linie auf Masse, setzt man in dem jungen Staat heute stark auf Klasse. In den Gewölben mit den Spezialitäten lagert Wertvolles und Kurioses: Die als Kriegsbeute eingebrachte Weinsammlung des Nazi-Reichsmarschalls Göring zum Beispiel oder auch „Zar Putins“ edelste Tropfen. In 100 Metern Tiefe laden aufwendig gestylte Probierstuben zur Verköstigung ein. Was da in den Gläsern funkelt, muss sich hinter guten Italienern oder Franzosen nicht verstecken. „Weintourismus ist für uns sehr wichtig“, sagt Reiseleiterin Natalia Alhazov. Und die Gäste seien durchweg von der hohen Qualität überrascht. Besonders auch die jungen ambitionierten Winzer der privaten Weingüter bringen hervorragende Topfen auf den Markt, die international Medaillen einfahren.

„Gastfreundschaft und natürliche Herzlichkeit“

Die nächste Weinprobe muss jedoch noch etwas warten. Zuerst Chisinau, die überschaubare Metropole der seit 1991 unabhängigen Republik Moldova. Puschkin-Haus, Museen und Triumphbogen – auch wenn Chisinau nicht mit großen Sensationen punktet, wirkt der Stadtkern sympathisch entspannt. Im Park hinter der Flaniermeile „Stefan Cel Mare“ tönt glockenreiner Chorgesang aus der prächtig restaurierten Kathedrale. Zu Sowjetzeiten wurde der Turm gesprengt und die Kirche zum Ausstellungsraum umfunktioniert. Seit der Selbständigkeit erlebt die orthodoxe Kirche einen erstaunlichen Zulauf – nicht nur von älteren Menschen. Im Stadtpark trifft sich halb Chisinau, und entlang der Allee großer russischer Dichter lümmelt viel Jungvolk mit Laptop, iPod und & Co. herum. „Der ganze Park ist seit kurzem WLAN-Zone – kostenlos“, sagt Natalia. Das genieße die Jugend als neues Freiheitsgefühl. Natalia ist Professorin, lehrt Englisch, gibt Privatunterricht und führt ausländische Reisegruppen durch das kleine Land, das zu den ärmsten in Europa zählt. Viele der oft gut ausgebildeten Moldawier haben mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen, viele arbeiten im Ausland.

Neben den Weinreisen möchte Moldawien ausländische Besucher auch mit ländlichem Tourismus locken, mit „Gastfreundschaft“ und „natürlicher Herzlichkeit“, die seit Jahrhunderten selbstverständlich seien, so Natalia nicht ohne Stolz.

Mini-Staatsgebilde an der Grenze

Michael und Konstantin Stegarescu zum Beispiel bewirten in ihrem kleinen Imkerbetrieb Gäste liebevoll mit ländlichen Spezialitäten – Honigprobe inbegriffen. Und dass Land-Tourismus mit Komfort auch in tiefster Provinz hinter den sieben Hügeln möglich ist, zeigt die Rural Pension in Butuceni, unterhalb des alten Höhlenklosters von Orhei Vechi – eine Idylle für Sommerfrischler, geschaffen mit viel Idealismus von Anatolie Butnaro. Seit Jahren hat er alte Dorfhäuser in Butuceni zu rustikalen Ferienwohnungen umgestaltet. In der hügeligen Landschaft mäandern die Flüsse Raut und Nistru. Hier kann man wandern, ein Mountainbike ausleihen oder ein Kanu. Und im Restaurant mit traditioneller moldawischer Küche dürfen Gäste gern die Mamalyga (Polenta) rühren oder leckere Teig-Schwalben flechten.

Zu einer Tour durch Moldawien gehört fast zwingend ein Tagestrip nach Transnistrien. Trans… was? Das kleine Pseudo-Staatsgebilde zwischen dem Ostufer des Nistru und Rumänien entstand 1992 nach einem Bürgerkrieg, bei dem sich die meist russischstämmige Bevölkerung dieser Region abspaltete. Nur Russland erkennt dieses Brudervolk an, das sich heute sowjetischer als zu Sowjetzeiten gibt.

Bio-Wein aus dem Kloster

Ein Ausflug also nach Absurdistan: Hammer, Sichel und roter Stern schmücken die Grenzbaracke, die Beamten versprühen herben DDR-Charme. In der 550.000 Einwohner zählenden Hauptstadt Tiraspol blicken übergroße Leninstatuen entrückt auf die Passanten hinab. Etwas befremdlich wirken daneben die goldenen Kuppeln einer nagelneuen Kirche, eine Spende der „Sheriffs“, wie sich die beiden mächtigen Oligarchen Transnistriens (ehemalige Polizisten) nicht ohne Sinn für Humor nennen. Ihnen gehören nicht nur die Supermärkte und TV-Sender – sondern auch das gigantische Mega-Stadion des FC Sheriff Tiraspol. Stolz ist man auch auf die Cognac-Destillerie Kvint, die sogar auf den transnistrischen Rubeln abgebildet ist.

Nach diesem Ausflug in die realsozialistische Vergangenheit erscheint die Welt des Bruder Alexander schon fast unwirklich paradiesisch. Ins Kloster Noul Neamt am moldawischen Ufer der Nistru ist – wie in vielen anderen Klöstern im Lande – wieder geistliches Leben eingezogen. Alexander und seine Mitbrüder sind Selbstversorger, vom Handwerker, Bauern und Winzer bis zum Architekten sei alles vertreten. Sein „Allerheiligstes“, verrät der junge Mönch verschmitzt, liege allerdings unter der Erde. Im dunklen, kühlen Kellergewölbe dürfen wir einen wunderbaren Rotwein probieren. „Alles Eigenbau, alles bio“, strahlt Bruder Alexander und schenkt kräftig nach. „Noroc“ prostet er den Gästen zu. „Viel Glück.“