Totenbretter im Bayerischen Wald sind mehr als Gedenktafeln
Im Bayerischen Wald passierten schon viele Unglücke. Diese werden auf Totenbrettern erzählt, die zu Tausenden an Wegesränden aufgestellt sind.
St. Englmar..
Das Schicksal hat den Wanninger Hans arg gebeutelt, damals in den 1990er Jahren, als erst sein gerade mal 16-jähriger Sohn ums Leben kam und ein paar Monate später auch noch seine Frau vor lauter Kummer starb.
Lang hat der Wanninger getrauert. Und er hat, wie Generationen von Bayerwaldlern vor ihm, seiner Trauer ein Gesicht gegeben: Für Frau und Sohn hat er schmucke Totenbretter fertigen und in der Nähe seines Hauses aufstellen lassen.
Den Wanninger Hans erinnern sie fast täglich an seine Lieben – und den Wanderern, die zwischen der Bayerwaldgemeinde St. Englmar und dem Weiler Hügelhof unterwegs sind, erzählen sie in Versform die traurige Geschichte.
Totenbretter sind alte Tradition
Zu Hunderten stehen solche Toten- und Gedenkbretter an den Wegen von St. Englmar, ein paar tausend dürften es im Bayerischen Wald insgesamt sein. Dort, in Teilen der Oberpfalz und Südbayerns, wird bis heute eine uralte Tradition gepflegt, die bis ins siebte Jahrhundert zurückgeht.
In Urlaubsprospekten kommen die Totenbretter, obwohl sie eine Attraktion für sich sind, nur selten und durchweg knapp vor. Wer Glück hat und auf einen schon ziemlich alten „Englmarer Heimatbogen“ stößt, erfährt mehr: Dass das Totenbrett auf die Größe des Verstorbenen zugeschnitten ist, meist über zwei Stühle gelegt und der in ein Leintuch gehüllte Leichnam daraufgelegt wurde. Auf dem Brett ging es auch zum Friedhof, doch nicht immer wurde der Tote mit ihm begraben. Oft ließ man den Verstorbenen nur ins Grab gleiten, das Brett zog man wieder hoch.
Auf den Gedenkbrettern werden Lebensgeschichten erzählt
Zur Freude der Urlauber haben die Menschen im Bayerischen Wald Sinn für Tradition. Viele Vereine kümmern sich um den Erhalt der Totenbretter und die Aufstellung neuer Tafeln, die an ihre verstorbenen Mitglieder erinnern. Nur auf den ältesten, die heutzutage am Wegrand stehen, hat tatsächlich noch ein Toter gelegen. Die allermeisten sind Gedenkbretter, die liebevoll und aufwendig bemalt, mit frommen Sprüchen versehen und für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte haltbar gemacht werden.
Es lohnt sich, die Bretter, die vor vielen Kirchen, vor Bauernhöfen und an Wald- und Wegrändern stehen, in Ruhe zu betrachten und die Lebensgeschichten darauf zu lesen.
Oft werden sie, mit Namen und Sterbedatum des Verblichenen versehen, knapp und recht allgemein erzählt („Nur Arbeit war ihr Leben/fast ein Jahrhundert lang/Ruhe hat ihr Gott gegeben/Rasten hat sie nie gekannt“). Mitunter verraten sie deutlich mehr: Die Heldentaten des „ehrengeachteten Michael Hoffmann“ beispielsweise, „welcher die Schlachten bei Sedan mitgekämpft hat, und im Alter von 74 Jahren am 20. April 1925 selig im Herrn verschied“.
Dass man im Bayerischen Wald mit dem Tod nicht immer todernst umgeht, ist durchaus üblich. Das erlaubt den Waldlern und ihren Urlaubsgästen durchaus ein herzhaftes Lachen über das irdische Dasein der Bauersfrau, die „über 96 Jahr eine tugendsame Jungfrau war“. (dpa)
Die Gemeinde St. Englmar bietet jeweils montags ab 10.30 Uhr einen eineinhalbstündigen Ortsspaziergang an, bei dem auch viel über die Totenbretter-Tradition zu erfahren ist.