Rückkehr der Freude: Rio de Janeiro feiert wieder Karneval
Nach dem coronabedingten Ausfall stehen in Rio wieder die berühmten Umzüge im Sambodrom an. Bewohner der Stadt und Mitglieder von Sambaschulen sind heilfroh: Die Karnevalsmetropole hat unter dem Fehlen der größten Party der Welt sehr gelitten.
Rio de Janeiro.
Vitor César Ferreira steht wie ein Dirigent auf einem Treppengerüst, gestikuliert und gibt Anweisungen. Allerdings hat der „Mestre de bateria“ kein klassisches Orchester vor sich, sondern die Percussion-Komponente, das Herz einer Sambaschule, die sich auf den weltberühmten Umzug im Sambodrom vorbereitet. Die Szene in der Halle der Sambaschule „Império Serrano“ im Viertel Madureira in der Nordzone Rio de Janeiros an diesem Abend erinnert mehr an eine Messe als an ein Konzert. Der Karneval ist in Rio ein geradezu heiliges Ritual.
Das Werk einer Gemeinschaft
Unter seiner coronabedingten Absage im vergangenen Jahr hat die Samba-Metropole sehr gelitten. Denn Karneval ist das ganze Jahr über – nicht nur an den Tagen, an denen Zehntausende von der Tribüne aus und Millionen vor den Fernsehschirmen in Brasilien und auf der ganzen Welt die Umzüge im Sambodrom verfolgen. „Das ist das Werk einer Gemeinschaft“, sagt die Fahnenträgerin der „Império Serrano“, Maura Luiza Leal, der Deutschen Presse-Agentur.
„Cariocas“, wie die Bewohner der Stadt heißen, und Mitglieder von Sambaschulen sind heilfroh, dass wieder Umzüge stattfinden. „Wir haben eine sehr schwierige Zeit gehabt“, sagt Vitor, genannt „Vitinho“. „Ohne Karneval zu sein, ist sehr schwierig. Viele denken, das ist nur Party. Aber es ist Arbeit, Energie für Leute, die mit dem Samba geboren wurden.“ Allein dass es wieder Karneval gibt, sieht der Percussion-Meister als großen Sieg.
Vom Problemkind zum Impfvorreiter
In Brasilien brach im März und April vergangenen Jahres auf dem Höhepunkt der außer Kontrolle geratenen Corona-Pandemie das Gesundheitssystem zusammen, mehr als 660 000 Menschen sind im größten Land Lateinamerikas im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Jetzt ist Südamerika dem Statistik-Portal „Our World in Data“ zufolge Impfvorreiter, die Region mit dem höchsten Prozentsatz an Geimpften.
Rios Bürgermeister Eduardo Paes, selbst ein Samba-Fan, trieb die Corona-Impfungen auch mit Blick auf den Karneval voran. Für die Umzüge im Sambodrom wird ebenso wie für die Proben der „Império Serrano“ ein Impfnachweis verlangt.
Ein zweiter Ausfall nach 2021 wäre politisch schwer zu vertreten, für die Stadt und ihre Bewohner schwer zu verkraften gewesen. Der Samba ist die Seele der Metropole, der Karneval die jährliche Katharsis der Menschen, bei der sich der Druck wie aus einem Dampfkochtopf befreit. Fast alles ist erlaubt – Tanzen, Flirten und noch mehr.
Weniger Opfer, mehr Optimismus
Gewöhnlich zieht das Spektakel jedes Jahr Millionen Touristen an den Zuckerhut. Der Karneval bringt der Stadt nach einem Bericht des Portals „Carnavalesco“ Einnahmen von umgerechnet rund 620 Millionen Euro, die Hotels in Rio verzeichneten vom 15. bis 17. April eine durchschnittliche Auslastung von rund 75 Prozent. Umgekehrt machten Sambaschulen wie die „Mangueira“ oder die „Portela“ soziale Arbeit, um jene, die in der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten geraten waren, zu unterstützen.
Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne sank die Zahl der Toten stark, der Optimismus wuchs. Im September kehrte die „Império Serrano“ an ihren Stammsitz zurück. „Davor waren die Proben verboten. Wir haben nur allein zu Hause geübt und Live-Schalten zusammen gemacht, das war jedes Mal ein Fest“, sagt Vitor „Vitinho“ César Ferreira.
Inzwischen sind bei der Präsenzprobe an diesem Abend auch andere Komponenten hinzugekommen, die Halle hat sich gut gefüllt. Musiker und Tänzer schreiten voran, Fahnenträgerin Maura Luiza Leal dreht sich. Es ist ein magischer Moment, in dem die Teilnehmer unter dem Trommelwirbel in Trance zu verfallen scheinen. „Das ist unser Samba, unser Tanz, unsere Kultur“, ruft Rosimeri Costa, die einen Flügel der Sambaschule leitet, begeistert.
Feierlichkeiten in den April verschoben
So ganz verlieren die Brasilianer die Freude ohnehin nur selten. Fast alles ist für sie Grund dazu – Fußball, Strand, schönes Wetter, nun die kühlen Temperaturen. Oder in der Sambaschule tanzen.
Eigentlich hätten sie schon im Februar durch das Sambodrom ziehen sollen, doch die Feiern wurden abgesagt und auf April verlegt. Abwarten, calma, hatte sich „Vitinho“ da gesagt, in zwei Monaten werden wir unsere Arbeit zeigen, diesen Moment erleben können.
Nun ist es soweit, beim verschobenen Karneval steht am Donnerstag in der Aufstiegsklasse der Sambaschulen der Umzug der „Império Serrano“ an, die neunmalige Siegerin macht sich Hoffnung auf den Aufstieg in die erste Liga. Am Freitag und Samstag sind dann die zwölf besten Schulen dran. „Die Anspannung, die Erwartung sind auf 1000“, sagen sowohl Fahnenträgerin Maura als auch Percussion-Meister Vitor.
Mitgliederschwund wegen Pandemie
Aber Rio hat’s auch im Februar nicht ganz lassen können. Es gefällt den Brasilianern, dieses Jahr zwei Karnevale zu haben. Trotz Absage feierte die Stadt einen ungewöhnlichen Karneval Ende des Monats: Der Verband der Sambaschulen hatte zur – inoffiziellen – Eröffnung mit Mini-Avenida in der „Cidade do Samba“ geladen.
„Das ist sehr wichtig für uns“, sagte der Präsident der Sambaschule „Portela“, Luis Carlos Magalhães, damals der dpa. „Wir haben wegen der Pandemie viele Mitglieder verloren, vor allem viele im fortgeschrittenen Alter sind gestorben.“ Umso wichtiger sei es gewesen, Freunde nach einem Jahr ohne Karneval wiederzusehen. Und die große Freude am brasilianischsten aller Feste wieder zu erleben.
Bei der „Império Serrano“ sind die Übenden an diesem Abend nach zwei Stunden auf der anderen Seite der Halle angekommen. Die Sambaschule hatte für ihren Umzug 2021 schon Thema und Leitmusik ausgewählt – und in diesem Jahr darauf zurückgegriffen. „Deshalb hat die Schule jetzt diese gute Energie“, sagt Fahnenträgerin Maura: „Wir sind für den Auftritt bereit.“ (dpa)